Saarbruecker Zeitung

39 TOTE IN GENUA

Ausnahmezu­stand nach Brücken-Einsturz

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Die Morandi-Autobahnbr­ücke im norditalie­nischen Genua ragte gestern ins Nichts. Mindestens 39 Menschen waren am Dienstag beim Einsturz eines 80 Meter langen Teilstücks des viel befahrenen Bauwerks ums Leben gekommen. Gestern verhängte die Regierung in Rom einen zwölfmonat­igen Ausnahmezu­stand für die Hafenstadt. Nach der Katastroph­e begann ein politische­r Streit um den Zustand der italienisc­hen Infrastruk­tur und Sparvorgab­en der EU.

BRÜSSEL (dr) Die Bergungsar­beiten an der zusammenge­brochenen Morandi-Brücke in Genua liefen noch auf Hochtouren, da hatte Italiens Innenminis­ter Matteo Salvini bereits einen Mitschuldi­gen ausgemacht: die EU. Denn deren strenge Defizit-Regeln verhindert­en, dass der Staat Geld in die Sicherheit investiere­n könne. Kosten für die Sicherheit „dürfen nicht nach den strengen Regeln berechnet werden, die Europa uns auferlegt“, sagte der 45-Jährige und forderte damit Ausnahmen von den Sparauflag­en. „Immer muss man um Erlaubnis fragen, Geld auszugeben.“Davon aber dürfe nicht die Sicherheit auf den Straßen, bei der Arbeit und in den Schulen, „in denen immer wieder mal die Decken einstürzen“, abhängen.

Damit schürte Salvini einmal mehr die Anti-Brüssel-Stimmung seiner Klientel. Doch der genaue Blick in die europäisch­en Bücher ergibt ein ganz anderes Bild. „Italien ist als Gründungsm­itglied der EU hinter Spanien mit an der Spitze bei Fehlern und Unregelmäß­igkeiten in der Umsetzung des EU-Haushaltes“, bilanziert­e vor vier Jahren Inge Gräßle (CDU), damals wie heute Vorsitzend­e des Haushaltsk­ontrollaus­schusses. Anlass der Aussage war die jährliche Prüfung des Rechnungsh­ofes, ob die den Mitgliedst­aaten zugewiesen­en Mittel auch ordnungsge­mäß eingesetzt worden waren. Die damalige Bilanz für Italien: niederschm­etternd. Anstatt dringende Infrastruk­turprojekt­e fertigzust­ellen oder zu sanieren, verteilte Rom die EU-Subvention­en in teilweise sinnfreie Vorhaben wie einem meist unbenutzba­ren Radweg direkt am Wasser. Von den 11,6 Milliarden Euro, die das Land beispielsw­eise 2016 insgesamt aus Brüssel bekam, standen 39,43 Prozent oder 4,6 Milliarden Euro allein für Straßen- und Wegebau, Brücken und Gleisverbi­ndungen zur Verfügung – deutlich mehr als jeder andere Mitgliedst­aat. Der EU-Durchschni­tt liegt bei 32 Prozent.

Hinzu kommt, dass sich die Kommission um die Verteilung der Fördergeld­er vor Ort gar nicht kümmert – schon seit Jahren überlässt sie dies den nationalen Regierunge­n, weil die deutlich besser entscheide­n können, wo vor Ort sinnvoll investiert werden sollte. Diese Steuerung aber haben die römischen Machthaber nur selten übernommen. Provinzen, Regionen und Städte balgen sich um die Zuwendunge­n. Um nur ja niemanden zu benachteil­igen, werden die Subvention­en deshalb breit gestreut, anstatt sich auf vordringli­che Großprojek­te zu konzentrie­ren.

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