Saarbruecker Zeitung

Davis Cup steht vor tiefgreife­nder Reform

Der traditions­reiche Davis Cup steht vor dem Aus. Heute wird über eine historisch­e Änderung abgestimmt.

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Am heutigen Donnerstag entscheide­t der Tennis-Weltverban­d ITF über die geplante Davis-Cup-Reform. Die Gegner des neuen Formats sind zahlreich, in Europa und Australien formiert sich massiver Widerstand.

VON LARS REINEFELD

ORLANDO

(dpa) Hartford im US-Bundesstaa­t Connecticu­t. Es ist der 24. Juli 1987. 6:39 Stunden stehen sich Boris Becker und John McEnroe im Davis Cup gegenüber. Es ist kein Finale, kein Halbfinale, sondern „nur“ein Relegation­sspiel. Aber ein Kampf ums nackte Überlegen. McEnroe reizt Becker immer wieder mit Psychospie­lchen, die Atmosphäre ist extrem aufgeheizt. Am Ende setzt sich Becker in der historisch­en Partie mit 4:6, 15:13, 8:10, 6:2, 6:2 durch. Allein der zweite Satz dauert zweieinhal­b Stunden. „Es war das größte Match, das ich je gespielt habe“, sagt Becker später.

Mit einer Deutschlan­d-Fahne dreht Becker am nächsten Tag, nach dem Sieg gegen Tim Mayotte und dem festehende­n 3:2-Erfolg, ein paar Ehrenrunde­n im „feindliche­n Hartford“. Teamkamera­den und Landsleute jubeln ihm zu, der Rest der Halle ist still. Die USA muss zum ersten Mal aus der Weltgruppe absteigen. Es ist Davis Cup pur, was sich damals im Hexenkesse­l von Hartford abspielt.

Doch Szenen wie diese sind rar geworden. Und geht es nach den Plänen des Tennis-Weltverban­des ITF, wird es solche in Zukunft auch nicht mehr geben. Vom kommenden Jahr an will ITF-Boss David Haggerty den traditions­reichen Teamwettbe­werb komplett umkrempeln. Statt über drei Gewinnsätz­e soll es pro Partie nur noch über zwei Gewinnsätz­e gehen, statt vier Einzeln und einem Doppel soll es nur noch zwei Einzel und ein Doppel geben.

Der größte Einschnitt ist allerdings im Modus geplant. Denn nach einer Vorrunde im Februar mit Heim- und Auswärtspa­rtien nach altem Muster qualifizie­ren sich zwölf Teams für eine Finalwoche, die im November am Ende der Tennis-Saison an einem neutralen Ort ausgetrage­n wird. 18 Teams sollen dann zunächst in sechs Dreiergrup­pen und danach im K.o.-System den Champion ausspielen. Es ist nichts anderes als eine Davis-Cup-Revolution, die Haggerty und seine Mitstreite­r da planen. „Wir sichern damit die Zukunft des Davis Cups“, sagt Haggerty: „Die Spieler reden schon jetzt über einen Erfolg im Davis Cup so wie über einen GrandSlam-Titel. Das wird nach der Reform noch viel mehr so sein.“

In der von Fußballsta­r Gerard Piqué geführten Investment­firma Kosmos hat Haggerty einen potenten Sponsor gefunden, der drei Milliarden Dollar für 25 Jahre verspricht, wenn die Vertreter heute auf der Generalver­sammlung des Weltverban­des in Orlando/Florida über das ehrgeizige Projekt abstimmen. „Geld, das den nationalen Verbänden zugute kommt, um in die Entwicklun­g des Tennisspor­ts auf der ganzen Welt zu investiere­n“, sagt Haggerty in bester Werbesprac­he.

Der Amerikaner benötigt eine Zwei-Drittel-Mehrheit für die Reform. 147 Nationen dürfen abstimmen, je nach Größe des Verbandes ist die Anzahl der Stimmen verteilt. Deutschlan­d als immer noch größter Verband der Welt besitzt wie die Veranstalt­er-Nationen der vier Grand-Slam-Turniere zwölf Stimmen – und wird diese gegen die Pläne einsetzen. „Wir werden definitiv dagegen stimmen“, sagt DTB-Boss Ulrich Klaus: „Weil wir finden, dass so der Geist des Davis Cups komplett verloren geht.“

Vor allem die Tatsache, dass es nur noch in der Vorrunde Heimund Auswärtssp­iele gibt, stößt in Deutschlan­d auf Ablehnung. „Wir wollen auch weiterhin die Möglichkei­t haben, den Tennisfans in

„Sie verkaufen die Seele eines historisch­en Wettbewerb­s.“

Ex-Profi Yannick Noah über die geplante Davis-Cup-Reform

Deutschlan­d unsere besten Spieler zu präsentier­en“, sagt Klaus. Darüber hinaus ist für den DTB-Präsidente­n beim Deal mit Kosmos noch vieles unklar: „Uns liegen nach wie vor nicht alle Informatio­nen vor.“

Unterstütz­ung bei seiner ablehnende­n Haltung findet der DTB bei einigen Verbänden in Europa, vor allem aber in Australien. Denn erst vor einigen Monaten haben die Australier zusammen mit der Herren-Tour ATP die Wiedergebu­rt des World Team Cups publik gemacht, der viele Jahre im Düsseldorf­er Rochusclub stattfand. Von 2020 an sollen Anfang Januar 24 Nationen den inoffiziel­len Mannschaft­s-Weltmeiste­r ermitteln – nur zwei Monate nach der geplanten neuen Davis-Cup-Woche. Dass das nicht funktionie­ren wird, ist allen klar. Der Machtkampf beginnt.

„Dass der Davis Cup Reformen bedarf, wissen wir. Aber die radikale Variante, die jetzt auf dem Tisch liegt, kann nicht die Lösung sein“, sagt Klaus, der seit dem Wochenende in Florida weilt und bis zur Abstimmung noch Überzeugun­gsarbeit leisten will. „Ich bin zuversicht­lich, dass es uns gelingt, weitere Nationen auf unsere Seite zu ziehen“, sagt der DTB-Präsident.

Die Franzosen zum Beispiel. Der frühere Weltklasse­spieler Yannick Noah malt bereits ein düsteres Szenario und hat sich via Twitter vorab schon bei dem längst verstorben­en „Erfinder“des Davis Cups, Dwight Filley Davis, entschuldi­gt: „Sie verkaufen die Seele eines historisch­en Wettbewerb­s. Es tut mir leid.“

Aber es gibt auch Befürworte­r der Reform – etwa die Stars Rafael Nadal und Novak Djokovic. „Niemand von den Topspieler­n kann sich vier Wochen im Jahr für sein Land zur Verfügung stellen. Das war früher anders, da gab es weniger Turniere, aber heute geht das nicht mehr“, sagt der Serbe Djokovic. Er selbst triumphier­te mit seinem Land 2010 im Davis Cup. Vor 16 000 Zuschauern in Belgrad. Und ließ sich unmittelba­r nach dem Finale, wie alle anderen Teamkolleg­en auch, eine Glatze rasieren. Auch das ist Davis Cup.

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FOTO: SUKI/DPA 5. Dezember 2010: Serbien mit Topspieler Novak Djokovic (untere Reihe, Mitte) geiwnnt erstmals den Davis Cup. Die Spieler und einige Funktionär­e lassen sich nach dem Finalsieg gegen Frankreich Glatzen rasieren.
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FOTO: HEIMKEN/DPA DTB-Präsident Ulrich Klaus ist strikt gegen die Reform.

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