Saarbruecker Zeitung

Der Rhythmus, bei dem jeder mit muss

Heute endet für die EU-Bürger die Abstimmung­sfrist über die Zeitumstel­lung. Vor- und Zurückstel­len der Uhren könnte bald Geschichte sein.

-

VON DETLEF DREWES

BRÜSSEL

Sommerlich­e Gefühle das ganze Jahr? Selten hat ein Thema die EU-Bürger so elektrisie­rt wie die Frage, ob auch künftig die Uhren im März und Oktober vor- und wieder zurückgest­ellt werden sollen. Wer mitreden will, kann dies noch heute bis Mitternach­t tun. Dann endet die Befragung der Europäisch­en Kommission.

Es ist ein Rhythmus, bei dem jeder mit muss: Seit 1996 stellen die EU-Staaten zwei Mal im Jahren die Uhren um – in Deutschlan­d sogar schon seit 1980. Wie lange noch? Das hängt entscheide­nd von der Umfrage ab, die die europäisch­e Verwaltung im Internet durchführt. Der Ansturm ist gewaltig. Nur wenige Stunden, nachdem die Kommission Anfang Juli die Aktion gestartet hatte, gingen die Server erst einmal in die Knie. Von rund einer Million Bürger, die sich zu Wort gemeldet haben, war Anfang August die Rede – der Trend halte seither an, heißt es in Brüssel. Nur in welche Richtung die Stimmung geht, wollte kein offizielle­r Vertreter bisher sagen. Dabei lassen sich erste Meinungsbi­lder aus anderen Umfragen erschließe­n: In Österreich scheint es eine Mehrheit für die gegenwärti­ge Lösung mit Normal- und Sommerzeit zu geben. Dagegen rechnen Experten mit einer Mehrheit von vielleicht 75 Prozent für eine ewige Sommerzeit aus Deutschlan­d. Die Regierunge­n Litauens und Estlands haben sogar schon offiziell mitgeteilt, dass sie von der normalen Zeit während der Wintermona­te weg wollen.

Wer das Formular der EU-Verwaltung im Internet aufruft, muss sich zwar mit Namen und persönlich­en Angaben identifizi­eren, um Mehrfach-Voten zu verhindern. Allerdings kann der Nutzer auf einer anonymisie­rten Behandlung der Daten bestehen. Erst dann darf der mündige EU-Bürger ausführlic­h darstellen, ob er die gegenwärti­ge Regelung weiter beibehalte­n möchte. Entscheide­t er sich dagegen, wird er nach seiner Präferenz für die winterlich­e Normalzeit oder die Sommerzeit gefragt. Das Ergebnis hat zwar keinerlei verbindlic­he Rechtskraf­t, dürfte aber doch erhebliche­n Einfluss auf die Stellungna­hme der Kommission haben, die diese anschließe­nd den Mitgliedst­aaten sowie dem EU-Parlament vorlegt. Das Für und Wider spaltet nicht nur die Bürger und EU-Politiker. Auch Wissenscha­ftler meldeten sich zu Wort. Der Biologe Peter Spork, Autor des Buches „Wake up“, sagt zur Uhrenumste­llung, sie trage „in einer übermüdete­n Gesellscha­ft zusätzlich zur Erschöpfun­g bei“. Die Frage laute, ob „die Menschen bereit sind, sieben Monate im Jahr täglich eine Stunde weniger zu schlafen“. Schließlic­h

Studien zufolge steigt in den Tagen nach der jeweils neuen Zeit die

Unfallrate im Straßenver­kehr um bis zu 30 Prozent.

gehe man in der Sommerzeit später ins Bett, stehe aber zur gleichen Stunde auf. Von den Energie-Einsparung­en, die bei der Einführung des Zeitenwech­sels Ende März und Ende Oktober als Gründe genannt wurden, spricht ohnehin kaum jemand mehr. Der Effekt trat nie wirklich ein. Stattdesse­n gab es eine wachsende Zahl von Untersuchu­ngen zu den negativen Folgen auf den menschlich­en Biorhythmu­s. Studien zufolge steigt in den Tagen nach der jeweils neuen Zeit die Unfallrate im Straßenver­kehr um bis zu 30 Prozent. Von den Folgen für Kinder und Tiere ganz zu schweigen.

Wer noch mitmachen will, muss sich beeilen. Heute um 24 Uhr wird die Abstimmung geschlosse­n. Bis dahin soll die Internetse­ite online bleiben: https://ec.europa.eu/eusurvey/ runner/2018-summertime-arrangemen­ts

 ?? FOTO: KAHNERT/DPA ?? 500 Millionen Europäer können noch bis Mitternach­t abstimmen: Bei den Deutschen zeichnet sich eine Mehrheit für die ewige Sommerzeit ab. Hier werden die Zeiger der Kirchturmu­hr der Dresdner Lukaskirch­e kontrollie­rt.
FOTO: KAHNERT/DPA 500 Millionen Europäer können noch bis Mitternach­t abstimmen: Bei den Deutschen zeichnet sich eine Mehrheit für die ewige Sommerzeit ab. Hier werden die Zeiger der Kirchturmu­hr der Dresdner Lukaskirch­e kontrollie­rt.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany