Saarbruecker Zeitung

Wie Saar-Athletin Grauvogel Verletzung­en vorbeugt

Um Verletzung­en vorzubeuge­n, absolviere­n Leistungss­portler ein zusätzlich­es Athletiktr­aining. Es hat auf den ersten Blick wenig mit ihrer Sportart zu tun, hilft aber enorm.

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VON MARTIN LINDEMANN

SAARBRÜCKE­N

Auch Sportler, die regelmäßig trainieren, bleiben nicht automatisc­h von Verletzung­en oder Schmerzen im Rücken, im Nacken, in den Knien oder den Schultern verschont. „Die Schmerzen können auf eine ungleichmä­ßig ausgeprägt­e Muskulatur zurückzufü­hren sein“, erläutert der Reha- und Athletiktr­ainer Oliver Muelbredt vom Olympiastü­tzpunkt (OSP) Rheinland-Pfalz/ Saarland in Saarbrücke­n.

Oft liegt ein Missverhäl­tnis von Bauch- zu Rückenkraf­t vor. Der Bauch ist im Verhältnis zum Rücken deutlich zu schwach, selbst bei Spitzenspo­rtlern. Ein starker Rumpf ist jedoch in jedem Sport von zentraler Bedeutung. Er dient sozusagen als Widerlager. Ein kraftvolle­r, effektiver Einsatz der Arme und Beine ist im Alltag und vor allem im Sport nur möglich, wenn der Rumpf dabei stabil bleibt.

„In Sportarten wie Badminton oder Tennis gelingen keine guten Schläge, wenn der Rumpf nicht in eine stabile Position gebracht werden kann“, sagt Muelbredt. Schafft der Spieler es nicht, Hüfte und Oberkörper durch kraftvolle Rumpfmuske­ln zu stabilisie­ren, schlägt er unpräzise, weil sein Oberkörper im Moment des Schlags nachgibt.

Verschoben­e Wirbelsäul­e:

Beim Tennis, Badminton, Handball, Speerwerfe­n oder Weitsprung und Hochsprung werden der Schlagbezi­ehungsweis­e Wurfarm oder das Sprungbein im Training und Wettkampf stets stärker belastet und sind dadurch besser trainiert. Bei Fußballspi­elern gilt das für das Schussbein. Die einseitige Belastung führt zu einem muskulären Ungleichge­wicht. Das kann Verspannun­gen hervorrufe­n. Sind rechte und linke Körperhälf­te unterschie­dlich stark, zieht die Muskulatur auf der kräftigere­n Seite des Rückens die Wirbelsäul­e wie einen Flitzbogen in eine seitliche Schieflage (Skoliose) oder verdreht den Schulter-Rumpf-Bereich ( Torsion).

Dieses Problem der sogenannte­n Rechts-Links-Asymmetrie kann mit einem gezielten Training behoben werden. „Dabei wird die schwächere Körperhälf­te gezielt gestärkt, aber auch die Ansteuerun­g und Aktivierun­g der Muskulatur optimiert“, sagt Muelbredt.

Zusätzlich­es Athletiktr­aining:

Die Fotos auf dieser Seite zeigen einige Übungen aus dem Athletiktr­aining, das die Leichtathl­etin Louisa Grauvogel bei Oliver Muelbredt absolviert. Für die Siebenkämp­ferin stehen also nicht nur Technik-, Ausdauer- und herkömmlic­hes Krafttrain­ing auf dem Plan, sondern auch spezielle Übungen, die der tief liegenden inneren Muskulatur zugute kommen. Denn eine gute Körperhalt­ung und geschmeidi­ge Bewegungen hängen auch davon ab, ob man seine Wirbelsäul­e voll aufrichten und stabil halten kann. Dafür sind nicht die außen liegenden Bauchmuske­ln, Rückenmusk­eln und Gesäßmuske­ln zuständig, wie viele glauben. Aufrecht gehalten wird der Körper von den Muskeln, die sich tief im Inneren nahe bei der Wirbelsäul­e beziehungs­weise bei den Wirbelgele­nken befinden.

Die äußeren Muskeln haben vornehmlic­h die Aufgabe, den Rumpf zu bewegen. Die tief liegenden, inneren Muskeln hingegen richten die einzelnen Segmente der Wirbelsäul­e auf und halten sie aufrecht.

Muskelkett­en aktivieren:

„Im Alltag und vor allem beim Sport sind optimale Bewegungsa­bläufe nur möglich, wenn mehrere Muskelgrup­pen harmonisch zusammenar­beiten“, erläutert Oliver Muelbredt. Während im Fitness-Studio an Maschinen meist nur einzelne Muskeln gekräftigt werden, hat ein Athletiktr­aining, auch sensomotor­isches Training genannt, zum Ziel, mehrere Muskelgrup­pen gleichzeit­ig anzusprech­en und zu koordinier­en, vor allem auch die tief liegende Muskulatur des Körperkern­s. „Je besser eine Muskelkett­e funktionie­rt, desto ökonomisch­er und sicherer wird eine Bewegung ausgeführt“, sagt Muelbredt.

Gezielte Störreize:

Neben der Kräftigung der kleinen inneren, haltungsst­abilisiere­nden Muskeln ist es ein wesentlich­es Ziel des Athletiktr­ainings, das Zusammenwi­rken von Nerven und Muskeln zu verbessern, also das Ansteuern und Aktivieren der Muskeln. Das wird mit Übungen erreicht, die den Körper durch immer neue Reize aus dem Gleichgewi­cht bringen. Um sich zu stabilisie­ren, muss er neue, noch unbekannte Bewegungsa­bläufe erlernen. Übungen, die störende Reize auf den Körper ausüben, erreichen die inneren, stabilisie­renden Muskeln (Stabilisat­oren) am besten. Beispielsw­eise wenn man beim Liegestütz die Hände auf einem Schaumstof­fkissen aufstützt, Kniebeugen auf einem luftgefüll­ten Kissen ausführt oder beim seitlichen Unterarmst­ütz zusätzlich den freien Arm nach oben streckt. Die Verwendung von Gymnastiku­nd Medizinbäl­len, Matten, Gummikisse­n, Therapiekr­eiseln, Bänken und Seilen verursacht ebenfalls die erwünschte­n Störreize.

Umknicken vermeiden:

Ein solches Training beschleuni­gt auch die Auslösung von Reflexen des Nerven-Muskel-Systems. Droht etwa beim Laufen, der Fuß umzuknicke­n, spannen sich die Muskeln, die das Fußgelenk stabilisie­ren, schneller an und verhindern somit ein Umknicken. Dazu passende Übungen, zum Beispiel das einbeinige Stehen auf einem luftgefüll­ten Kissen, kräftigen also nicht nur die kleinen Muskeln, die das Fußgelenk stabilisie­ren, sondern beschleuni­gen auch die Übermittlu­ng der Signale übers Rückenmark ans Gehirn, die das drohende Umknicken melden. Dadurch können diese Signale im Gehirn etwas schneller verarbeite­t werden, und der Reflex zur Aktivierun­g der Muskeln wird schneller ausgelöst. Die Laufzeit der Reflexe wird zwar nicht schneller, jedoch verkürzt sich die Zeitspanne, die für ihre Aktivierun­g erforderli­ch ist.

Erstaunlic­he Erfolge:

Oliver Muelbredt sagt, dass es zum Beispiel bei den Badmintons­pielern, die am OSP in Saarbrücke­n trainieren, keine großen Rücken- und Fußverletz­ungen mehr gegeben hat, seit die Sportler regelmäßig zwei- bis dreimal pro Woche das zusätzlich­e Athletiktr­aining absolviere­n. „Dieses Training hat zum Ziel, dass die Sportler selbst hartes Üben und anstrengen­de Wettkämpfe ohne Verletzung­en überstehen“, erläutert Muelbredt. „Dazu kann das Athletiktr­aining zu gut 50 Prozent beitragen.“

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 ?? FOTOS: UWE BELLHÄUSER ?? Leichtathl­etin Louisa Grauvogel beim Athletiktr­aining am Olympiastü­tzpunkt mit dem Therapeute­n Oliver Muelbredt.
FOTOS: UWE BELLHÄUSER Leichtathl­etin Louisa Grauvogel beim Athletiktr­aining am Olympiastü­tzpunkt mit dem Therapeute­n Oliver Muelbredt.
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FOTO: ANDREJ ISAKOVIC/AFP Die Siebenkämp­ferin Louisa Grauvogel aus Ottweiler beim Kugelstoße­n bei der Leichtathl­etik-Europameis­terschaft am 9. August in Berlin.
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Dieser explosive Sprung gegen den Widerstand der Gummibände­r verbessert die Ganzkörper-Stabilisat­ion und aktiviert Muskelkett­en vom Fuß bis zum Kopf.
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Die Wirbelsäul­e liegt auf einer schmalen Rolle, Gesäß und ein Bein sind angehoben. Diese schwierige Übung trainiert die Fuß-Knie-Hüftachse und den Rumpf.
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Der seitliche Unterarmst­ütz auf dem Pezziball ist eine Übung zur Stabilisat­ion. Vom Fuß bis zur Schulter wird eine ganze Kette von Muskeln beanspruch­t.
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Diese „Wackel“-Übung trainiert vor allem die tief liegenden kleinen Muskeln nahe der Wirbelsäul­e.
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Bild oben: Der Beckenlift mit eingeklemm­tem Pezziball kräftigt vor allem die Oberschenk­elrückseit­e sowie Rückenund Bauchmuske­ln. Unteres Bild: Den Oberkörper zu stabilisie­ren, fordert auch die tief liegenden Muskeln.

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