Saarbruecker Zeitung

Der Eklat wird zur Belastung für das Kabinett in Düsseldorf

Mit seiner juristisch gescheiter­ten Abschiebep­raxis im Fall Sami A. zwingt NRW-Flüchtling­sminister Stamp die ganze Landesregi­erung in einen Konflikt.

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VON HENNING RASCHE UND THOMAS REISENER

DÜSSELDORF

Für den erfolgsver­wöhnten Vize-Ministerpr­äsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Joachim Stamp (48, FDP), ist das Gerichtsur­teil die schwerste Niederlage seiner politische­n Karriere. Indem er Sami A. an der Justiz vorbei abschob, ging er ein außerorden­tlich hohes Risiko ein. Nun steht er vor einem Desaster. Für „offensicht­lich rechtswidr­ig“hält das Oberverwal­tungsgeric­ht in Münster die Abschiebun­g, für die Stamp – immerhin – „die persönlich­e Verantwort­ung“übernimmt. Damit ist der Flüchtling­sminister nicht nur persönlich beschädigt. Er hat auch das Kabinett in einen Loyalitäts­konflikt getrieben, der zur Belastung für die gesamte Landesregi­erung wird.

Ministerpr­äsident Armin Laschet und NRW-Innenminis­ter Herbert Reul (beide CDU) haben sich so demonstrat­iv hinter Stamp und sein Vorgehen gestellt, dass der Richterspr­uch auch sie in Bedrängnis bringt. Die Landesregi­erung habe nach Recht und Gesetz entschiede­n, befand der Ministerpr­äsident noch vor wenigen Wochen, „und ich denke, im Ergebnis können wir froh sein, dass der Gefährder nicht mehr in Deutschlan­d ist.“Die Richter haben nun aber deutlich gemacht, dass es in einem Rechtsstaa­t eben nicht nur um das Ergebnis geht, sondern auch darum, auf welchem Weg es zustande kommt.

Noch weiter aus dem Fenster lehnte sich NRW-Innenminis­ter Herbert Reul (CDU). In seinem verzweifel­ten Versuch, Stamp den Rücken zu stärken, griff Reul das OVG sogar direkt an. Der Beschluss stehe angeblich im Widerspruc­h zum Rechtsempf­inden der Bevölkerun­g. Mehrere Juristenve­rbände reagierten gestern empört. Opposition­sführer Thomas Kutschaty (SPD) warf Reul ein „gestörtes Verhältnis zur Justiz und zum Rechtsstaa­t“vor.

Am deutlichst­en wird die Verlegenhe­it, in die Stamp sein Kabinett gebracht hat, durch das Schweigen von NRW-Justizmini­ster Peter Biesenbach (CDU). Obwohl große Teile der NRW-Richtersch­aft nach der Richter-Schelte von Reul von ihrem Justizmini­ster jetzt deutliche Worte zur Unabhängig­keit der Gerichte erwarten, sagte Biesenbach, derzeit im Urlaub, gestern lediglich: „Schnelle Sätze aus dem Urlaub helfen jetzt nicht weiter. Ich werde mich umfangreic­h in den anstehende­n parlamenta­rischen Debatten zu dem Thema äußern“.

Wie kommt das alles bei der mitregiere­nden FDP an? Einer Partei, die sich immer auch als Hüterin der Bürgerrech­te verstand? Im Kampf dafür haben liberale Köpfe wie Gerhart Baum schon Ämter geopfert. Baum sagte gestern: „Das ist eine abenteuerl­iche Äußerung von Reul. Richter müssen nach Recht und Gesetz urteilen und nicht nach einem vermeintli­chen Volkswille­n.“

Für Laschets Regierung ist der Fall Stamp inklusive der aufflammen­den Rücktritts­forderunge­n schon der vierte größere Störfall in 13 Monaten. Kurz nach Amtsantrit­t musste Minister Stephan Holthoff-Pförtner die Zuständigk­eit für das Medienress­ort abgeben, als Vorwürfe wegen eines Interessen­konfliktes gegen den Zeitungsve­rleger laut wurden. Die frühere Landwirtsc­haftsminis­terin Christina Schulze Föcking (CDU) trat im Mai nach einer hausgemach­ten Affäre um einen vermeintli­chen Hacker-Angriff zurück. Laschet selbst und sein Regierungs­sprecher werden sich in Kürze vor einem parlamenta­rischen Untersuchu­ngsausschu­ss verantwort­en müssen, weil die Landesregi­erung in diesem Zusammenha­ng öffentlich falsch berichtet haben soll.

Und Stamp? Er ist eigentlich kein politische­r Hasardeur. Warum ging er bei Sami A. ein solches Risiko ein? Noch in der Opposition hatte er oft mehr Härte im Umgang mit Gefährdern gefordert. Den Vorwurf, die Möglichkei­ten des Rechtsstaa­tes nun selbst nicht zu nutzen, will er um jeden Preis vermeiden. Gewisserma­ßen wird Stamp gerade Opfer des eigenen Ehrgeizes.

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