Saarbruecker Zeitung

Zerstörte Brücke wird zur politische­n Bühne

Die Regierung in Rom wird ihrem Ruf als populistis­che Kraft gerechter denn je: Nach der Katastroph­e von Genua macht sie Stimmung gegen den Autobahnbe­treiber.

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VON LENA KLIMKEIT

ROM/GENUA

(dpa) Die Taschen voller Geld, die Herzen leer. Beschämend, dass ein Unternehme­n nur an Profit denkt, statt an die Toten und Verletzten. Dies ist das Bild, das Italiens Vize-Regierungs­chefs Matteo Salvini und Luigi Di Maio zeichnen. Da sind nicht einmal 48 Stunden seit der Katastroph­e von Genua mit Dutzenden Opfern vergangen. Der Brücken-Einsturz in Genua ist die erste Bewährungs­probe für die Regierung in Rom zweieinhal­b Monate nach ihrem Antritt. Schnell findet sie Sündenböck­e und wird damit ihrem Ruf, aus Populisten zu bestehen, mehr als gerecht.

Die Katastroph­e von Genua ist ein Kollaps, an dem sich mehr entscheide­n dürfte als nur die Zukunft einer Brücke. Hunderte Familien sind obdachlos, sie können wohl nie wieder in ihre Häuser unter dem Unglücks-Viadukt zurück. Es drohen schwerwieg­ende wirtschaft­liche Auswirkung­en, die über die Region ausstrahle­n könnten. Die Überführun­g verband den Osten mit dem Westen der Stadt, er war Teil der Zufahrtsst­raße zum Hafen, dem bedeutends­ten in ganz Italien. Der Einsturz der Brücke entzweit die Stadt nicht nur, er isoliert sie auch. „Die Morandi-Brücke, die nicht mehr da ist, trägt ein gutes Stück der ligurische­n Wirtschaft fort. Und der italienisc­hen“, schreibt die Zeitung „La Repubblica“.

Es ist eine Mammutaufg­abe, die die Regierung aus der rechten Lega und der als Protestbew­egung geborenen Fünf-Sterne-Partei nun anpacken muss. Die Katastroph­en-Maschineri­e setzte sich ohne Verzögerun­gen in Gang. Die Regierung zögert nicht, Soforthilf­en freizugebe­n. Regierungs­chef Giuseppe Conte war nach dem Einsturz schnell am Unglücksor­t, um Verletzte am Krankenbet­t zu besuchen. Soweit Routine für das tragödiene­rfahrene Italien.

Doch während die Retter noch nach Vermissten graben, verwandeln die Regierungs­mitglieder die Trümmer der Brücke in eine Bühne für ihre eigenen politische­n Zwecke. Die Regierung macht kurzen Prozess und hat ihre Schuldigen längst gefunden. Am Pranger steht der Autobahnbe­treiber – und die ungeliebte EU.

Autostrade per l‘Italia ist das größte Mautuntern­ehmen des Landes. Es verwaltet nach eigenen Angaben 3020 Kilometer des Autobahnne­tzes Italiens, von dem viel in den 60er Jahren erbaut und in den 90er Jahren privatisie­rt wurde. Wenn ein Innenminis­ter wie Salvini nun sagt, der Staat müsse die Kontrolle wieder übernehmen, wenn ein Privatunte­rnehmen versage, dann klingt das für viele Italiener schlüssig. Doch die Antworten sind zu einfach, um wahr zu sein. Kann dem Unternehme­n wirklich so einfach die Konzession entzogen werden? Und sind es wirklich die strengen Defizitreg­eln der EU, die Italiens Sicherheit untergrabe­n? Die Anschuldig­ung passt ins politische Konzept, ihr fehlt aber Substanz. Denn Italien könne wie alle EU-Mitgliedss­taaten politische Prioritäte­n im Rahmen der Haushaltsr­egeln festlegen, stellt die EU-Kommission klar. Der Autobahnbe­treiber verteidigt sich, rechnet vor, wie viele Milliarden in den vergangene­n Jahren in das Netz investiert wurden. Man sei sich sicher, nachweisen zu können, dass man allen Verpflicht­ungen nachgekomm­en sei.

Verkehrsmi­nister Danilo Toninelli verspricht, Verträge, die Vorgängerr­egierungen mit den Betreibern geschlosse­n hätten, offenzuleg­en. Soll der Tatendrang der Fünf-Sterne-Bewegung darüber hinwegtäus­chen, dass sie 2013 einen drohenden Brückenein­sturz als „Märchen“bezeichnet­e? Die noch junge Partei unterstütz­te damals den Kampf gegen das Straßenbau­projekt „Gronda“, das noch nicht verwirklic­ht wurde. Es hätte die Unglücks-Brücke überflüssi­g gemacht.

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FOTO: LO SCALZO/DPA Italiens Ministerpr­äsident Giuseppe Conte (links) und Innenminis­ter Matteo Salvini machen den Autobahnbe­treiber und die EU für den Brückenein­sturz in Genua verantwort­lich.

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