Saarbruecker Zeitung

Eine bittere Lektion in Sachen Rechtsstaa­t

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Der Bürger weiß seine Rechte zu nutzen. Klagen bis zur letzten Instanz sind an der Tagesordnu­ng, zum Beispiel wenn es um Steuerbesc­heide geht. Oder um Geschwindi­gkeitsmess­ungen. Heerschare­n von Anwälten kümmern sich um so etwas. Niemand empfindet das als Anti-Verkehrspo­lizei-Industrie. Das ist Rechtsstaa­t.

Nur beim Asyl soll das nicht mehr gelten, obwohl es hier um sehr existenzie­lle Fragen gehen kann. Jedenfalls dann, wenn jemand wirklich verfolgt wird. Was wiederum nur Gerichte feststelle­n können, manchmal eben erst nach mehreren Instanzen. Im Fall der Abschiebun­g von Sami A. haben Teile der Medien, einige Politiker und dann die vollziehen­den Behörden den Rechtsstaa­t mit Füßen getreten. Wie man heute weiß, sehr absichtlic­h. Nun schlagen die Gerichte zurück und zwingen die Behörden, den Mann zurückzuho­len. Obwohl er als Gefährder eingestuft ist. Es ist eine schlimme, aber verdiente Demütigung.

Interessan­t ist zu sehen, wie die Gedemütigt­en nun alle abtauchen. Zum Beispiel Alexander Dobrindt (CSU), der die Anwälte von Asylbewerb­ern vor kurzem noch pauschal als Anti-Abschiebe-Industrie bezeichnet hat. Oder Horst Seehofer (CSU), der sich jüngst freute, dass an seinem 69. Geburtstag genau 69 Menschen nach Afghanista­n abgeschobe­n wurden. Von denen einer Selbstmord beging und ein zweiter auf Staatskost­en wieder zurückgefü­hrt werden musste, da auch seine Abschiebun­g rechtswidr­ig war.

Kleinlaut ist auch eine bekannte Boulevard-Zeitung mit vier Buchstaben, die bereits seit April eine massive Kampagne für die Abschiebun­g von Sami A. gefahren hatte („Durchgreif­en“), um jetzt scheinheil­ig zu fragen: „Wer hat Schuld am Chaos?“Nun, unter anderem Nordrhein-Westfalens Integratio­nsminister Joachim Stamp (FDP), der geglaubt hatte, hier mal den starken Max markieren zu können und öffentlich Punkte zu machen. Da kennt er die Mechanisme­n des Medienmark­tes schlecht. Jetzt wird ihm in der gleichen Zeitung vorgeworfe­n, den Gerichten wichtige Informatio­nen vorenthalt­en zu haben. Stamp droht der Rücktritt, zu Recht. Es schweigen übrigens auch Christian Lindner (Stamps Parteichef ) und Gerd Müller (CSU), die damals auf die Abschiebek­ampagne aufsprange­n und dafür mit ausführlic­her Berichters­tattung belohnt wurden.

Nun wird Sami A. zurückkomm­en, früher oder später. Und das Rechtsempf­inden der Bürger ist schwer gestört, weil er nicht nur abgelehnte­r Asylbewerb­er aus einem sicheren Land, Tunesien, ist, sondern vielleicht sogar wirklich ein ehemaliger Leibwächte­r Bin Ladens. Es ist eine bittere, aber notwendige Lektion. Wenn die Vorwürfe zutreffen, wird man ihn eines Tages schon noch loswerden. Dann aber legal. Viel wichtiger ist, dass hier Richter mit Erfolg darum gekämpft haben, dass nur sie in diesem Land die Urteile sprechen und ihren Vollzug anordnen, nicht die Politik und schon gar nicht die Medien. Die Staaten, wo das systematis­ch anders ist, sind die, aus denen Menschen fliehen.

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