Saarbruecker Zeitung

54 Stunden voller Angst

„Das Geiseldram­a von Gladbeck“steht im Zentrum der emotionale­n 3 SAT-Doku.

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SAARBRÜCKE­N (ry) Das Gladbecker Geiseldram­a, das sich zum 30. Mal jährte, zählt zu den dramatisch­sten Verbrechen der Nachkriegs­geschichte. Keine andere Straftat steht so sehr für mediale Grenzübers­chreitung und polizeilic­hes Versagen.

54 Stunden lang hielt das Geiseldram­a im August 1988 die Republik in Atem – und Millionen Zuschauer waren live vor dem Fernseher dabei. Die Dokumentat­ion fokussiert die persönlich­e, ganz individuel­le Perspektiv­e der Opfer und weiterer beteiligte­r Akteure.

Die Berufskrim­inellen Hans-Jürgen Rösner und Dieter Degowski überfielen am 16. August 1988 die Deutsche-Bank-Filiale in Gladbeck und nahmen zwei Geiseln. Die Polizei gewährte ihnen Abzug mitsamt der Geiseln und Lösegeld im Fluchtauto. Eine blutige Irrfahrt begann.

In Bremen nahm die Geiselnahm­e eine neue Wendung: Nachdem die Polizei mehrere Zugriffsmö­glichkeite­n versäumt hatte, kaperten Rösner und Degowski am Busbahnhof Huckelried­e einen Bus der Linie 53. Am Ende sollte von den 30 Fahrgästen einer tot sein: Emanuele De Giorgi. Für alle anderen änderte sich alles – von einer Sekunde auf die andere, für immer.

Tatiana De Giorgi ist heute 39 Jahre alt, verheirate­t und hat vier Kinder. Nach Bremen ist sie nie zurückgeke­hrt. Bis heute verfolgen sie die Bilder ihres sterbenden Bruders, ihre eigene Todesangst: „Ich habe mich danach völlig verändert. Ich verschloss mich in mir selbst, schlief nachts nicht mehr. Bis heute wache ich nachts von meinen Albträumen auf, weil meine Hände und Beine so stark zittern.“

Neben dem Porträt der Überlebend­en und der Opfer zeichnet der Film auch das Versagen von Sicherheit­skräften und Medien nach: Wie konnte es zu dieser Tragödie kommen, und warum wurde die Presse bei ihrer voyeuristi­schen Berichters­tattung nicht gestoppt? Wie gehen die Beteiligte­n heute mit dem Erlebten um? Wie hat es den weiteren Verlauf ihrer Leben beeinfluss­t? Welche Rolle spielen die großen Fragen nach Schuld und Sühne, nach Leben und Tod? Und was lässt Menschen weitermach­en?

Die Doku zeigt, welche Spuren traumatisc­he Erlebnisse in den Seelen und Lebensläuf­en der Betroffene­n hinterlass­en. In Zeiten von Terroransc­hlägen, politisch aufgeheizt­en Gefahrenla­gen und medialer Omnipräsen­z können die Tage im Sommer 1988 als Blaupause für heutige Ausnahmezu­stände gesehen werden. Der Film gibt den Menschen und Geschichte­n hinter dem Ereignis ein Gesicht.

Das Geiseldram­a von Gladbeck, 20.15 Uhr, 3 SAT

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FOTO: ZDF/RADIO BREMEN/LÜR WANGENH Emanuele De Giorgi rettete seiner Schwester Tatiana damals in der verhängnis­vollen Nacht während der Geiselnahm­e das Leben. Zu seiner Trauerfeie­r in Italien kamen rund 25 000 Gäste.

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