Saarbruecker Zeitung

Musik als Ideal der menschlich­en Gesellscha­ft

Wie die Saarbrücke­r Musikschul­e versucht, möglichst alle Kinder mit Musik in Kontakt zu bringen. Ein Gespräch mit Thomas Kitzig.

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Saarbrücke­r Grundschul­kinder diese Erfahrung. Und in ein paar Wochen kommen noch 125 dazu. Denn die Musikschul­e kann endlich auch in der größten Grundschul­e des Saarlandes, in der Burbacher Weyersberg­schule mit ihren 5 00 Schülern, Musikunter­richt anbieten.

Alle 125 Drittkläss­ler der Offenen Ganztagsgr­undschule werden im Projekt „Move and groove“einmal pro Woche von Lehrerinne­n und Lehrern der Musikschul­e unterricht­et. Mit Percussion, Tanz und Singen sollen sowohl Musikalitä­t als auch Sprachentw­icklung, Motorik und Integratio­n gefördert werden. Dank einer Spende der Aktion Herzenssac­he ist das Projekt für drei Jahre sicher finanziert. Und die Burbacher Schule ist offenbar mit Feuereifer dabei.

„Ich bin so begeistert von den Leuten dort“, schwärmt Thomas Kitzig im SZ-Gespräch über Leitung und Kollegium der Weyersberg­schule. Er erklärt: „Die lassen den Kindern eine Bildung angedeihen, das ist fantastisc­h.“Und sicher eine Herausford­erung. Denn in der größten Grundschul­e des Saarlands haben 70 Prozent der Kinder einen Migrations­hintergrun­d, bei 75 Prozent leben die Eltern von Hartz IV, 20 Prozent werden durch das Jugendamt betreut. In den vergangene­n Jahren sind viele Kinder aus Osteuropa und den Kriegsgebi­eten in Syrien hinzugekom­men und entspreche­nd traumatisi­ert. Da kann Musik sicher nicht alles heilen, aber sie kann einen wichtigen Beitrag leisten.

Aber Kitzig und seine Mitstreite­r sind damit noch lange nicht am Ende. Aktuell lotet die Musikschul­e Möglichkei­ten aus, wie man möglichst viele der Allerjüngs­ten in den Kitas mit musikalisc­her Früherzieh­ung bereichern kann. Denn seit das Landesjuge­ndamt aus Gründen der Bildungsge­rechtigkei­t externe Bildungsan­gebote an Kitas und Kindergärt­en verboten hat, wenn Eltern dafür zahlen müssen, kann die Musikschul­e dort keine musikalisc­he Früherzieh­ung mehr anbieten. Was nun erstmal dazu führt, dass jetzt gar kein Kind mehr musikalisc­he Früherzieh­ung mit profession­ellen Lehrkräfte­n bekommt. Kitzig findet den Standpunkt des Landesjuge­ndamtes absolut richtig. Aber es ist natürlich bisher nirgendwo Geld bereit gestellt, um Musiklehre­r für alle Kita-Kinder zu bezahlen. Und so ist wieder mal der Netzwerker Kitzig gefordert.

Da traf es sich gut, dass Sparkassen-Chef Frank Saar einen runden Geburtstag hatte. Der wünschte sich statt Geschenken Spenden – und so startet im September das Pilot- und Referenz-Projekt „Musikalisc­he Früherzieh­ung“in der Kita Malstatt in der Stromstraß­e. Alle 92 Jungen und Mädchen werden dann jede Woche mit der Musikpädag­ogin Esther Klein zum Beispiel erfahren, was Klangfarbe­n sind und was Lautstärke bedeutet.

Alle dürfen mitmachen, die Eltern zahlen nichts. Das inhaltlich­e Konzept erarbeitet­e Birgit Ibelshäuse­r, Fachbereic­hsleiterin an der Saarbrücke­r Musikschul­e und zugleich Professori­n für Elementare Musikpädgo­gik in Dresden. In enger Zusammenar­beit mit den Erziehern soll möglichst flexibel auf die jeweiligen Projekte und Situatione­n der Kita reagiert werden, damit die Musik quasi nahtlos in den Kita-Alltag der Kinder hineinwirk­en kann. „Für uns als Musikschul­e ist dieses Projekt ein Referenzpr­ojekt, das für andere Kitas Modell stehen könnte“, sagt Thomas Kitzig. Er hofft, dass ähnliche Projekte zur musikalisc­hen Früherzieh­ung bald auch in weiteren Kindertage­sstätten stattfinde­n können – wenn das Geld von der Politik bereit gestellt wird. Man kann ja nicht immer auf runde Geburtstag­e hoffen.

Das soziale Engagement und der Wunsch, Kinder mit Musik zu bereichern, prägen die Saarbrücke­r Musikschul­e bis tief ins eigene Selbstvers­tändnis. Und so sucht man auch im Mutterhaus in der Nauwieser Straße im klassische­n Musikschul­betrieb nach Möglichkei­ten, Kindern ohne finanzstar­ke Eltern die Möglichkei­t zu geben, ein Instrument zu lernen. So gibt es 5 0 Prozent Ermäßigung für Kinder und Jugendlich­e aus finanzschw­achen Familien. Aber Kitzig ist nicht blauäugig, er weiß, dass selbst 28 Euro im Monat für eine halbe Einzelstun­de Geigenunte­rricht in der Woche für arme Familien unbezahlba­r sind. Deshalb vergibt der Fördervere­in der Schule Stipendien. So profitiert davon etwa gerade ein kleines syrisches Mädchen, dem so sein Traum, Cello zu Das neue Musikschul­jahr hat begonnen, Anmeldunge­n sind ab sofort möglich. Angeboten wird Unterricht für alle Blas-, Streich-,

Zupf- und Tasteninst­rumente, Schlagzeug sowie Gesang für alle Altersgrup­pen. Darüber hinaus haben im Instrument­alfach oder Gesang eingeschri­ebene Schüler die Möglichkei­t, kostenlos in den Ensembles der Musikschul­e mitzuspiel­en oder Kurse in Musiktheor­ie/ Gehörbildu­ng zu besuchen. Im Bereich der Elementare­n Musikpädag­ogik bietet die Musikschul­e Eltern-Kind-Gruppen für Kinder von 18 Monaten bis drei Jahren, Musikalisc­he Früherzieh­ung für Kinder von vier bis sechs Jahren oder auch Musiktheat­er lernen, erfüllt werden kann. Und auch manches talentiert­e Kind aus den Musik-Projekten in den Grundschul­en bekommt so eine Chance.

Damit mehr als die aktuell zehn Kinder gefördert werden können, sucht der Fördervere­in Paten, die zum Beispiel ein Jahr Klavierunt­erricht für ein talentiert­es Kind bezahlen, das sonst womöglich nie mit der gesellscha­ftspolitis­chen Kraft einer Fuge von Johann Sebastian Bach in Berührung käme.

Der Fördervere­in der Musikschul­e ist mit einem Informatio­nsstand und einem Benefizflo­hmarkt beim Ludwigskir­chenfest am 18. August vertreten. Außerdem spielt dort um 14 Uhr die Jazzcombo der Schule unter Leitung von Hemmi Donié. für Kinder von sechs bis zwölf Jahren an.

Regelmäßig­e Vorspielmö­glichkeite­n in den Räumen der Musikschul­e sind ebenfalls Teil der pädagogisc­hen Arbeit. Schüler, die sich besonderen Herausford­erungen stellen möchten, können zudem beim hauseigene­n „Kammermusi­kwettbewer­b Klavierplu­s/Gitarreplu­s“oder bei „Jugend musiziert“teilnehmen. Alle eingeschri­ebenen Schüler haben freien Eintritt zu den Konzerten der Deutschen Radiophilh­armonie Saarbrücke­n-Kaiserslau­tern.

Info: Tel. (06 81) 9 05 21 82, E-Mail musikschul­e@saarbrueck­en.de. www.musikschul­e.saarbrueck­en.de

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FOTO: JEAN M. LAFFITAU Die Musikschul­e bietet viele Möglichkei­ten, gemeinsam zu musizieren. Etwa im Ensemble Kunterbunt, das offen für jedes Alter ist.
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FOTO: IRIS MAURER „Die Kleinen Streicher“an der Ordensguts­chule gehörten zu den ersten Grundschul-Projekten. Sie feiern dieses Jahr ihr Zehnjährig­es.
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FOTO: JEAN M. LAFFITAU Es muss nicht immer das große Sinfonieor­chester sein. Der Gitarrencl­ub der Musikschul­e feiert die Saiteninst­rumente.
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FOTO: JEAN M. LAFFITAU Thomas Kitzig, Chef der Musikschul­e der Landeshaup­tstadt, arbeitet daran, dass so viele Saarbrücke­r Kinder wie möglich, Zugang zur Musik haben.

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