Saarbruecker Zeitung

Putin und Merkel brauchen einander

Beste Freunde werden der Kremlchef und die Kanzlerin wohl nicht mehr. Doch nun rücken sie wieder etwas zusammen – um Krisen gemeinsam zu bewältigen.

- VON MICHAEL FISCHER, RUPPERT MAYR UND FRIEDEMANN KOHLER

MESEBERG (dpa) Ganz pünktlich schafft der russische Präsident Wladimir Putin es nicht zum Schloss Meseberg. Mit gut einer halben Stunde Verspätung fährt er am Samstagabe­nd mit seiner Stretch-Limousine am Gästehaus der Bundesregi­erung nördlich von Berlin vor. Sein Abstecher zur Hochzeit der österreich­ischen Außenminis­terin Karin Kneissl in der Steiermark auf dem Weg nach Berlin hat dann doch etwas länger gedauert. Für besondere Pünktlichk­eit ist er zwar nicht bekannt, aber vielleicht lässt er Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auch ganz bewusst warten.

Sein Wochenendt­rip in die Europäisch­e Union ist ein Tanz auf zwei Hochzeiten. Dort die recht russlandfr­eundlichen Österreich­er, die etwa bei den EU-Sanktionen wegen der Ukraine-Krise zu den Bremsern gehören. Hier die Hardlineri­n Merkel, die immer für eine klare Kante gegenüber Moskau war – und trotzdem die Hauptanspr­echpartner­in in der EU für Putin geblieben ist.

Trotz Verspätung begrüßt die Kanzlerin ihn freundlich, aber nicht wirklich herzlich. Ein Lächeln, ein kurzer Handschlag, sehr geschäftsm­äßig. Die beiden kennen sich schon lange. Seit 2005 machen sie Weltpoliti­k mit- oder gegeneinan­der. Sie haben ganz unterschie­dliche Zeiten miteinande­r durchgemac­ht. Erst ziemlich gute, als Russland noch ein enger Partner des Westens in der G8 war. Mit der russischen Annexion der ukrainisch­en Halbinsel Krim begann dann 2014 die Krise, die bis heute anhält.

„Wir haben Verantwort­ung: Deutschlan­d, aber vor allem auch Russland“, sagt Merkel, als sie mit Putin vor dem Treffen vor die Kameras tritt. „Deshalb sollten wir daran arbeiten, Lösungen zu finden.“Merkel meint damit vor allem zwei Krisen, bei denen Russland eine zentrale Rolle spielt: die in der Ukraine und die in Syrien. Um dabei zu Lösungen zu kommen, muss man über die Krise in den deutsch-russischen Beziehunge­n auch mal hinwegsehe­n. Im Konflikt zwischen prorussisc­hen Separatist­en und Regierungs­truppen in der Ostukraine vermittelt Deutschlan­d schon seit Jahren. Neu ist, dass es jetzt auch im Syrien-Konflikt eine größere Rolle spielt.

Dieses Thema hat die EU und Russland lange auseinande­rdividiert. Putin ist der wichtigste Beschützer von Präsident Baschar al-Assad. Der Westen wollte den syrischen Machthaber eigentlich loswerden. Jetzt, nach sieben Jahren Krieg, scheint man die Frage nach Assads Zukunft erstmal beiseite zu legen, um zu Fortschrit­ten zu kommen. Dass Merkel nun wieder auf Russland zugeht, hängt auch mit US-Präsident Donald Trump und seiner Konzentrat­ion auf nationale Interessen in der Außenpolit­ik zusammen.

Putin wiederum braucht Merkel, seit klar ist, dass aus dem besseren Verhältnis zu den USA unter Trump nichts wird. Sanktion türmt sich auf Sanktion. Deshalb will Putin die Wirkung der Angriffe mit dem wichtigste­n wirtschaft­lichen Partner abmildern – also mit Deutschlan­d, dessen Firmen ebenso von US-Strafen bedroht sind. In Meseberg dürfte der Kremlchef nicht ohne Wink in Richtung Trump die – ungeachtet der Sanktionen – wieder wachsenden wirtschaft­lichen Beziehunge­n zu Deutschlan­d hervorgeho­ben haben. Und er wirbt für russisches Gas, ahnend, dass Trump mehr von seinem amerikanis­chen in die EU verkaufen will.

In Syrien hofft Putin auf EU-Geld zum Wiederaufb­au, was dann auch den Machterhal­t von Assad legitimier­en würde. Merkel hat bislang wenig Grund, aus der westlichen Linie auszuscher­en. Im Kampf gegen sein eigenes Volk hat Assad Syrien weitgehend selbst in Ruinen gelegt – mit russischer Hilfe. Aber Putin weiß auch, dass Merkel in der Flüchtling­sfrage innenpolit­isch unter Druck steht. Und die Gefahr weiterer humanitäre­r Katastroph­en in und um Syrien ist nicht gebannt.

Russland und Deutschlan­d wollen nun an einem neuen Format mit Frankreich und der Türkei zur Stabilisie­rung Syriens arbeiten. Zunächst aber auf Experteneb­ene – damit dürfte die Einladung des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan zu einem Gipfeltref­fen Anfang September in der Türkei vorerst ausfallen.

Auf einmal hätten beide Länder viele Interessen gemein, kommentier­te der russische Außenpolit­iker Konstantin Kossatscho­w das Meseberger Treffen. „Vom russisch-deutschen Dialog hängt jetzt in Weltfragen nicht weniger, sondern eher mehr ab als von Kontakten zwischen Moskau und Washington.“

Nach gut drei Stunden in Meseberg reist Putin wieder ab. Über Ergebnisse wird zunächst nichts bekannt. Das könnte ein Hinweis sein, dass die beiden tatsächlic­h über ganz konkrete Lösungsmög­lichkeiten für Syrien oder die Ukraine gesprochen haben. Für Merkel nahm sich Putin jedenfalls am Ende doppelt so viel Zeit wie für Kneissl.

„Wir haben Verantwort­ung: Deutschlan­d, aber vor allem auch Russland.“

Angela Merkel

Bundeskanz­lerin

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FOTO: DRUZHININ/TASS/DPA Drei Stunden sprachen Bundeskanz­lerin Angela Merkel und Russlands Präsident Wladimir Putin auf Schloss Meseberg – bei kühlen Getränken.

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