Saarbruecker Zeitung

Athens Neustart macht auch Sorgen

Seit gestern steht Griechenla­nd wieder auf eigenen Füßen. Das Ende der Rettungspa­kete wird aber von großer Skepsis begleitet.

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(dr/kol) Jean-Claude Juncker gab ein großes Verspreche­n ab. „Wenn die Griechen nun ein neues Kapitel in ihrer bewegten Geschichte beginnen, werden sie in mir immer einen Verbündete­n, Partner und Freund finden“, sagte der EU-Kommission­spräsident gestern in Brüssel. Gut neun Jahre nach dem Ausbruch der Krise, drei Rettungspa­kete und Darlehen über 289 Milliarden Euro später steht Athen wieder auf eigenen Füßen. „Für Griechenla­nd und seine Menschen ist das der Anfang eines neuen Kapitels nach besonders schweren Jahren“, erklärte EU-Währungsko­mmissar Pierre Moscovici. Dies sei auch ein „Schlussstr­ich“unter eine „existenzie­lle Krise für die Euro-Zone“. Am Wochenende hatte sich Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) ähnlich geäußert: „Die düsteren Prophezeiu­ngen der Untergangs­propheten sind nicht eingetrete­n.“Er fügte hinzu: „Ich finde, die Rettung Griechenla­nds sollte uns Mut machen, die Aufgaben, die jetzt vor der EU liegen, zügig anzupacken.“Klaus Regling, Chef des Euro-Notfallfon­ds ESM, betonte: „Wir wollen, dass Griechenla­nd eine Erfolgssto­ry wird.“

Doch echte Freude über das Erreichte wollte gestern nicht aufkommen. Mario Centeno, Chef der Eurogruppe, äußerte sich skeptisch: „Es hat viel länger gedauert als gedacht, aber ich glaube, wir haben es geschafft.“In Berlin bei der Unionsfrak­tion klingt es noch zurückhalt­ender. Zwar hätten die Hilfsprogr­amme das Land stabilisie­rt, sagte Finanzexpe­rte Hans Michelbach (CSU). Doch sei Griechenla­nd „keineswegs über den Berg“. Wenn keine weiteren Reformen folgten, könne es bald wieder in den Krisenmodu­s zurückfall­en. Drastisch äußerte sich Giannis Varoufakis, der umstritten­e einstige Finanzmini­ster der Hellenen, der mit seiner Blockade 2015 das dritte Hilfspaket nötig gemacht hatte. „Griechenla­nd steht am selben Punkt, im selben schwarzen Loch und es versinkt jeden Tag tiefer darin“, sagte er. „Wir haben jetzt nur mehr Zeit, um noch mehr Schulden zurückzuza­hlen.“Tatsächlic­h fallen die Daten unterschie­dlich aus. Auf der einen Seite meldet das Athener Finanzmini­sterium ein Wachstum für 2017 in Höhe von rund 1,4 Prozent. Auf der anderen Seite musste Finanzmini­ster Euklid Tsakalatos am Ende vergangene­r Woche für zehnjährig­e Staatsanle­ihen 4,3 Prozent Zinsen zahlen. Vor einem Monat waren es noch 3,8 Prozent. An den Finanzmärk­ten ist es mit Vertrauen offenbar nicht so weit her.

Das Freiburger Centrum für europäisch­e Politik kommt ebenfalls zu keinem günstigen Fazit: Demnach beruht das Wirtschaft­swachstum vor allem auf höherem Konsum der Hellenen, nicht aber auf dringend benötigten Zunahmen beim Export. Die fatale Bilanz: „Das Land konsumiert

„Griechenla­nd steht

im selben schwarzen Loch.“

Giannis Varoufakis

Früherer griechisch­er Finanzmini­ster

107 Prozent seines verfügbare­n Einkommens und lebt damit im 13. Jahr in Folge über seine Verhältnis­se.“Für Alexander Graf Lambsdorff, lange Jahre Vizepräsid­ent des EU-Parlaments und inzwischen FDP-Bundestags­abgeordnet­er, ist Griechenla­nd deshalb nur „auf Bewährung raus“.

Die Hellenen beginnen die neue Zeitrechnu­ng ohne „Stütze“der EU nach herben Einbußen. Mehr als ein Viertel ihres Einkommens haben die meisten Bewohner verloren, jeder Fünfte ist ohne Job, fast 400 000 gut ausgebilde­te, meist junge Menschen, darunter viele Ärzte und Ingenieure, sind ausgewande­rt. Die Staatsvers­chuldung liegt noch immer bei 180 Prozent der Jahreswirt­schaftslei­stung. „Die Frage ist“, sagte ein hochrangig­er EU-Diplomat, „ob Griechenla­nd die schweren Zeiten wirklich hinter sich oder erst noch vor sich hat“.

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FOTO: ZORTZINIS/DPA Griechenla­nd kann jetzt nach dem Ende der Hilfsprogr­amme gebrauchen, wofür die Göttin Athene steht: Weisheit und eine gute Strategie.

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