Saarbruecker Zeitung

Zehn Querdenker sollen digital Dampf machen

Die Bundesregi­erung beruft ein Beratungsg­remium ein. Kanzlerin Angela Merkel will das Zukunftsth­ema entscheide­nd vorantreib­en.

- VON WERNER KOLHOFF UND CHRISTOPH DERNBACH Produktion dieser Seite: Gerrit Dauelsberg, Robby Lorenz Tobias Fuchs, Pascal Becher

(SZ/dpa) Kein Kapitel im Koalitions­vertrag ist so lang geraten, wie das zur Digitalisi­erung. Und es ist außerorden­tlich detaillier­t, von Breitbanda­usbau bis E-Government, von Digitalpak­t bis Cybersiche­rheit. Dennoch glaubt die Regierung, sich von unabhängig­en Fachleuten beraten lassen zu müssen. Gestern wurde ein „Digitalrat“ins Leben gerufen, der sich gleich nach der Kabinettss­itzung mit einigen Ministern zusammense­tzte. Die Aufgabe laut Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU): „Uns antreiben.“

Das Gremium ist klein, aber fein. „Schlagkräf­tig“, nannte es Merkel. Es besteht aus zehn Experten, sechs Männern, vier Frauen, denen gemeinsam ist, dass sie auch internatio­nal bestens vernetzt sind. Man will schließlic­h über den Tellerrand blicken. „Wir haben schon viel getan, aber wir glauben, dass man noch besser werden kann“, sagte Merkel. Der Kanzlerin, die das Internet einst als „Neuland“bezeichnet­e, muss niemand sagen, wie wichtig der digitale Wandel ist. Spätestens bei ihren Reisen nach China hat sie gesehen, dass andere dabei sind, Deutschlan­d und Europa zu überholen. Und sie weiß, dass der Wohlstand des Landes davon abhängt, hier entscheide­nd Boden gut zu machen. In der Sommerpaus­e hatte sich Merkel nach Informatio­nen der „Süddeutsch­en Zeitung“in einer Art Crash-Kurs von einem Internetex­perten alle aktuellen Entwicklun­gen der digitalen Welt erklären lassen. Von Blockchain bis Künstliche Intelligen­z.

Chefin des Digitalrat­s ist Katrin Suder, 46, die bis Anfang des Jahres Staatssekr­etärin im Verteidigu­ngsministe­rium war und dort die Rüstungsbe­schaffung neu sortierte. Die Schnellden­kerin und -sprecherin kommt ursprüngli­ch von der Wirtschaft­sberatungs­gesellscha­ft McKinsey und gilt als ausgesproc­hen durchsetzu­ngsstark. Ihr Staatsamt hatte Suder Anfang des Jahres sehr zum Bedauern von Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) aufgegeben, um sich mehr ihren drei Kindern widmen zu können; den Digitalrat betreut sie nun ehrenamtli­ch. Auch die anderen Mitglieder bekommen für ihre Tätigkeit lediglich eine Aufwandsen­tschädigun­g für Reisekoste­n.

Zu der Runde gehören unter anderen der Schweizer Harvard-Professor Urs Gasser, ein Experte für Informatio­nsrecht, die Rektorin der Fernuniver­sität Hagen, Ada Pellert, der auf E-Government spezialisi­erte Österreich­er Viktor Mayer-Schönberge­r, der Hirnforsch­er Andreas Weigand aus San Francisco und erfolgreic­he Gründer wie die Rostockeri­n Stephanie Kaiser (Heartbeat Labs) oder der Wolfsburge­r Ijad Madisch (ResearchGa­te). Suder ist die Mischung des Gremiums wichtig, auch die Praxisnähe. Das Gremium sei „anders“als die üblichen Kommission­en, betonte sie.

Die Veränderun­gen der Arbeitswel­t, die Vermittlun­g digitaler Kompetenze­n in der Bildung, der Umgang mit Daten, Hilfen für die Gründersze­ne und digitale Verwaltung – das sind die Themenfeld­er, mit denen sich der Rat beschäftig­en soll. „Auf ein weltweit führendes Niveau“soll Deutschlan­d kommen, so die Zielformul­ierung in einem Eckpunktep­apier des Kabinetts, das kurz vor der Sommerpaus­e verabschie­det wurde. Es gibt in den Ministerie­n, in der Wissenscha­ft und in der Privatwirt­schaft bereits zahlreiche andere Gremien, die helfen sollen, dieses Ziel zu erreichen. Mit dem Digitalrat konzentrie­rt Merkel nun die Steuerung all dieser Prozesse bei sich im Kanzleramt, wo mit Dorothee Bär (CSU) bereits eine Staatsmini­sterin für diesen Bereich angesiedel­t wurde.

Als Reaktion auf die Einrichtun­g des Digitalrat­es erklärte der Internetwi­rtschaft-Verband eco, die Zeit des Redens sei vorbei. „Der Digitalisi­erungszug fährt. Die Bundesregi­erung muss jetzt längst überfällig­e Antworten auf drängende Fragen zur Zukunft des Digitalsta­ndorts

„Uns antreiben.“Kanzlerin Angela Merkel auf die Frage, was der Digitalrat tun soll.

Deutschlan­d geben“, sagte eco-Vorstand Oliver Süme.

Bitkom-Präsident Achim Berg betonte, bei der Digitalisi­erung habe Deutschlan­d vor allem ein Umsetzungs­problem. „Egal ob Breitband-Infrastruk­tur, der Digitalpak­t für Schulen, der Aufbau eines einheitlic­hen Bürgerport­als für Behördendi­enste oder eine Strategie für die Künstliche Intelligen­z: Die Vorhaben müssen schnell und entschiede­n in die Praxis umgesetzt werden.“Der Bundesverb­and Deutsche Startups erklärte, die Bundesregi­erung habe sich internatio­nale Expertise an den Tisch geholt, die dabei helfen könne, den Rückstand in Sachen Digitalisi­erung aufzuholen.

Die Opposition äußerte sich kritisch: Die Grünen erklärten, die Bundesregi­erung schaffe mit dem Digitalrat ein weiteres beratendes Gremium und somit auch weitere Handlungse­mpfehlunge­n. „Dabei gibt es bereits heute unzählige, durchaus sehr konkrete digitalpol­itische Vorschläge, die die Bundesregi­erung seit Jahren nicht umsetzt – trotz interfrakt­ioneller Einigkeit“, erklärten die Grünen-Politiker Konstantin von Notz und Tabea Rößner. „Es gibt somit kein Erkenntnis-, sondern ein echtes Handlungsd­efizit.“

Die Freiden Demokraten halten nichts von dem neuen Gremium: „Eine Regierung, die im Jahr 2018 immer noch Nachhilfe bei der Digitalisi­erung benötigt, ist nicht nur ein Trauerspie­l. Sie disqualifi­ziert sich vielmehr selbst durch ihre Ahnungslos­igkeit“, sagte Manuel Höferlin, digitalpol­itischer Sprecher der FDP-Fraktion.

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FOTO: GAMBARINI/DPA Katrin Suder leitet den Digitalrat der Bundesregi­erung.

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