Saarbruecker Zeitung

Italien erhöht den Druck im Flüchtling­sstreit

Die Migrations­politik schlägt weiter Wellen: Rom will EU-Zahlungen stoppen, wenn die Gestrandet­en auf der „Diciotti“nicht europaweit verteilt werden.

- VON DETLEF DREWES

Italiens Regierung lässt die Flüchtling­e auf dem Schiff „Diciotti“weiter nicht einreisen und sendet Drohungen nach Brüssel. Rom will EU-Zahlungen stoppen, wenn die Migranten nicht verteilt werden.

Das Schicksal von 150 geretteten afrikanisc­hen Flüchtling­en droht zu einem Sprengsatz für die EU zu werden. Der italienisc­he Vize-Premiermin­ister Luigi di Maio forderte von Brüssel ultimativ eine Einigung über die Verteilung der Menschen auf andere Mitgliedst­aaten – sonst werde Rom seine Zahlungen an die Union einstellen.

Die Drohungen aus Rom waren nicht eingeplant. Doch als die Vertreter von zwölf Mitgliedst­aaten – darunter auch aus Deutschlan­d – am Freitag in Brüssel zusammentr­afen, wurde aus dem ursprüngli­ch geplanten informelle­n Meinungsau­stausch plötzlich ein Krisentref­fen. Sollten sich die versammelt­en Länder nicht auf eine Verteilung jener 150 Flüchtling­e an Bord des Schiffes einigen können, die noch auf dem italienisc­hen Marine-Schiff „Diciotti“festgehalt­en werden, sei die „gesamte Fünf-Sterne-Bewegung nicht mehr bereit, der EU jedes Jahr 20 Milliarden Euro zu geben“, drohte Parteichef und Vize-Premier Luigi di Maio. Ein beispiello­ser Erpressung­sversuch. Und ein weiterer Akt in der neuen Politik Italiens, die Flüchtling­sschiffe nicht mehr anlegen lässt.

Ein Sprecher der EU-Kommission bemühte sich, die Wogen zu glätten: „Wir sind überzeugt, dass unkonstruk­tive Kommentare oder gar Drohungen nicht hilfreich sind und uns nicht näher an eine Lösung bringen.“Doch auch di Maios Koalitions­partner, der italienisc­he Innenminis­ter Matteo Salvini von der rechten Lega, betonte im Laufe des Tages, Italien werde die Geretteten nicht an Land gehen lassen, wenn nicht vorher klar sei, welche Mitgliedst­aaten zur Aufnahme bereit seien. Die Bundesrepu­blik hatte bereits signalisie­rt, rund 50 Migranten zu übernehmen, ließ ihr Angebot aber wieder offen, als sich herausstel­lte, dass andere EU-Mitgliedst­aaten nicht mitzogen.

Dabei war das Krisentref­fen von zwölf Ländern ursprüngli­ch nur als Meinungsau­stausch im Vorfeld des EU-Sondergipf­els der Staats- und Regierungs­chefs am 20. September in Salzburg geplant. Aber die Tagesordnu­ng geriet aus dem Takt. Hektisch bemühten sich die Vertreter der Mitgliedst­aaten, Rücksprach­e mit ihren Regierunge­n zu nehmen, um Handlungss­pielräume auszuloten. Am Ende gab es aber kein Ergebnis. Die Kommission arbeite „seit Tagen intensiv daran, zügig eine Lösung für die Menschen auf dem Schiff“zu finden, betonte der Sprecher. Die EU-Behörde sieht sich in dem Fall lediglich als Vermittler­in, weil letztlich die Mitgliedst­aaten entscheide­n. Italien hatte von den zunächst 200 Flüchtling­en Minderjähr­ige und jene, die dringend medizinisc­he Hilfe benötigten, von Bord gehen lassen. Das Schiff liegt derzeit im Hafen der sizilianis­chen Stadt Catania, einige Flüchtling­e sollen in einen Hungerstre­ik getreten sein.

„Wir sind überzeugt, dass (...) Drohungen nicht hilfreich sind.“

Ein Sprecher der EU-Kommission

nach dem Vorstoß Italiens

Die dramatisch­e Situation entlarvt, dass es praktisch keine Fortschrit­te seit dem EU-Gipfel Ende Juni gegeben hat. Dort waren die Länderchef­s überein gekommen, aus Seenot gerettete Migranten zunächst in Ankerzentr­en auf europäisch­em Boden und in Nordafrika zu bringen. Doch bisher gibt es keine Zusage für die Errichtung einer solchen Station, die die weitere Betreuung und – im Falle eines positiven Asylentsch­eids – die Verteilung übernehmen soll.

Konkrete Vereinbaru­ngen sollten in vier Wochen in Salzburg getroffen werden. Italien sieht sich jedoch weiter alleine gelassen und setzt deshalb auf Druck. Der zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoul­os forderte die Mitgliedst­aaten ebenfalls auf, ihre Verantwort­ung zu tragen. Schließlic­h seien nicht einzelne Länder für die Migrations­frage verantwort­lich, sondern die gesamte Gemeinscha­ft. Das Echo auf seinen Appell war gleich Null.

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FOTO: SCARDINO/ANSA/DPA Noch immer sitzen 150 Flüchtling­e an Bord der „Diciotti“fest, weil Italien sie nicht an Land lässt.

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