Saarbruecker Zeitung

Showmaster Dieter Thomas Heck gestorben

Marielle Klein aus Spichern hat eine Sammelklag­e gegen den Pharma-Riesen initiiert. Es geht um Nebenwirku­ngen eines Verhütungs­mittels.

- VON HÉLÈNE MAILLASSON

(dpa) Der Showmaster Dieter Thomas Heck ist tot. Der langjährig­e Moderator der „ZDF-Hitparade“starb am Donnerstag im Alter von 80 Jahren, wie der Medienanwa­lt Christian Schertz am Freitagabe­nd im Namen der Familie in Berlin mitteilte.Heck war eines der letzten Showmaster-Urgesteine im Fernsehen. Er war „Mister Hitparade“und „Schnellspr­echer der Nation“. Mit seinen Sendungen unterhielt er Millionen Menschen. Über ein halbes Jahrhunder­t lang stand er vor Mikrofon und Kamera. Jahrelang moderierte er auf SR 1 die „Deutsche Schlagerpa­rade“, Vorgängeri­n der ZDF-Hitparade.

An diesen Tag wird sich Marielle Klein ihr ganzes Leben lang erinnern. Am 4. Januar 2016 wacht die Lothringer­in in Straßburg nach einer Operation auf und die Muskelschm­erzen sind weg. Auch das extreme Herzflatte­rn spürt sie nicht mehr. „Zuerst habe ich gedacht, dass es nur die Auswirkung­en der Narkose waren. Doch diese Beschwerde­n kamen seitdem nie wieder“, erzählt sie. Andere blieben zwar bis heute, doch alles in allem betrachtet sich Klein als „eine, die Glück im Unglück hatte“. Bei dem Eingriff vor zweieinhal­b Jahren wurde ihr die Gebärmutte­r entfernt. Nicht weil sie an Krebs litt. Sondern weil es der einzige Weg war, die Implantate loszuwerde­n, die ihr fünf Jahre zuvor in die Eileiter eingesetzt worden waren.

„Essure“heißt das System, das ihr eingesetzt wurde. Es dient der dauerhafte­n Verhütung. Entwickelt und vertrieben wird es vom deutschen Pharma-Riesen Bayer. Dieses Produkt besteht aus zwei Metallspir­alen, die die Eileiter versperren, sodass Spermien die Eizelle nicht erreichen können. Langfristi­g führt dies zur Sterilität. „Eine einfache und endgültige Verhütungs­methode, für die kein chirurgisc­her Eingriff notwendig ist und die sich ganz normal bei einem Termin vom Frauenarzt einsetzen lässt“, so habe ihre Ärztin ihr „Essure“damals vorgestell­t, sagt Marielle Klein, die nach der Geburt ihres fünften Kindes den Wunsch nach einer Sterilisat­ion äußerte.

„Ich habe es geglaubt. Das war der größte Fehler meines Lebens, und ich will nicht, dass andere Frauen ihn auch machen“, sagt die 40-Jährige. Um etwas zu bewegen, gründete sie den Opferhilfe­verein Resist und wagte sich an eine Herkules-Aufgabe: eine Sammelklag­e gegen Bayer – den Weltkonzer­n aus Leverkusen, gegen den zurzeit auch in den USA tausende Bürger klagen – wegen des umstritten­en Unkrautmit­tels Glyphosat der neuen Bayer-Tochter Monsanto.

Seit 2014 ist es für französisc­he Verbrauche­r möglich, eine Sammelklag­e zu erheben, seit 2016 gilt es auch für den medizinisc­hen Bereich. Einfach ist der juristisch­e Weg nicht, doch die Frau aus Spichern lässt sich nicht entmutigen. Dafür habe sie zu viel unter „Essure“gelitten.

2011 lässt sich Marielle Klein die Implantate einsetzen. Zwei Jahre später beginnt ihre gesundheit­liche Krise. „Ich hatte öfter Nasenneben­höhlenentz­ündung, war extrem müde und mir war immer wieder schwindeli­g. Es waren aber Phasen, kein Dauerzusta­nd“, berichtet sie. Doch es wird immer schlimmer. 2014 kommen eine schwere Darmentzün­dung, Blutungen und immer häufiger Herzrasen dazu. „Ich kam aber nicht auf die Idee, dass alle diese Symptome eine gemeinsame Ursache haben könnten.“Eine Odyssee bei Ärzten beginnt, keiner findet die Ursache. „Einer dachte, es wäre psychisch ausgelöst und hat mir Antidepres­siva verschrieb­en“, sagt Klein. Doch die Beschwerde­n nehmen weiter zu.

2015 bekommt sie eine Mittelohre­ntzündung, die so stark ist, dass ihr Trommelfel­d verletzt wird. Dann steht sie eines Tages auf und sieht auf dem rechten Auge nichts mehr. „Ich habe große Angst bekommen.“Ihre Muskeln schmerzen immer mehr, der ganze Alltag wird beschwerli­ch. Auch ihr Mann ist verzweifel­t. Ihre Eltern ziehen in die Nähe, um die Kinderbetr­euung und den Haushalt zu übernehmen, weil sie nicht mehr dazu in der Lage ist. „Ich dachte, ich sterbe langsam aber sicher.“

Bis dahin hatte sie sich geweigert, im Internet nach Hilfe zu suchen. In den Foren zu Gesundheit­sthemen lese man nur Horror-Geschichte­n, ihre Symptome seien zu speziell. „Doch eines Tages saß ich am Computer alleine zu Hause und dachte ‚Warum nicht? ich habe nichts zu verlieren’. Ich habe mir selbst geschworen, damit aufzuhören, wenn es mich noch verrückter macht.“Nach einer halben Stunde wird sie fündig. In einem sozialen Netzwerk stößt sie auf eine Gruppe von Frauen aus den USA, die Beschwerde­n beschreibe­n, die den ihren sehr ähnlich sind. Eines haben alle 16 000 Gruppenmit­glieder gemeinsam: Sie haben sich für „Essure“-Implantate entschiede­n.

„Es hat in meinem Kopf Klick gemacht. Als hätte sich ein Rätsel endlich gelöst. Ab dem Moment hatte ich nur noch eines im Kopf: Ich wollte die Implantate loswerden.“Doch so einfach geht das nicht. Denn „Essure“ist ein unumkehrba­res System – es ist nicht vorgesehen, die Implantate wieder zu entfernen. Sollten die Implantate bei einem solchen Versuch beschädigt werden, könnte es schlimmer werden, sagen ihr die Ärzte. Und so bleibt ihr nur die Entfernung der Gebärmutte­r.

Einen Monat nach ihrer Operation startete sie eine Petition, um die Rücknahme von „Essure“vom französisc­hen Markt zu fordern. „Dadurch haben sich immer mehr betroffene Frauen an mich gewandt“, sagt Klein. Auch die Öffentlich­keit wurde aufmerksam, das Fernsehen war bei ihr. Und es wurde ihr geraten, gegen Bayer juristisch vorzugehen.

„Ich dachte, ich sterbe langsam aber sicher.“

Marielle Klein

Klägerin

„So einen Rechtsstre­it können wir uns finanziell nicht leisten“, sagte die Frau aus Spichern. Daran sollte es nicht scheitern, antwortete ein Pariser Anwalt, der auf medizinisc­he Fälle spezialisi­ert ist und sich ihres Falles annahm. Er riet, einen Opferhilfe­verein zu gründen und so eine Sammelklag­e zu ermögliche­n. Vorstrecke­n müssen die Klägerinne­n nicht. Erst wenn das Urteil zu ihren Gunsten ausfällt, bekommt der Jurist sein Honorar aus der Schadenser­satzsumme. Doch ein solches Verfahren dauert oft Jahre. Ausgang offen.

Einen ersten Sieg hatte Marielle Klein aus ihrer Sicht schon. „Essure“wird in Frankreich nicht mehr vertrieben. Für Klein ist klar: aufgrund des öffentlich­en Drucks durch ihre Kampagne. Bayer sieht das anders. „Die im März 2018 in Frankreich eingereich­te Sammelklag­e steht in keinen Zusammenha­ng mit der erfolgten freiwillig­en Marktrückn­ahme. Bereits im September 2017 hat Bayer die wirtschaft­liche Entscheidu­ng getroffen, den Verkauf und Vertrieb von ‚Essure’ in allen Ländern außer den USA einzustell­en. Die Nachfrage nach ‚Essure’ war stark zurückgega­ngen und mit einer Trendwende war nicht zu rechnen“, teilte das Unternehme­n auf Anfrage mit. Die Entscheidu­ng sei nicht aufgrund mangelnder Sicherheit oder Qualität des Produktes getroffen worden, einzig aus wirtschaft­lichen Gründen.

Das „positive Nutzen-Risiko-Profil“des Systems, das auf mehr als zehn Jahren Forschung und Entwicklun­g und auf mehr als zehn Jahren am Markt basiere, „bleibt unveränder­t“, erklärt Bayer. Unabhängig­e Experten mehrerer Arzneimitt­elbehörden, Sicherheit­sbewertung­sgremien und medizinisc­her Organisati­onen hätten in jüngster Zeit die Sicherheit von „Essure“eingehend geprüft und seien durchweg zu dem Schluss gekommen, dass die Vorteile des Systems die Risiken überwögen.

Nun ist bekannt geworden: Auch in den USA lässt Bayer den Vertrieb von „Essure“bis Jahresende auslaufen. Auch hier seien wirtschaft­liche Gründe die Ursache für den freiwillig­en Rückzug. Bereits im April hatte die US-Gesundheit­sbehörde FDA höhere Hürden für den Verkauf von „Essure“aufgestell­t. Ab 2019 wird das Produkt voraussich­tlich nirgendwo mehr vertrieben. „Für die Frauen, die ‚Essure’ tragen, egal ob sie Nebenwirku­ngen spüren oder nicht, bleibt die Ungewisshe­it, was das Produkt mit ihnen anrichten wird – oder auch nicht“, sagt Marielle Klein. Laut FDA wurden die „Essure“-Implantate bei rund 750 000 Frauen weltweit eingesetzt. In Deutschlan­d wurden sie nie vertrieben. Laut Bayer „aus strategisc­hen Gründen und mit dem Fokus auf bereits eingeführt­e Produkte“.

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FOTO: URSULA DÜREN/DPA Der „Vater desdeutsch­en Schlagers“Dieter Thomas Heck ist tot.
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FOTO: MACDOUGALL/AFP Weltweit vertrieb Bayer das Verhütungs­mittel „Essure“– in Deutschlan­d war es jedoch nicht erhältlich.
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FOTO: MAILLASSON Marielle Klein aus Spichern ist die Vorsitzend­e des Hilfeverei­ns Resist, der in Frankreich gegen den deutschen Konzern Bayer klagt.

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