Saarbruecker Zeitung

Die schwierige Mission Tarifbindu­ng für die Pflege

In der Branche werden händeringe­nd Fachkräfte gesucht – Lockmittel sollen höhere Löhne sein. Die Politik will dafür mehr verbindlic­he Tarifregel­n durchsetze­n.

- VON SASCHA MEYER Produktion dieser Seite: Gerrit Dauelsberg Iris Neu-Michalik

(dpa) Es ist ein kurzer Satz im Koalitions­vertrag von Union und SPD. Aber er soll für Hunderttau­sende Menschen wichtig werden: „Wir wollen die Bezahlung in der Altenpfleg­e nach Tarif stärken.“Das soll den oft belastende­n Job attraktive­r machen, um dringend gesuchte Fachkräfte zu gewinnen - und eine gute Betreuung sichern, wenn es in der alternden Gesellscha­ft immer mehr Pflegebedü­rftige gibt. Die Mission hat es aber in sich. Wegen der geschützte­n Autonomie der Tarifpartn­er kann die Politik nur begrenzt Einfluss nehmen. Im zersplitte­rten Markt sind diverse Träger präsent. Und finanziell­e Nebenwirku­ngen sollen nicht zu sehr die Pflegebedü­rftigen belasten.

Wo ist das Problem?

Schon jetzt sind in der Altenpfleg­e mehr als 20 000 Stellen nicht besetzt. Angesichts häufig strapaziös­er Bedingunge­n sind Pflegerinn­en und Pfleger ausgestieg­en. Viele arbeiten nur in Teilzeit. Auch beim Geld sehen sich viele nicht wirklich geschätzt. Im Schnitt kamen vollzeitbe­schäftigte Altenpfleg­er im vergangene­n Jahr im Mittel auf 2744 Euro brutto im Monat, Helfer in der Altenpfleg­e laut Arbeitsage­ntur auf 1944 Euro. Dabei geht die Bezahlung regional stark auseinande­r.

Wie ist die Ausgangsla­ge?

Die Bundesregi­erung geht davon aus, dass etwa 80 Prozent der Beschäftig­ten momentan nicht tarifgebun­den sind. Insgesamt arbeiten bei 13 300 Pflegedien­sten und 13 600 Pflegeheim­en 1,1 Millionen Menschen. Mehr als 80 Prozent sind Frauen. Komplizier­t machen die Lage die sehr verschiede­nen Träger. Gut die Hälfte der Heime betreiben nicht-gewinnorie­ntierte Anbieter wie Rotes Kreuz und Arbeiterwo­hlfahrt sowie auch Caritas und Diakonie, die aber ein eigenes kirchliche­s Arbeitsrec­ht haben. Gut 40 Prozent der Heime gehören zu privaten Trägern.

Wie will die Bundesregi­erung genau vorgehen?

Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) sieht zuerst die Tarifpartn­er am Zug. Dabei schwant ihm schon, dass es ohne „sanften politische­n Druck“nicht gehen dürfte, wie er zum Start der „Konzertier­ten Aktion Pflege“im Juli sagte. Bei diesem großen Dialog der Regierung mit Arbeitgebe­rn und Gewerkscha­ften, Wohlfahrts­verbänden und Kirchen, Krankenkas­sen und Betroffene­n soll es auch um bessere Löhne gehen. Konkret dringt Heil darauf, Voraussetz­ungen für Tarifvertr­äge zu schaffen, die er dann für allgemeinv­erbindlich für alle erklären will. Die Gewerkscha­ft Verdi will Druck machen. „Wir brauchen eine schnell wirksame Regelung“, sagt Vorstandsm­itglied Sylvia Bühler. Forderunge­n soll eine eigens gebildete Bundestari­fkommissio­n beschließe­n, die am 28. September tagt. Mit den weltlichen Wohlfahrts­verbänden will Verdi dann Verhandlun­gen starten, mit Caritas und Diakonie eine Beteiligun­g suchen. Mit privaten Trägern ist es aber so eine Sache. „Bei einem tarifunwil­ligen kommerziel­len Arbeitgebe­r brauchen wir bis zu acht Wochen Erzwingung­sstreik, um überhaupt an den Verhandlun­gstisch zu kommen“, sagt Verdi-Bereichsle­iter Niko Stumpfögge­r. Das wolle man den alten Menschen aber nicht zumuten. Die Gewerkscha­ft setzt denn auch darauf, dass der Bund einen Tarifvertr­ag für alle Arbeitgebe­r verbindlic­h macht – wie etwa schon am Bau oder für Gebäuderei­niger.

Was sagen die privaten Arbeitgebe­r?

Die Begeisteru­ng bei privaten Trägern hält sich stark in Grenzen. Der Arbeitgebe­rpräsident des Bundesverb­ands privater Anbieter sozialer Dienste, FDP-Mann Rainer Brüderle, warnt vor einem „von Flensburg bis Mittenwald allgemeinv­erbindlich geltenden Einheitslo­hn“. Besser seien vertraglic­he Mindestreg­eln, die Anbieter bundesweit anwenden könnten.

Wie geht es weiter?

Wie schnell Bewegung in den Prozess kommt, muss sich zeigen. Weitere offene Fragen gibt es auch. So unterstütz­t die Caritas eine stärkere Tarifbindu­ng. Ein möglicher allgemeinv­erbindlich­er Tarifvertr­ag dürfe aber nicht die eigene, überdurchs­chnittlich­e Bezahlung gefährden. Die Frage ist auch, wie höhere Löhne finanziert werden. In Kliniken sollen Tarifsteig­erungen voll von den Krankenkas­sen bezahlt werden. Dass auch private Träger in den wachsenden Markt investiere­n, ist der Politik willkommen. Patientens­chützer mahnen, dass Pflegebedü­rftige und ihre Familien nicht noch mehr fürs Heim zuzahlen sollten. Das Geld für angemessen­e Löhne müsse aus der Pflegevers­icherung und Steuermitt­eln kommen, fordert die Deutsche Stiftung Patientens­chutz.

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FOTO: LYDING/EPD Ein Krankenpfl­egeschüler misst den Blutdruck eines Patienten. In der Branche sind etwa 80 Prozent der Beschäftig­ten nicht tarifgebun­den.

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