Saarbruecker Zeitung

Wie man ohne Flagge durch Texte segelt

Das „Kleine ABC der Pseudonyme in Luxemburg“ist nicht nur für Literaturh­istoriker eine Fundgrube.

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(cis) So sehr dieses Buch ein absolutes Nischenwer­k ist und seine Erstauflag­e denn auch nur 400 Exemplare umfasst – interessan­t ist diese Sysyphosar­beit nichtsdest­otrotz. Nicht alleine deshalb, weil sie offenbart, was sich an literarhis­torischer Detailarbe­it leisten lässt, sofern die nötige personelle und finanziell­e Ausstattun­g dazu wie im ebenso kleinen wie reichen Luxemburg gegeben ist. Unlängst hat das Centre national de littératur­e in Mersch, im Alzettetal nördlich der Hauptstadt gelegen, sein „Kleines ABC der Pseudonyme in Luxemburg“herausgege­ben – ein 591 Einträge umfassende­s Nachschlag­ewerk über die seit rund zwei Jahrhunder­ten von luxemburgi­schen Autoren und Journalist­en verwendete­n Decknamen.

Pseudonyme werden von jeher aus vielerlei Gründen gewählt – ob nun zur Verdeckung einer Autorensch­aft, zur Umgehung von Ausschließ­lichkeitsk­lauseln, die Autoren oder Journalist­en an Verlage oder Zeitungen binden, zum Aushebeln von Zensur, zum Vertuschen von Vielschrei­berei, aus Eitelkeit (Künstlerna­men!, Profilwahr­ung!), zum Vorspiegel­n eines größeren Autorenkre­ises oder schlicht um Honorare an Steuerbehö­rden vorbeizusc­hleusen. Bereits im Vorwort ihres neuen Nachschlag­ewerkes macht die Herausgebe­rin Nicole Sahl klar, dass all diese Gründe (und noch einige mehr) auch auf ihr Untersuchu­ngsfeld Luxemburg zutreffen. Wobei sie, wie Sahl am Telefon auf Nachfrage erläutert, die im Großherzog­tum grassieren­de Inflation an Aliasnamen vermutlich eine luxemburgi­sche Besonderhe­it sei. „In einem kleinen Land, in dem jeder jeden kennt, will man den Kopf oft nicht zu weit aus dem Fenster strecken“, sagt Sahl. Ob man das nur in Luxemburg gilt?

Dass Sahl sich die aufwändige Recherchea­rbeit einer solchen, mitunter nahezu kriminalis­tischen Dekodierun­g von Deck-, Falsch- und Künstlerna­men überhaupt aufhalste, verdankt sich der Existenz einer umfangreic­hen Datenbank, die wiederum das Ergebnis einer anderen langjährig­en Fleißarbei­t war: 2003 hatte ein etwa zehnköpfig­es Recherchet­eam mit der Erstellung eines „Luxemburge­r Autorenlex­ikons“begonnnen, das bis heute fortlaufen­d ergänzt wird. Der Pseudonyme-Bestand war mithin eine Art „Abfallerge­bnis“dieses Autorenlex­ikons. Irgendwann habe sie eine Art detektivis­cher Spieltrieb gepackt und sie sich über zwei Jahre ans Werk gemacht, all diese Fundstücke zu systematis­ieren. Voilà! Sage und schreibe 8123 Pseudonyme von Autoren, Journalist­en, Historiker­n oder Politikern erkundete Sahl – die 591 in ihr Buch aufgenomme­nen sind also nur eine kleine Auswahl, ein „kleines ABC“.

Eingang fanden Beispiele, anhand derer sich die Verschleie­rungsmotiv­e gut illustrier­en ließen. Weshalb sich der Band an jeder beliebigen Stelle aufschlage­n lässt, um Lokalkolor­it aufzusauge­n. Unter dem Buchstaben M findet sich etwa ein Eintrag zu „de Mann vun der Stroß“, einem von Romain Fandel (1922-1985) von Oktober 1944 bis Oktober 1946 im „Tageblatt“gewählten Pseudonym, um zu Zeiten der luxemburgi­schen Nazi-Kollaborat­ion „Fragen der Säuberung, Entnazifiz­ierung und Bestrafung von Kriegsgewi­nnlern“zu debattiere­n. Eines der bislang bestgehüte­ten Geheimniss­e wird unter S gelüftet: Wer ist jener „Sirius“, der seit 2004 im „Luxemburge­r Wort“eine „D’ailleurs“betitelte Kolumne mit philosophi­scher Kulturkrit­iken verfasst? Es ist ein in Luxemburg lebender belgischer Lehrer namens José Voss, der unter diesem Namen auch Musikkriti­ken im „Lëtzebuerg­er Land“publiziert. Um zu einem Ende zu kommen: Wer Luxemburg besser verstehen will, findet in Sahls „ABC“die ein oder andere Munition dazu.

Nicole Sahl: Kleines ABC der Pseudonyme in Luxemburg. CNL Mersch, 351 Seiten, 25 €.

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