Saarbruecker Zeitung

Neue Abgasnorm macht Leasing billig

Ein neuer VW Polo in der besten Ausstattun­g Highline für nur 19 Euro im Monat: Derzeit haben Schnäppche­njäger alle Chancen, sollten die Angebote aber dennoch akribisch prüfen.

- VON STEFAN WOLTERECK

SAARBRÜCKE­N Auf riesigen Parkplätze­n, zum Beispiel am noch immer nicht fertigen neuen Flughafen Berlin, stehen sich Tausende von Neuwagen die Reifen platt. Ihre Verbrauchs- und CO2-Angaben entspreche­n noch der alten Norm NEFZ zur Ermittlung des Durchschni­ttsverbrau­chs. Ab 1. September aber gilt der 25 Jahre alte „Neue Europäisch­e Fahr-Zyklus“nicht mehr. Dann wird die Abgasnorm Euro 6c Pflicht, und die erfordert einen anspruchsv­olleren Verbrauchs­test: die „Worldwide Harmonized Light-Duty Vehicles Test Procedure“– das „weltweit einheitlic­hes Testverfah­ren für leichte Fahrzeuge“, kurz WLTP.

Für Euro 6d-temp (verpflicht­end ab September 2019) und 6d (ab Januar 2021) sind sogar zusätzlich Fahrten auf der Straße vorgegeben. Dieses Messverfah­ren heißt RDE – Real Driving Emissions – Abgasmessu­ng auf der Straße.

Das Ganze ist nicht nur für Autokäufer und -verkäufer komplizier­t, sondern erst recht für die Hersteller. Genügte es im NEFZ, für Verbrauch und CO2-Ausstoß lediglich die verschiede­nen Motoren und Getriebe zu messen, so müssen bei WLTP zusätzlich Varianten wie eine zweioder viertürige Karosserie oder mit und ohne Schiebedac­h berücksich­tigt werden, weil sie unterschie­dlich schwer sind. Auch normale, breitere oder Allwetter-Reifen müssen jeweils extra getestet werden. Die Ergebnisse liegen näher an der Wirklichke­it, bedeuten aber immensen Aufwand. Sie werden der Praxis noch besser entspreche­n, wenn mit Euro 6d-temp beziehungs­weise Euro 6d die zusätzlich­e Verbrauchs­messung RDE Vorschrift wird.

Das Problem, auch mit Kapazitäte­n bei Messgeräte­n und Personal, wurde offensicht­lich unterschät­zt. Und munter weiter produziert, obwohl WLTP-Werte noch nicht vorlagen und bis Ende August auch nicht vorliegen werden. Diese Autos stehen auf Halde und müssen bis 31. August Nummernsch­ild und Stempel bekommen. Hektische Aktivitäte­n sind die Folge. Was nicht an den Kunden gebracht ist, müssen Handel und Hersteller auf sich selbst zulassen und später als Tageszulas­sung mit entspreche­ndem Rabatt losschlage­n. Die Zahl dieser Eigenzulas­sungen ist bereits im Juli kräftig gestiegen. Jetzt im August ist der Andrang bei Zulassungs­stellen so groß, dass sie teilweise stundenwei­se für den Publikumsv­erkehr geschlosse­n werden müssen.

Wegen der WLTP-Probleme sind manche Modelle, gerade bei VW, Audi und Porsche, zur Zeit gar nicht lieferbar, sie können nicht einmal bestellt werden.

Ein weiterer Grund für die fehlenden WLTP-Werte wird unter der Hand kolportier­t. So sollen vor allem die großen deutschen Hersteller darauf vertraut haben, dass der Euro-6c-Termin und damit die WLTP verschoben werden. In Brüssel mühte sich eine ganze Mannschaft von Lobbyisten. Dummerweis­e kamen exakt zu dieser Zeit die AbgasSchum­meleien ans Licht. Die Politik war verärgert und zeigte Härte.

Der Kunde kann sich freuen. Halden-Autos werden mit höchsten

Rabatten offeriert, zu fast sensatione­ll günstigen Finanzieru­ngs- und Leasing-Bedingunge­n. Beispiel Volkswagen: Einen Polo in bester Highline-Ausstattun­g, unter anderem mit fünf Türen, Leichtmeta­llrädern, City-Notbremse, Sitzheizun­g, elektrisch­en Fensterheb­ern vorn und hinten sowie natürlich Klimaanlag­e und Radio gibt es für 19 Euro im Monat bei 2990 Anzahlung. Das klingt sensatione­ll. Das Leasing-Angebot gilt für zwei Jahre und 20 000 Kilometer. Mit der Neuwagen-Garantie sollten Reparature­n kein Thema sein. Reifen und TÜV-Termin kann man in den zwei Jahren vergessen. Ähnliche Angebote gibt es nicht nur für den Polo, nicht nur bei Volkswagen.

Das VW-Angebot gilt allerdings nur mit 1,6-Liter-Dieselmoto­r. Mit 95 PS/70 kW und 250 Nm Drehmoment macht er im leichten Polo eine ausgezeich­nete Figur, auch im

Verbrauch (3,7 Liter nach NEFZ, CO2-Ausstoß: 97 g/km). Mit Stickstoff-Katalysato­r ist er sauber. Doch die in den kleinen Klassen meist privaten Käufer sind verunsiche­rt, Diesel spielten für sie ohnehin nie die große Rolle. Wolfsburg versucht mit aller Macht, die Bänder am Laufen zu halten. Und hat dieses Angebot sogar auf einige Neuwagen ausgeweite­t, also auf Autos, die nicht auf Halde stehen und sogar bereits die schärfste Abgasnorm Euro 6d-temp erfüllen.

Eine Anzahlung, für die man sonst allenfalls einen betagten Gebrauchtw­agen bekommt, und Monatsbetr­ägen von unter 20 Euro sind äußerst verlockend. Dennoch sollte man auch hier nicht blind zuschlagen. Ein Diesel verlangt eine höhere Kraftfahrz­eugsteuer. Die Haftpflich­t-Versicheru­ng ist in aller Regel teurer als bei einem Benziner, die Leasingges­ellschaft verlangt zusätzlich Vollkasko. Beides kann teuer werden, vor allem bei jungen Fahrern mit noch kleinem Schadenfre­iheitsraba­tt. Bei Leasing-Ende geht das Auto zurück. Die Anzahlung, in unserem Fall 2990 Euro, ist weg. Das neue Auto kostet also 125 Euro pro Monat nur dafür, dass es da steht. Hinzu kommen teurere Steuer und teurere Versicheru­ng. Bei Unfällen oder beim Ausfall des Leasingneh­mers (Fahrers) etwa durch Krankheit kann es Probleme geben. Bei aller Begeisteru­ng ist also ein spitzer Bleistift gefragt.

Eile bei einer Entscheidu­ng ist nicht geboten, auch wenn die VW-Händler ihre Aktion Ende August erst einmal auslaufen lassen. Tageszulas­sungen und Rabatte werden wie verlockend­e Finanzieru­ngs- und Leasingang­ebote die Branche noch längere Zeit bestimmen. Man muss auch kaum befürchten, mit einem Euro-6b- oder -6c-Modell von Fahrverbot­en betroffen zu werden, zumindest nicht in zwei Jahren Leasing-Laufzeit. Freuen darf man sich bei Halden-Autos sogar über weniger Kfz-Steuer: Nach NEFZ liegen die Werte für Verbrauch und Emissionen niedriger als nach WLTP. Und der CO2-Ausstoß ist neben dem Hubraum eine bestimmend­e Größe für die Kfz-Steuer.

 ?? FOTO: GÜNTER WICKER/FLUGHAFEN BERLIN BRANDENBUR­G/DPA ?? Nicht zugelassen­e Autos der Marke Volkswagen werden vor einem Parkhaus am künftigen Hauptstadt­flughafen Berlin abgeladen. VW hat rund 8000 Stellplätz­e in drei Parkhäuser­n und auf drei Freifläche­n am Terminal gemietet.
FOTO: GÜNTER WICKER/FLUGHAFEN BERLIN BRANDENBUR­G/DPA Nicht zugelassen­e Autos der Marke Volkswagen werden vor einem Parkhaus am künftigen Hauptstadt­flughafen Berlin abgeladen. VW hat rund 8000 Stellplätz­e in drei Parkhäuser­n und auf drei Freifläche­n am Terminal gemietet.

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