Wohlfühl-Oase an der Ostsee
Auf der Halbinsel Røsnaes, ganz im Westen von Seeland, erfahren Touristen, was das Lebensglück Dänemarks ausmacht.
KALUNDBORG Umspült von den Wellen der Ostsee erinnert die Form von Røsnaes’ spektakulärer Küstenlinie an einen gekrümmten arthritischen Finger, der über den Großen Belt hinüber aufs dänische Festland, nach Jütland, zeigt. Weit weg vom städtischen Trubel Kopenhagens beschreibt die schmale Landzunge einen beschaulichen Fleck ganz im Westen von Seeland, der größten Insel unseres skandinavischen Nachbarn Dänemark.
Es ist ein hügeliges Land zwischen steinigen, teils steilen Stränden, rau und urtümlich, das die gewaltige Kraft einer 20 000 Jahre zurückliegenden Eiszeit modelliert hat. Bedeutende Sehenswürdigkeiten sucht man auf Røsnaes vergeblich. Und im Grunde vermisst man sie auch nicht. Dafür bemüht sich die Natur in ihrer überwältigenden Schönheit um einen Ausgleich.
Mit der Angel am Wasser sitzen, um Meerforellen aus den fischreichen Gründen rund um die Halbinsel an Land zu ziehen oder am Strand nach Steinen suchen, während dicke Pötte zu Dutzenden vorbeischippern. Über weite Wiesen wandern, deren Gras glückliche Kühe kurz halten. Oder mit dem Rad einen Ausflug zum alten Leuchtturm an der Inselspitze machen und einen Blick in dessen historisches Museum werfen. Es gibt viele Möglichkeiten, einen ruhigen Urlaubstag auf Røsnaes mit Erlebnissen zu füllen. Ein Besuch auf Dänemarks größtem Weingut gehört unbedingt dazu.
Am nordwestlichen Rand der Industrieund Hafenstadt Kalundborg, dem Tor nach Røsnaes, beginnt die Straße Røsnaesvej und folgt dem Auf und Ab der Landschaft als schmales graues Band fast bis zum Ende der Landzunge. Auf Höhe der Hausnummer 254 liegt ein riesiger Hinkelstein im flach gemähten Gras neben der Straße und markiert die Einfahrt zum Weingut Dyrehøj Vingaard, wo Besitzer Tom Christensen preisgekrönte Weine produziert.
Ein Kiesweg, beschattet vom ausladenden Dach einer Lindenallee, bringt die Besucher zu dem hundert Jahre alten Hof, in dem einmal ein Bauer und sein Vieh lebten. In einem der restaurierten Gebäude, die den Innenhof umschließen, befindet sich ein Laden, der verkauft, was Christensen auf acht Hektar Land anbaut. Neben Bränden und Likören ist das vor allem Weißwein, dessen kühle klare Frische perfekt zur Gegend passt.
Vielleicht bietet sich ja gerade die Gelegenheit für eine geführte Tour in die Kellerei und durch die Reben mit anschließender Verkostung. Falls nicht, lassen sich die beiden letzten Programmpunkte auch im Alleingang bestreiten. Mit einem guten Tropfen im Gepäck geht es für eine Ruhepause in den Weinberg der Familie, beste Aussichten inklusive.
Auf der anderen Straßenseite ziehen sich die Rebstöcke in geraden Linien den Hang hinauf. Am höchsten Punkt steht eine Bank mitten im sonnigen Grün – ein netter Platz, um die mitgebrachte Flasche zu entkorken.
Vor uns eilen die Rebzeilen den Hang hinab. Fast bis zur Kante der Steilküste, wo mit „Horsedalen“eine von 13 Landmarken auf dem Wanderweg „Røsnaes Rundt“liegt – eine weitere Gelegenheit zum Picknicken, wobei der Blick bis nach Fünen reicht. Nicht zum ersten Mal wissen wir, wie sich Hygge anfühlt, jener Inbegriff allumfassender Gemütlichkeit, jenes angestrebte Lebensglück der Dänen.