Saarbruecker Zeitung

Wiener Charme an der Adria

In der Region Friaul-Julisch Venetien im Nordosten Italiens ist die österreich­ische Vergangenh­eit noch überall zu spüren.

- VON ALEXANDRA STAHL

UDINE (dpa) Toskana, Sizilien, Rimini: Wer an Italien denkt, hat wohl zunächst die bekannten Regionen des Landes im Kopf. Das im Nordosten gelegene Friaul-Julisch Venetien, im Italienisc­hen Friuli Venezia Giulia genannt, sagt vielen erstmal nichts. Dabei lohnt die Erkundung der autonomen Region östlich von Venedig, die lange zu Österreich gehörte und manchmal so wirkt, als habe sich daran nicht viel geändert. Für Besucher ist es eine Reise zwischen Bergen und Meer. Und in die Vergangenh­eit.

Los geht es in Udine. Die Stadt liegt im Herzen des Friaul. Knapp 100 000 Menschen leben hier. Zwischen Anwaltskan­zleien finden sich Luxusmode und Tabakfachg­eschäfte, so dass man auch im gut 300 Kilometer entfernten Salzburg sein könnte. Aber der Eindruck trügt: Auf der Piazza San Giacomo toben Kinder, gut gekleidete Männer telefonier­en mit ausschweif­enden Gesten. An der Piazza Libertà könnte man gar denken, man sei in Venedig: Die elegante Säulenhall­e Loggia del Lionello ist ein Höhepunkt der Stadt.

Rund 50 Kilometer weiter, am äußeren Ende des Golfs von Venedig, liegt Grado. „Seebad Grado – Österreich­isches Küstenland“steht auf einer Tafel an der Strandprom­enade: Werbung aus vergangene­n Zeiten. Der österreich­ische Adel verbrachte seine Sommer oft hier an der Adria. Und Österreich ist in Grado immer noch allgegenwä­rtig. Die Kellner begrüßen den Gast auf Deutsch, die Menütafeln der Restaurant­s sind es auch, im Café gibt es Kaiserwass­er.

Der größte Trumpf von Grado – auch Sonneninse­l genannt, weil alle Strände nach Süden ausgericht­et sind – ist die Lagune. 12 000 Hektar groß ist das flache Gewässer. Hier kann man Vögel beobachten, Pflanzen bestimmen oder einfach nur den Meeresgeru­ch genießen.

Weiter geht es nach Triest. Laut einer Umfrage vor einigen Jahren weiß die Mehrheit der Italiener gar nicht, dass Triest in ihrem Land liegt. Dabei ist es seit 1962 die Hauptstadt von Friaul-Julisch Venetien. Allerdings gilt es eben auch als das „Wien am Meer“. Die Architektu­r der Hafenstadt erinnert tatsächlic­h an die österreich­ische Hauptstadt.

Weil in den Kriegen kaum etwas zerstört wurde, lassen die Fassaden der herrschaft­lichen Häuser die Stadt wie eine Kulisse eines Jahrhunder­twenderoma­ns erscheinen. Auf einer Brücke am Canal Grande steht eine Statue von James Joyce. Der irische Schriftste­ller lebte einige Jahre in Triest, sprach neben Deutsch und Italienisc­h auch Triestino, den örtlichen Dialekt. Joyce arbeitete hier unter anderem an seinem Meisterwer­k „Ulysses“– und hing gerne in Cafés herum, in denen er zu viel Wein trank.

Bis heute sind die altehrwürd­igen Kaffeehäus­er beliebte Treffpunkt­e. Im Caffè San Marco oder im Caffè Tommaseo sieht es so opulent aus wie in den Wiener Pendants. Doch es herrscht italienisc­he Gelassenhe­it. „Triest ist eine entspannte Stadt“, sagt auch Tiziana Zamai, die Touristen die Geschichte der Stadt erläutert. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs gehörte Triest zu Österreich. Die Habsburger bauten es zur Hafenstadt aus. Danach fiel Triest an Italien, bis es nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs an Jugoslawie­ns Diktator Tito ging. Erst 1954 kam es zu Italien zurück.

Die Nähe zum Balkan und die österreich­ische Vergangenh­eit verleihen der Stadt internatio­nales Flair – und eine internatio­nale Küche. Neben alten Bauwerken wie dem antiken römischen Teatro Romano und vielen Museen heißt die Touristena­ttraktion Schloss Miramare. Es wurde einst im Auftrag von Erzherzog Ferdinand Maximilian von Österreich, dem Bruder von Kaiser Franz Joseph I., gebaut. Fünf Kilometer vor der Stadt ragt es ins Meer und ist noch wie im 19. Jahrhunder­t eingericht­et.

In den Bergen an der slowenisch­en Grenze, mitten in der Weinbaureg­ion Collio, liegt das kleine Dorf Cormòns. Der Slowene Josko Sirk hat auf seinem Grundstück eine weitläufig­e Ferienanla­ge namens „La Subida“geschaffen. Swimmingpo­ol, Reithalle, Tennisplat­z, Essig-Manufaktur, eine Osteria und ein Sternerest­aurant gehören dazu.

Wie wichtig Essen und Trinken im Friaul sind, merkt man hier immer wieder. In den Unterkünft­en liegen Weinführer, Gourmet-Zeitschrif­ten und Bildbände über die friaulisch­e Küche aus. In 18 Appartemen­ts, die Bauernhäus­ern nachempfun­den sind, aber nichts an Komfort vermissen lassen, können Gäste wohnen. Umgeben ist man von Geckos und Grün. Die hügelige Landschaft zieht Radfahrer und Wanderer an.

Unten im Ort steht Francesco Simonit in seiner Bäckerei, in der schon sein Großvater Teig wälzte. Der 73-Jährige backt noch selbst. Brot mit Pfeffer, Oliven oder Feigen ist seine Spezialitä­t. Er warnt, zum Pfefferbro­t – ein runder Keks – müsse man viel trinken. Tatsächlic­h ist das Gebäck schärfer als erwartet und gar nicht so zuckrig, wie es aussieht. Simonits Laden wiederum sieht noch so aus wie zur Eröffnung im vorigen Jahrhunder­t, das modernste im Laden dürfte das Telefon sein. Es hat eine Wählscheib­e. Auf die Frage, ob es funktionie­rt, ruft der Italiener: „Sì, sì!“

Ob er mal daran dachte, die Stadt zu verlassen und etwas anderes zu machen? Simonit kann mit der Frage nicht viel anfangen. „Nein, wir waren doch schon immer hier“, sagt er.

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FOTO:MARCO MILANI/PROMOTURIS­MO FVG/DPA Vor den Toren von Triest liegt Schloss Miramare. Im Inneren ist die Touristena­ttraktion noch wie im 19. Jahrhunder­t eingericht­et.

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