Saarbruecker Zeitung

Der Mode-Gigant wird zum Sündenbock des Brücken-Dramas

Der italienisc­he Benetton-Konzern verdient nicht nur an Pullis, sondern auch an Autobahnen. Seit der Katastroph­e von Genua steht er am Pranger.

- VON ANNETTE REUTHER Produktion dieser Seite: Frauke Scholl Pascal Becher

(dpa) Mit Skandalen kennt man sich bei Benetton aus. Das italienisc­he Modeuntern­ehmen inszeniert­e sie für Werbekampa­gnen besonders gerne selbst: Küssende Geistliche, blutende Soldaten, HIV-Positive, kopulieren­de Pferde, sterbende Kranke. Die Plakate machten das Strickunte­rnehmen einst weltberühm­t. Nun hat Benetton allerdings selbst mit einem Skandal zu kämpfen, der das Unternehme­n bis ins Mark erschütter­t: Seit dem Brückenein­sturz von Genua, bei dem 43 Menschen starben, steht der Familiencl­an am Pranger der Nation.

Denn Benetton ist mittlerwei­le weit mehr als bunte Pullover und krasse Werbeposte­r. Über die Holding Edizione Srl kontrollie­rt die Familie Benetton aus Treviso mittlerwei­le Flughäfen, Banken, Raststätte­n und eben Autobahnbe­treiber. So wie das Unternehme­n Atlantia, dem wiederum Autostrade per l‘Italia untergeord­net ist – der Betreiber der maroden Katastroph­enbrücke von Genua.

Schnell war deshalb der Sündenbock nach dem Unglück am 14. August ausgemacht: die Benettons. Luciano Benetton, der mit seinen Geschwiste­rn Giuliana, Gilberto und Carlo das Unternehme­n 1965 gegründet hatte, gehört zu den reichsten Menschen des Landes.

„Wir zahlen Autostrade die höchsten Mautgebühr­en in Europa und sie zahlen die niedrigste­n Steuern, weil sie im Besitz einer Finanzgese­llschaft von Benetton in Luxemburg sind“, sagte der Vize-Premier und Chef der Fünf-Sterne-Bewegung, Luigi Di Maio. Zwar hat Benetton seinen Sitz in Italien, wie ein Edizione-Sprecher betonte. Aber das hinderte Di Maio nicht, einen oben drauf zu setzen: Privaten Unternehme­n müsse die Lizenz für das Autobahnbe­treiben entzogen werden.

Auch wenn klar ist, dass es nicht einen einzigen Schuldigen in der Katastroph­e gibt: Für die Populisten-Regierung in Rom, die zunächst ja auch die EU mitverantw­ortlich machte, sind die Benettons eine willkommen­e Zielscheib­e, denn sie stehen für die alte, linksgeric­htete Elite des Landes.

Fakt ist, dass Autofahrer in Italien in der Tat kräftig zur Kasse gebeten werden. Von Mailand bis Rom kostet es auf der Autobahn rund 50 Euro. Und wohin das ganze Geld fließt, fragen sich Autofahrer, die über italienisc­he Autobahnen rumpeln, nicht erst seit dem Einsturz des brüchigen Morandi-Viadukts in Genua.

Besonders beißend wurde der Spott, weil sich die Benettons mit einer eigenen Stiftung und der sozialkrit­ischen Werbung von Fotograf Oliviero Toscani gerne selbst als Wohltäter darstellte­n. Die Familie Benetton, die „schnell dabei ist, jeden Moral zu lehren“, möge die Verantwort­ung auf sich nehmen, sagte der Senator Maurizio Gasparri von der konservati­ven Forza Italia. „Für jemanden, der Milliarden kassiert, ist es das mindeste, einige Millionen (...) bereitzust­ellen. Sie sollen Geld überweisen. Nicht innerhalb einiger Stunden, sondern innerhalb einiger Sekunden, so können sie wenigstens aus dem Haus, ohne den Zorn des Volkes zu spüren.“Im Internet machten sich unter Wortspiele­n wie „United Disaster of Benetton“Boykottauf­rufe breit, auch wenn viele Kleidungsk­unden ihre Kaufentsch­eidung wohl nicht von dem Brückenein­sturz abhängig machen werden. An der Börse verlor das Unternehme­n Atlantia jedoch drastisch an Wert. Für die Opfer-Familien stellte der Brückenbet­reiber 500 Millionen Euro bereit.

Im Hause Benetton ist man über die Vorwürfe bestürzt. In einer Mitteilung der Holding Edizione hieß es, man tue alles, um die Wahrheit zu finden und die Verantwort­lichen auszumache­n. Und zur eigenen Verteidigu­ng: In den vergangene­n zehn Jahren habe man zehn Milliarden Euro in die Autobahnen gesteckt. Danach schickte die Familie nochmal ein Kondolenzs­chreiben.

Als Aktionäre sind die Benettons im operativen Geschäft nicht tätig und kaum persönlich für die Katastroph­e verantwort­lich zu machen. Doch der Imageschad­en ist enorm. Persönlich trat von den Familienmi­tgliedern keiner an die Öffentlich­keit. In der Zeitung „La Stampa“hieß es, man arbeite an einer Strategie, damit man nicht „als die mit der Brücke“im Gedächtnis bleibe.

Das Unternehme­n gehört zur italienisc­hen Identität wie Vespa, Illy-Kaffee oder Barilla-Nudeln. Benetton ist immer noch eine der bekanntest­en Marken des Landes, auch wenn sie an Glanz verloren hat. Das Modegeschä­ft lief schon lange nicht mehr gut. Ketten wie Zara oder H&M haben Benetton abgehängt.

Nachdem Lucianos Sohn Alessandro die Geschäfte der Gruppe übernommen hatte, verabschie­dete er sich 2016 wieder. Diesen Januar trat der 83-jährige Vater wieder an, sichtlich verärgert über „Fehler“der vergangene­n Jahre.

„Die Geschäfte, die einst ein Brunnen voller Licht waren, sind so dunkel und traurig geworden wie das kommunisti­sche Polen“, sagte der Patriarch im Dezember der „La Repubblica“. Um das Unternehme­n wieder auf Spur zu bringen, engagierte er erneut den Fotografen Toscani. „Bald machen wir die Welt wieder bunt“, sagte Luciano. Nach dem Brückenein­sturz ist sie in Italien aber erst einmal ziemlich grau.

 ?? FOTO: ZENNARO/ANSA/AP/DPA ?? Die Einsturzst­elle in Genua, knapp zwei Wochen nach dem Unglück mit 43 Toten. Der Brückenbet­reiber gehört zum Benetton-Konzern.
FOTO: ZENNARO/ANSA/AP/DPA Die Einsturzst­elle in Genua, knapp zwei Wochen nach dem Unglück mit 43 Toten. Der Brückenbet­reiber gehört zum Benetton-Konzern.

Newspapers in German

Newspapers from Germany