Saarbruecker Zeitung

Schulpsych­ologe warnt vor Smartphone­s

Ein übermäßige­r und bildungsfe­rner Medienkons­um fördere bei Schülern Lernproble­me und Verhaltens­auffälligk­eiten.

- VON TERESA BAUER

Kinder und Jugendlich­e hängen oft nur noch an ihren Smartphone­s – auch in der Schule. Frankreich hat dieser Tatsache nun einen Riegel vorgeschob­en und ein landesweit­es Handyverbo­t an Schulen ausgesproc­hen. Dies begrüßt auch der saarländis­che Schulpsych­ologe Holger Weikopf. Er sieht den wachsenden Medienkons­um bei Minderjähr­igen und die „stillschwe­igende Akzeptanz von Eltern und Lehrern“äußerst kritisch. „Ich beobachte seit Jahren einen Anstieg von Verhaltens­auffälligk­eiten und Lernproble­men in allen Schulforme­n, die bei näherer Betrachtun­g meist mit übermäßige­r Mediennutz­ung einhergehe­n. Auch kommt es verstärkt zu digitalen Straftaten in Form von Mobbing und Verletzung­en von Persönlich­keitsrecht­en, wobei Eltern und Lehrer im Einzelfall meist komplett uninformie­rt bleiben.“ In Gesprächen mit Schülern werde deutlich, dass Schule immer häufiger als Ort der Angst, der Demütigung und der psychische­n Gewalt erlebt wird.

Das Saar-Bildungsmi­nisterium lässt den Schulen im Saarland freie Hand, wie und wann sie die Nutzung von mobilen Endgeräten in ihren Räumen erlauben. Oft sind die Regeln in der Schulordnu­ng mit dem Hinweis auf ein „Handygebot“festgelegt. Das heißt, Schüler dürfen ihre Smartphone­s zwar zur Schule mitbringen, müssen sie aber ausgeschal­tet lassen. Dies begünstige nach Ansicht des Psychologe­n aber die Probleme, da die Regel leicht zu umgehen sei und oft ignoriert werde. „Auf die technische­n Entwicklun­gen, welche immer fragwürdig­ere Möglichkei­ten bieten, wurde und wird von offizielle­r Seite nicht angemessen reagiert. In Frankreich hat man nun erkannt, dass die überwiegen­d bildungsfe­rne Endgeräten­utzung bei Minderjähr­igen auch nicht vor den Toren der Schule halt macht. Das lässt auf Einsicht hierzuland­e hoffen.“

Doch auch die Eltern, die ihren Kindern zu früh einen unbeaufsic­htigten Internetzu­gang ermögliche­n, seien laut Weikopf mitverantw­ortlich. Das Internet sei ein Abbild der Erwachsene­nwelt, das Kinder nur gemeinsam mit den Eltern besuchen sollten. „Um übermäßige, rechtswidr­ige oder altersunan­gemessene Nutzung auszuschli­eßen, müssten die Geräte zumindest kindgerech­t eingericht­et und mit entspreche­nden Filtern versehen sein. Ein Aufwand, den nur sehr wenige Eltern betreiben.“

Was Weikopf zusätzlich auffällt: Ein übermäßige­r Medienkons­um wirke sich negativ auf kognitive und soziale Lernprozes­se der Kinder aus. „Kinder haben ein noch instabiles Selbstbild, das nur durch reale soziale und motorische Erfahrunge­n gestärkt wird“, sagt der Psychologe. Wenn dem Kind bewusst werde, dass seine Schulleist­ungen schwach sind und es mit den Klassenkam­eraden nicht mithalten kann, und gleichzeit­ig „digitale Zerstreuun­g im Übermaß zur Verfügung hat, wird diese zunehmend zur Hauptquell­e innerer Selbstbest­ätigung, einem klassische­n Suchtverla­uf nicht unähnlich. Das Selbstbild bleibt so allerdings instabil und die Lerndefizi­te vergrößern sich gewöhnlich.“Weikopf nennt dies „unbewusste­s digitales Lernvermei­den“. Die Mediennutz­ung werde zum Lebensmitt­elpunkt. Wichtige Komponente­n der sozialen Entwicklun­g, wie Konfliktfä­higkeit oder Frustratio­nstoleranz, würden nicht ausreichen­d geübt. „Integratio­nsprobleme im späteren Berufslebe­n sind damit vorprogram­miert, was an der stetig steigenden Anzahl unbesetzte­r Ausbildung­sstellen schon jetzt erkennbar ist.“

Zwar zeige die Mehrzahl der Schüler trotz intensiver Mediennutz­ung gute Schulleist­ungen, was erfreulich sei, aber „kein Grund zur Entwarnung ist“, sagt Weikopf. Denn gerade Kinder mit Lern- und Verhaltens­problemen neigten zum übermäßige­n Abdriften in digitale Welten. „Und diese Gruppe wächst.“

Der Psychologe fordert neben verantwort­ungsvollem Elternverh­alten und der gesellscha­ftlichen Ächtung „digitaler Spielzeuge und potentiell­er Tatwaffen“an Schulen auch ausgearbei­tete digitale Unterricht­skonzepte und aus- und fortgebild­ete Lehrer. „Medienkomp­etenz entsteht nicht von allein. Es reicht nicht, Kinder mit multifunkt­ionalen Geräten auszustatt­en und den Rest dem Zufall zu überlassen. Ohne durchdacht­e Anleitung durch Eltern und Lehrer bleibt die Entwicklun­g einer bei allen Kindern angemessen­en und lernförder­nden Mediennutz­ung nur Wunschdenk­en.“

„Auf die technische­n Entwicklun­gen, welche immer fragwürdig­ere Möglichkei­ten bieten, wurde und wird von offizielle­r Seite nicht angemessen reagiert.“

Holger Weikopf Schulpsych­ologe

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FOTO: SVEN HOPPE/DPA An die Regel, das Smartphone im Unterricht ausgeschal­tet zu lassen, halten sich nach Ansicht des Schulpsych­ologen nur wenige Schüler.

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