Haftbefehl zu Chemnitz im Internet verbreitet
PORTRÄT Sachsens Regierungschef muss derzeit viele Fragen beantworten.
Neuer Ärger in Chemnitz: Weil ein Haftbefehl gegen einen der mutmaßlichen Messerstecher im Netz auftaucht, geraten die Behörden weiter unter Druck – genau wie Regierungschef Kretschmer.
DRESDEN (dpa) Michael Kretschmer wirkt angespannt in diesen Tagen, Sachsens Ministerpräsident sieht müde aus. Seit den Ausschreitungen in Chemnitz häufen sich die Interview-Wünsche in der Staatskanzlei. Der 43-Jährige ist ein gefragter Mann, und er muss schwierige Fragen beantworten. Dabei hatte er die Sachsen-CDU nach der Schlappe bei der Bundestagswahl 2017, als die Partei im Freistaat knapp hinter der AfD gelandet war, zunächst aus der Lethargie gerissen. Unermüdlich wirbt Kretschmer seither bei zahlreichen Terminen um verlorenes Vertrauen. Manchmal sind es so viele Termine an einem Tag, dass man glauben könnte, es seien mindestens zwei Kretschmer-Double unterwegs. Und doch wird der Regierungschef immer wieder ausgebremst.
Nachdem sein Vorgänger Stanislaw Tillich im Herbst 2017 gegangen war, gab die CDU ihrem bisherigen Generalsekretär Kretschmer zunächst viel Rückhalt. Mit 90 Prozent fiel das Votum für den neuen Parteichef überraschend deutlich aus, wenige Tage später wurde er ohne Pannen zum Ministerpräsidenten gewählt – als einer der jüngsten in der Geschichte.
Dabei sah kurz zuvor die Karriere des Görlitzers alles andere als rosig aus. Bei der Bundestagswahl verlor er ausgerechnet in seiner Heimatregion das Direktmandat gegen einen bis dato namenlosen AfD-Mann. Am Tag darauf räumte er ein, keinen „Plan B“zu haben. Kretschmer sprach von einem „ordentlichen Magenschwinger“, den er genau wie die CDU erhalten habe. „Das ist eine Zäsur für mich persönlich.“
Denn bis dahin war er genauso erfolgsverwöhnt wie die sächsische CDU, die nach der Wende dreimal hintereinander die absolute Mehrheit errang und erst seit 2004 die Macht teilen muss. 2005 war Kretschmer Generalsekretär geworden. 2009 wurde er Vizefraktionschef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und war unter anderem für Forschung und Bildung verantwortlich. Dabei erwies er sich als fähiger Netzwerker, der immer wieder Fördermittel in den Freistaat lotste.
Politisch gesehen ist Kretschmer so etwas wie ein „Wendekind“. „Für Politik begeisterten mich Freunde aus der Jungen Gemeinde, mit denen ich im Wendeherbst 1989 die Friedensgebete in Görlitz besuchte. Eine bis heute prägende Zeit“, betont er. Tatsächlich stieg er schon mit 19 in den Politikbetrieb ein – als Stadtrat in Görlitz. Der gelernte Informationselektroniker studierte später in Dresden Wirtschaftsingenieurwesen.
Schon lange wurde er als Tillichs Kronprinz gehandelt. Die Opposition erinnert ihn auch immer wieder genüsslich daran, dass er die Zustände in Sachsen als langjähriger Generalsekretär mitzuverantworten habe. Kretschmer muss nun schnell liefern, die AfD sitzt ihm im Nacken. Bei der jüngsten Wahlumfrage landete die CDU bei 30 Prozent, die AfD bei 25.
Kritik brachte Kretschmer zuletzt auch ein Tweet nach dem Vorgehen von Polizisten gegen Journalisten am Rande einer Pegida-Kundgebung in Dresden ein. „Die einzigen Personen, die in diesem Video seriös auftreten, sind Polizisten“, schrieb Kretschmer zu dem Fall zunächst. Später stellte sich heraus, dass es sich bei einem Pegida-Mann um einen LKA-Mitarbeiter handelte. Nicht nur im Internet folgte reichlich Häme.