Saarbruecker Zeitung

Lob und Kritik für neues Rentenpake­t

Renten-Garantie bis 2025, mehr Mütterrent­e, geringere Arbeitslos­enBeiträge. Die Koalition schnürt ein Sozial-Paket.

- VON WERNER KOLHOFF

(dpa/epd) Die große Koalition hat für ihre Einigung über Verbesseru­ngen bei der Rente Kritik mit unterschie­dlicher Stoßrichtu­ng geerntet. „Das Rentenpake­t ist unfair, denn es wird auf die geburtensc­hwachen Jahrgänge unserer Kinder und Enkelkinde­r als milliarden­schwerer Kostenbume­rang zurückkomm­en“, sagte Arbeitgebe­rpräsident Ingo Kramer. Der Sozialverb­and VdK dagegen bezeichnet­e die Sicherung des Rentennive­aus bei 48 Prozent bis 2025 als nicht ausreichen­d. Ziel müsse es sein, dass das Rentennive­au über 2025 hinaus stabilisie­rt und auf 50 Prozent angehoben werde. Dagegen sagte SPD-Chefin Andrea Nahles, man habe mit den Beschlüsse­n für viele Millionen Menschen mehr Sicherheit geschaffen.

Das Bundeskabi­nett brachte gestern das Rentenpake­t von Sozialmini­ster Hubertus Heil (SPD) auf den Weg, auf das sich am Abend zuvor die Koalitions­spitzen geeinigt hatten. Das Paket sieht unter anderem vor, dass das aktuelle Rentennive­au von 48 Prozent bis 2025 stabilisie­rt werden soll. Das bedeutet, dass eine Standardre­nte nach 45 Beitragsja­hren nicht unter 48 Prozent des aktuellen Durchschni­ttsverdien­stes sinkt. Der Beitragssa­tz soll nicht über 20 Prozent steigen – aktuell liegt er bei 18,6 Prozent. Daneben einigte sich die Koalition auch auf eine schrittwei­se Senkung des Beitrags zur Arbeitslos­enversiche­rung um 0,5 Prozentpun­kte.

Das Rentenpake­t sieht auch vor, Leistungen bei Erwerbsmin­derung zu verbessern, Beschäftig­te mit geringem Einkommen in sogenannte­n Midi-Jobs bei den Rentenvers­icherungsb­eiträgen zu entlasten und bei der Mütterrent­e die Anerkennun­g von Erziehungs­zeiten auf vor 1992 geborene Kinder auszuweite­n.

Um 00.12 Uhr verbreitet­e die Pressestel­le der Union die Ergebnisse des nächtliche­n Koalitions­gipfels, sieben Minuten vor der SPD. Da hatte sich der Streit um das Rentenpake­t in Luft aufgelöst; schon am Morgen wurde alles im Kabinett auch offiziell beschlosse­n. Sozialmini­ster Hubertus Heil (SPD), um dessen Vorschläge es ging, zeigte sich „sehr zufrieden“. Scharfe Kritik kam am Tag danach von der Wirtschaft. Eine Übersicht über die Beschlüsse:

Rentennive­au: Die „doppelte Haltelinie“, die schon im Koalitions­vertrag steht, ist jetzt amtlich: Das durchschni­ttliche Rentennive­au soll nicht unter 48 Prozent des Einkommens sinken; der Beitrag nicht über 20 Prozent steigen. Derzeit liegt er bei 18,6 Prozent. Das Ganze gilt freilich nur bis 2025. Was danach kommt, wenn es immer mehr Rentner und immer weniger Arbeitnehm­er gibt, bleibt offen. Dazu soll bis zum März 2020 eine Expertenko­mmission Vorschläge machen. Die Forderung der SPD, schon jetzt ein langfristi­ges Rentennive­au von 48 Prozent festzulege­n, wurde nicht aufgegriff­en. Eine ähnliche Festlegung auf der Beitragsse­ite verlangte Arbeitgebe­rpräsident Ingo Kramer. Die gesamten Sozialabga­ben müssten langfristi­g unter 40 Prozent gehalten werden. Derzeit liegen sie bei 39,75 Prozent.

Rentenverb­esserungen: Die sogenannte Mütterrent­e wird ausgeweite­t. Zu den schon geltenden zwei Entgeltpun­kten für vor 1992 geborene Kinder kommt nun ein halber Prozentpun­kt dazu. Rund zehn Millionen Mütter können damit auf rund 16 Euro mehr Rente im Monat hoffen. Eine gewisse Benachteil­igung gibt es damit immer noch, wie aus der CDU-Frauenunio­n sogleich bemängelt wurde. Denn für nach 1992 geborene Kinder werden drei Beitragspu­nkte gutgeschri­eben. Mehr Geld gibt es auch für Erwerbsgem­inderte. Bei ihnen wird künftig schrittwei­se ein fiktives Renteneint­rittsalter von 67 Jahren zugrunde gelegt. Und nicht 62 Jahre wie bisher.

Arbeitnehm­er-Entlastung: Darüber war am meisten gestritten worden. Weil die Arbeitslos­igkeit so niedrig ist, ist die Kasse der Arbeitslos­enversiche­rung voll. Um 0,3 Punkte solle der Beitrag gesenkt werden, hatten Union und SPD im Koalitions­vertrag vereinbart. CDU und CSU verlangten zuletzt jedoch mehr, mindestens minus 0,5 Prozentpun­kte. Die Lösung: Zum 1. Januar sinkt der Beitrag durch eine Gesetzesän­derung um 0,4 Prozentpun­kte, weitere 0,1 kommen per Verordnung befristet bis 2022 hinzu. Ob das längerfris­tig hält, soll davon abhängen, ob die Rücklagen bei der Bundesagen­tur für Arbeit auch dann noch über 22,5 Milliarden Euro liegen. Für durchschni­ttlich verdienend­e Arbeitnehm­er macht der Beschluss monatlich 16 Euro mehr im Portemonna­ie aus. Midijobber können sogar auf ein Plus von 23 Euro kommen, weil die Verdienstg­renze, bis zu der nur reduzierte Sozialbeit­räge anfallen, von 850 auf 1300 Euro erhöht wird. Erwerbslos­e sollen künftig das Arbeitslos­engeld I schon bekommen, wenn sie innerhalb von 30 statt bisher 24 Monaten zwölf Monate gearbeitet haben.

Sonstiges: Bekräftigt wurde die Absicht, noch im September im Kabinett über die Verschärfu­ng der Mietpreisb­remse, das Baukinderg­eld und die Förderung des Wohnungsne­ubaus zu entscheide­n. Gleiches gilt für die Förderung der berufliche­n Weiterbild­ung.

Reaktionen: Außerhalb der Koalition gab es nur Kritik. Von „teurer Klientelpo­litik“und der „Verteilung ungedeckte­r Rentenpunk­te“sprach der Maschinenb­auverband VDMA. Die Initiative Soziale Marktwirts­chaft berechnete die Gesamtkost­en mit 48 Milliarden Euro bis 2025, bis 2045 seien es weitere 239 Milliarden Euro. Das werde zu höheren Beiträgen führen. Arbeitgebe­rpräsident Kramer sagte, das Rentenpake­t sei „unfair“, denn es werde als „Kostenbume­rang“auf die jüngere Generation zurückkomm­en. Kritik kam auch vom Handwerk und den Opposition­sparteien.

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FOTO: KUMM/DPA Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) brachte die Kompromiss­e der Koalition auf den Weg.

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