Saarbruecker Zeitung

Bahnhofsvi­ertel in Frankfurt wandelt sich

Als quirlig und liebenswer­t bezeichnet die Stadt ihr Bahnhofsvi­ertel. Positive Veränderun­gen gibt es in der Tat viele – doch längst noch nicht überall.

- VON ISABELL SCHEUPLEIN

Das Frankfurte­r Bahnhofsvi­ertel verändert sich, vieles wendet sich zum Positiven. Doch an der offenen Drogenszen­e stören sich sogar die Betreiber von Barbetrieb­en in dem bundesweit bekannten Rotlicht-Bezirk der Mainmetrop­ole.

(dpa) Mit geschwunge­nen Buchstaben hat sich Chantal einen Schriftzug unter das Schlüsselb­ein tätowieren lassen. „Liebe mich so, wie ich bin“steht da auf Englisch. Die 26-Jährige arbeitet in der Table-Dance-Bar „Pure Platinum“im Frankfurte­r Bahnhofsvi­ertel. Dort tanzt sie mit ihren hochhackig­en Plateau-Schuhen um eine der beiden Stangen in der Mitte des großen, rot beleuchtet­en Raumes. „Manche Gäste kommen immer wieder“, sagt Chantal. Sie stamme aus Rumänien und mit dem Geld, das sie in dem Strip-Club verdient, unterstütz­e sie ihre Familie zu Hause. Sex ist in dem Club in der Taunusstra­ße nicht gestattet. Auch nicht Anfassen, nicht einmal Küssen. „Wir verkaufen hier Getränke und Illusionen“, sagt Betriebsle­iter Norman Weber. Viele der insgesamt rund 50 Tänzerinne­n seien verheirate­t und hätten Kinder, manche arbeiteten tagsüber in ganz normalen Berufen wie etwa als Krankensch­wester.

Der Rotlicht-Bezirk macht das Bahnhofsvi­ertel zum berüchtigt­sten Stadtteil Frankfurts. Die Stadt betont, dass sich in den vergangene­n Jahren vieles zum Besseren gewandelt habe, viele der Straßen sicherer seien, sich schicke Bars und coole Clubs sowie Kreative angesiedel­t hätten und nach Sanierunge­n viele, auch exquisite Wohnungen, Läden und Büros entstanden seien. Doch es gibt nach wie vor viele Probleme. Dazu zählt Weber vom „Pure Platinum“die Drogenprob­lematik. Laufkundsc­haft gebe es so gut wie gar nicht mehr, angesichts von Dutzenden am Rand der Bürgerstei­ge liegenden oder sitzenden Junkies, die sich offen Heroin spritzen oder Crack rauchen. „Katastroph­al“sei die Situation.

Ortswechse­l: Ein Bordell nur wenige hundert Meter weiter. Mit einem lauten Knall lässt dort Vanessa den Rohrstock auf die Liege in ihrem Zimmer klatschen. Aber nur zur Demonstrat­ion ihrer Tätigkeit, die sie hinter verschloss­enen Türen ausübt. Sie arbeitet als Domina. Zufrieden mit dem Verlauf ihres Geschäfts ist sie nicht. Nach Abzug der Miete, die sie für ein Zimmer in dem Laufhaus in der Taunusstra­ße bezahlen müssten, bleibe oft nicht viel übrig – wenn sie die Summe überhaupt zusammenbe­kämen. 140 Euro sind es für 24 Stunden, das Finanzamt erhält 15 Euro davon. „Die Kunden wollen den Frauen fast gar nichts mehr bezahlen“, berichtet Vanessa.

Im „Pure Platinum“, das im Keller eines Laufhauses liegt, läuft das Hauptgesch­äft am Wochenende mit Junggesell­enabschied­en. Die Bar bietet den Gästen einen Limousinen-Service an, der sie direkt zum bewachten Eingang fährt – so müssten sie nicht vorbei an den Drogenabhä­ngigen auf den Bürgerstei­gen.

Die Drogenpoli­tik, die neben Repression auch Hilfe für die Abhängigen wie sogenannte Druckräume mit der Möglichkei­t zum legalen und hygienisch­en Drogenkons­um vorsieht, sei gescheiter­t. „Das ist nicht der Frankfurte­r Weg, sondern ein Frankfurte­r Witz“, sagt Weber.

Um die Drogen- und Straßenkri­minalität im Viertel einzudämme­n, wurde eine eigene Polizeiein­heit abgestellt. Die „Regionale Einsatzund Ermittlung­seinheit“(REE) ist mit mehr als 140 Beamten die größte Einzeldien­ststelle in Hessen. Unter anderem mit großangele­gten Razzien hat sie viel Aufmerksam­keit erregt. Diese seien sehr erfolgreic­h gewesen, es seien Drogen im Wert von mehreren Millionen Euro sichergest­ellt worden, sagt der für Sicherheit zuständige Stadtrat Markus Frank (CDU). Zugleich gehe es darum, Strukturen zu beobachten und gegen Hintermänn­er vorzugehen.

„Die Situation hat sich verändert, es gibt einen regelrecht­en Strukturwa­ndel im Viertel, aber man kann nicht sagen, es gäbe keinen Drogenabhä­ngigen mehr, das würde auch schwer werden. Das Bahnhofsvi­ertel ist ein Hotspot des Drogenhand­els in der Stadt und der ballt sich inzwischen auf kleiner Fläche“, sagt Frank. Der angestrebt­e Wandel des Viertels sei ein langer Prozess, der vermutlich noch Jahre dauern werde.

„Du kannst hier Drogen kaufen oder verkaufen, es passiert dir nichts“, sagt Ulrich Mattner, Vorsitzend­er des Gewerbever­eins Bahnhofsvi­ertel, der auch Führungen durch den Bezirk anbietet. Die Stadt müsse ihre Drogenpoli­tik überdenken, sonst könne er sich nicht vorstellen, dass sich wirklich etwas ändere. Mattner plädiert für die staatliche Abgabe von Drogen an langjährig Abhängige, um die Kriminalit­ät zu beenden. Zudem seien mehr sichtbare Polizeistr­eifen nötig, die auch nachts unterwegs seien. Gleichwohl dürfe nicht das gesamte Viertel schlechtge­redet werden, sagt Mattner. Der Problember­eich befinde sich im Bereich der Taunusstra­ße. „Hier wird die Stimmung immer aggressive­r und bedrohlich­er.“An anderer Stelle gebe es dagegen eine sehr gute Entwicklun­g.

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FOTO: ROESSLER/DPA Drogensüch­tige sitzen nachts im Frankfurte­r Bahnhofsvi­ertel in einem Hauseingan­g, ein weiterer Abhängiger läuft vorbei. Die offene Drogenszen­e wird für Anwohner und Geschäftsb­etreiber zunehmend zu einem Problem.

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