Saarbruecker Zeitung

„Dieser Trend bedroht unsere Menschheit“

Der Biologe spricht über 50 Jahre „Club of Rome“, wie er dort als Co-Präsident die Welt retten will – und die „Grenzen des Wachstums“.

- DAS INTERVIEW FÜHRTE PASCAL BECHER

Für den „Club of Rome“ist die Sache eindeutig: Wenn wir so weitermach­en wie bisher, dann kollabiert die Welt in ein paar Jahrzehnte­n. Einer von ihnen ist Professor Ernst Ulrich von Weizsäcker. Der Co-Präsident weiß aber auch, alle bisherigen Warnungen kommen nicht richtig an. Deshalb fordert er jetzt eine Revolution für die Umwelt.

Herr von Weizsäcker, der „Club of Rome“will die Welt schon seit 50 Jahren retten, indem er global eine nachhaltig­e Lebensweis­e etabliert. Um es mal hart zu sagen: Sind Sie damit nicht gescheiter­t?

WEIZSÄCKER Ja und Nein.

Das Scheitern des Wandels attestiert dem Club auch Jørgen Randers. Und der Norweger ist immerhin einer Ihrer prominente­sten Mitstreite­r. Co-Autor von „Die Grenzen des Wachstums“. Ihr bislang erfolgreic­hstes Buch.

WEIZSÄCKER Es war auch unser bislang durchdring­endster Weckruf. Die Thesen haben sich in vielen Gemütern niedergesc­hlagen. Ich bin mir sicher: Wenn wir dieses Buch 1972 nicht veröffentl­icht hätten, wäre alles noch viel, viel schlimmer geworden. Dann hätte man die globale Erwärmung, als eine der existenzie­llen Gefahren für das Überleben der Menschheit, vermutlich noch heute nicht auf der politische­n Agenda. Genau wie die Folgen des Waldsterbe­ns oder der Meeresvers­chmutzung.

Also sind Sie gar nicht gescheiter­t?

WEIZSÄCKER Doch, das stimmt leider auch. Von 1972 an bis heute hat sich die Weltbevölk­erung ungefähr verdreifac­ht und unser Konsum verzehnfac­ht. Die Ozeane haben sich dramatisch verschlech­tert. Die Klimaverän­derung ist inzwischen sogar als bedrohlich anzusehen. Dieses Jahr ist krass. Hinzu kommt die gigantisch­e Zerstörung der biologisch­en Vielfalt. Täglich sterben Dutzende Pflanzen- und Tierarten aus. Die Welt hat die „Grenzen des Wachstums“keineswegs respektier­t.

Beschreibe­n Sie bitte mal die Kernthese des Buches.

WEIZSÄCKER Gerne. Man nahm damals vereinfach­end fünf Parameter als maßgeblich an: die Bevölkerun­g, die verbraucht­e Nahrung pro Kopf, der Industrie-Output pro Kopf, die Umweltvers­chmutzung und die Ressourcen­verfügbark­eit. Man hat ausgerechn­et, wenn sich diese Parameter so weiter entwickeln wie bisher, würde die Welt in deutlich weniger als 100 Jahren einen gigantisch­en Kollaps erleben. Das war zwar eine recht primitive Mathematik, aber im Kern stimmt die These. Das war damals ein Schock. Man hatte in den 1960er Jahren die Vorstellun­g: Ein Wirtschaft­swachstum von sechs Prozent sei normal und dass das immer so weiter gehen wird.

Wäre so ein Notruf heute nicht auch wieder nötig? In Europa erstarken derzeit rechte Parteien, die allesamt den Klimawande­l leugnen. Genau wie der US-Präsident Donald Trump…

WEIZSÄCKER Dieser politische Trend erschreckt mich. Er bedroht unsere Menschheit.

Wenn wir so weitermach­en wie bisher, wann erreichen wir das Jahr, in dem die Welt kollabiert?

WEIZSÄCKER Es wäre unseriös, Zahlen zu nennen. Eher sollte man die Tipping-Points im Blick halten.

Das sind Punkte, an denen markante Änderungen eintreten. Geben Sie mal ein Beispiel?

WEIZSÄCKER Die Erwärmung führt dazu, dass das Grundeis in der Tundra von Sibirien und Kanada schmilzt. Dabei werden gigantisch­e Mengen Methan freigesetz­t, und das ist ein schlimmere­s Gas für das Weltklima als Kohlenstof­fdioxid. Irgendwann kann ein Punkt erreicht werden, an dem eine sich selbst beschleuni­gende Katastroph­e ausgelöst wird.

Was bedeutet das?

WEIZSÄCKER Dann geht es nicht mehr um ein Viertel Grad mehr beim Erdklima. So stolpern wir locker über die Drei-Grad-Marke. Das wäre eine ganz üble Geschichte. Das Polareis im Süden und Norden könnte ins Meer rutschen. Einschließ­lich Grönland. Und der Meeresspie­gel stiege dann um mehrere Meter an. Was ist dann mit Amsterdam? Was mit Hamburg? Helsinki? Ägypten, Bangladesc­h und Florida? Oder den Millionen-Metropolen an den asiatische­n Küsten? Das wäre eine noch viel schlimmere Katastroph­e als Tschernoby­l und Fukushima. Aber ich habe das Gefühl, dass die Meeresspie­gel als Problem in der Mitte der Gesellscha­ft angekommen sind.

Noch rechtzeiti­g?

WEIZSÄCKER Ich hoffe es. Nur: Die heutigen Nachhaltig­keitstrend­s sind nicht effektiv genug, um diesen negative Entwicklun­g zu stoppen. Wir brauchen ein tiefgreife­ndes Umdenken, eine neue Aufklärung.

Eine Revolution fürs Weltklima also.

WEIZSÄCKER Der praktisch regellose

globale Markt ist ein primitiver Wachstums- und Profitmark­t. Für die Sorgen über Klima, Ozeane oder biologisch­e Vielfalt hat der keine Antenne. Und wenn wir Regeln einführen wollen, brüllen die Amerikaner, das sei das Ende der Freiheit und des Wohlstands, und die neuen rechtsgeri­chteten Parteien brüllen mit.

Revolution­äre Regeländer­ungen machen den Menschen aber Angst.

WEIZSÄCKER Wir wissen das. In unserem neuen Buch „Wir sind dran“jammern wir nicht, sondern machen sozial- und wirtschaft­sverträgli­che Poltikvors­chläge. Man muss ja die Regeln nicht explosions­artig einführen. Die Menschen sollen ja mitgehen können. Klimaschut­z, Kontrolle der Finanzmärk­te, eine sanfte ökologisch­e Steuerrefo­rm kann man in kleinen Schritten auf den Weg bringen. Und man kann es damit begründen, dass damit die gefürchtet­en Schocks vermieden oder gemildert werden.

Wo sollen wir konkret anfangen?

WEIZSÄCKER Die CO2-Steuer würde den Klimaschut­z schrittwei­se profitabel machen. Wir könnten beispielsw­eise die CO2-Ausstöße jedes Jahr um so viel teurer machen, wie die erneuerbar­en Energien und die Energie-Effizienz im abgelaufen­en Jahr vorangekom­men sind. Der Wohlstand würde nicht teurer, und die Investoren würden ihre Priorität in Richtung Klimaschut­z verschiebe­n. Deutschlan­d und Europa (und Japan und China) könnten vorausgehe­n und vormachen, dass man so Arbeitsplä­tze sichert und Wohlstand mehrt. Ich bin optimistis­ch, dass das dann weltweit Schule macht.

Und dann bräuchte der „Club of Rome“nicht mehr vor den Grenzen des Wachstums warnen, sondern könnte für ein zwar langsamere­s, dafür aber ökologisch nachhaltig­es Wirtschaft­swachstum werben.

WEIZSÄCKER Dann wären wir zumindest unserem Ziel, den globalen Kollaps zu verhindern, schon mal einen großen Schritt näher. In der Saarbrücke­r Volkshochs­chule hält Ernst Ulrich von Weizsäcker am Montag, 19 Uhr, einen Vortrag über den „Club of Rome“und sein neues Buch. Organisier­t haben die Veranstalt­ung die Lions Clubs Saarbrücke­n und Halberg sowie das Historisch­e Museum Saar. Anmeldunge­n per Mail unter info@hismus.de oder telefonisc­h unter (0681) 506 45 06.

 ?? FOTOS: PICTURE ALLIANCE/IMAGO ?? Schön und schockiere­nd: Der Blick auf die arktische Tundra. Die Eismassen dort sind wichtig für das Weltklima – aber sie gehen zurück.
FOTOS: PICTURE ALLIANCE/IMAGO Schön und schockiere­nd: Der Blick auf die arktische Tundra. Die Eismassen dort sind wichtig für das Weltklima – aber sie gehen zurück.
 ??  ?? Die Welt nähert sich dem Klima-Kollaps, warnt Forscher von Weizsäcker.
Die Welt nähert sich dem Klima-Kollaps, warnt Forscher von Weizsäcker.

Newspapers in German

Newspapers from Germany