Saarbruecker Zeitung

„Wir waren gewohnt, dass jeden Tag ein Freund starb“

Heike Altpeter und Mortada Ahmad erzählen in ihrem Buch „Zweifelhaf­te Pfade“eine Geschichte der Flucht.

- VON ISABELL SCHIRRA

„Das Schicksal Einzelner zählte nicht mehr“. Eine Aussage, die wohl an jedem Kriegsscha­uplatz dieser Welt Gültigkeit besitzt. „Das Schicksal Einzelner zählte nicht mehr“, so heißt es auch in Heike Altpeters neuem Buch „Zweifelhaf­te Pfade“.

Dort erzählt die Saarbrücke­r Autorin die Geschichte von Mortada Ahmad, der 1989 als Flüchtling ins Saarland kam. Er überliefer­te ihr seine Geschichte mündlich, Altpeter brachte das Ganze schließlic­h in literarisc­he Form. Und obwohl Ahmad bereits vor fast 30 Jahren flüchtete, ist seine Geschichte heute wieder hochaktuel­l.

Mittlerwei­le ist die Flüchtling­skrise ein überall präsentes Thema, eines, das uns alle etwas angeht. Einzelschi­cksale haben im Diskurs darum oft keinen Platz, auch hier heißt es nur zu oft: „Das Schicksal Einzelner zählte nicht mehr“. Und wird doch einmal ein einzelner Mensch in den Fokus gerückt, verlaufen sich die Diskussion­en doch wieder in den Begleitums­tände dieser Lebensgesc­hichte: Woher kommt dieser Mensch und was passiert dort? Wer ist Schuld am Krieg? Welche Religion hat dieser Mensch?

In diesem Punkt unterschei­det sich „Zweifelhaf­te Pfade“von vielen anderen Flüchtling­sgeschicht­en: Mortada Ahmad und Heike Altpeter verzichten bewusst darauf, Ahmads Lebensumst­ände zu spezifizie­ren. Wir erfahren als Leser weder, aus welchem Land Ahmad stammt, noch wer dort gerade Krieg gegen wen führt. Erzählt wird lediglich die Lebensgesc­hichte Ahmads – pur und ohne Schnörkel.

Dabei ist es gerade Altpeters klarer, ja fast schon nüchterner Erzählstil, der Ahmads Geschichte für den Leser greifbar macht. „Wir waren es gewohnt, dass jeden Tag einer unserer Freunde und Bekannten in diesen Gefechten starb. Es war fast schon Normalität“, heißt es da an einer Stelle. Es ist die Reihung einfacher, prägnanter Sätze, die den Leser fest in den Bann der Geschichte zieht – so, als wäre live dabei.

„Zweifelhaf­te Pfade“erzählt Mortada Ahmads Geschichte. Angefangen beim einfachen, friedliche­n Leben im Dorf, über Unruhen und Aufstände, den Ausbruch des Krieges, die Flucht kreuz und quer durch das eigene Land, bis hin zur Entscheidu­ng, nach Deutschlan­d zu gehen, um dort ein besseres Leben zu haben. Mehr als einmal entkommen Ahmad und seine Familie dabei dem Tod. „Wir lachten. Wieder einmal mit dem Leben davon gekommen“, heißt es da nüchtern im Text.

Doch „Zweifelhaf­te Pfade“gibt auch den vielen kleinen Momenten, den Geschichte­n zwischen den großen Ereignisse­n Raum. Etwa als der Erzähler auf dem Balkon eines Malers zum ersten Mal „mit der Malerei und dem Gefühl der Schönheit“in Berührung kommt, oder als er in der Schlange vor einem Kontrollpu­nkt steht, und sein Geschäft vor aller Augen im Gebüsch verrichten muss. „Das war sehr erniedrige­nd“, erzählt er.

Es sind diese kleinen Details, die eine Geschichte, einen Menschen ausmachen. „Im Leben passieren viele Dinge. Schönes und weniger Schönes. Nur du alleine bestimmst, was du damit anfängst. Nur du alleine bist dafür verantwort­lich, was aus dir wird und was du sein möchtest“, heißt es im Vorwort.

„Zweifelhaf­te Pfade“erzählt eine Geschichte mit Happy End – begleitet von Zitaten europäisch­er Schriftste­ller und Lebensweis­heiten aus dem arabischen Raum. „Zweifelhaf­te Pfade“soll „Missverstä­ndnisse aufklären und eine Brücke bauen“, sagt die Autorin.

Und da das hervorrage­nd gelingt, wird das Buch im neuen Schuljahr an der Gesamtschu­le Dudweiler im Religions- und Ethikunter­richt verwendet. Weil ein Einzelschi­cksal eben doch zählt. Und vielleicht sogar Vorbild für das eigene Leben sein kann.

Mortada Ahmad: „Zweifelhaf­te Pfade“. Karina Verlag, 13,90 Euro.

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FOTO: VERLAG Ausschnitt des Covers von „Zweifelhaf­te Pfade“.

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