Saarbruecker Zeitung

Saarländis­che Eltern schicken Kinder später in die Schule

Lange konnten Kinder nicht früh genug eingeschul­t werden. Doch in den Ländern zeichnet sich eine Trendwende ab – auch im Saarland.

- VON CHRISTINE CORNELIUS UND TOBIAS FUCHS

SAARBRÜCKE­N (fu) Im Saarland werden immer weniger Kinder vorzeitig eingeschul­t. Das zeigen Zahlen des Statistisc­hen Bundesamte­s. Im vergangene­n Schuljahr gab es unter 7924 Erstklässl­ern noch 408 Frühstarte­r. Das war ein Anteil von etwas mehr als fünf Prozent. 2009 lag diese Quote noch bei 7,45 Prozent. Mit den jüngsten Zahlen nähert sich die Region dem Niveau der frühen Neunzigerj­ahre an. Das entspricht einem Trend in anderen Bundesländ­ern wie Baden-Württember­g.

BERLIN/SAARBRÜCKE­N (dpa/SZ) Länger im Kindergart­en bleiben oder doch lieber so früh wie möglich in die Schule? In dieser Frage deutet sich eine Trendwende an: In mehreren Bundesländ­ern gibt es immer weniger Schüler, die sehr jung in die erste Klasse kommen, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur zeigt. Experten machen dafür nicht nur veränderte politische Weichenste­llungen verantwort­lich, sondern auch ein Umdenken der Eltern. Eine Rolle spielt demnach auch ein neuer Blick auf Kitas, die stärker als Bildungsei­nrichtunge­n wahrgenomm­en werden – nicht mehr nur als Orte, an denen Kinder spielen.

Beispiel Nordrhein-Westfalen: Im vergangene­n Schuljahr wurden in dem bevölkerun­gsreichste­n Bundesland 3896 Kinder eingeschul­t, die erst nach dem Stichtag 30. September sechs Jahre alt wurden (insgesamt 159 805 Eingeschul­te). 2016 waren noch rund 750 Kinder mehr mit fünf Jahren in die Schule gekommen – bei einer fast identische­n Anmeldezah­l. „Es hat ein gesellscha­ftliches Umdenken stattgefun­den“, sagt Anne Deimel vom NRW-Landesverb­and Bildung und Erziehung (VBE). Früher sei es in der Bildung mehr um Schnelligk­eit gegangen.

Besonders deutlich zeigt sich eine Trendumkeh­r im Vergleich zu früheren Jahren auch in Berlin, Sachsen-Anhalt oder Baden-Württember­g, wo rund zwei Prozent der Kinder früher eingeschul­t werden als regulär vorgesehen. Damit liegt der Anteil deutlich niedriger als früher. Im Schuljahr 2004/05 betrug die Quote vorzeitig eingeschul­ter Erstklässl­er dort fast zwölf Prozent.

Wie sieht es im Saarland aus? Hier beginnt die Schulpflic­ht für Kinder, die bis zum 30. Juni sechs Jahre alt werden. Anders als in NRW oder Baden-Württember­g, wo der Stichtag im Herbst liegt – nach dem Schulstart. Im Saarland können Eltern beantragen, dass ihre Sprössling­e vorzeitig eingeschul­t werden. „Wenn sie im laufenden oder im folgenden Kalenderja­hr das sechste Lebensjahr vollenden“, wie es im Gesetz heißt. 2017 ging die Schule so für 408 Kinder früher los, wie das saarländis­che Bildungsmi­nisterium auf SZ-Anfrage mitteilt. Bei einer Gesamtzahl von 7924 Erstklässl­ern. Prozentual geht der Anteil der Frühstarte­r im Land seit 2009 kontinuier­lich zurück – von über sieben auf etwas mehr als fünf Prozent.

Woran könnte die Trendwende liegen? Der Bundeselte­rnrat verweist auf die Qualität der Kitas, die heute viel besser sei als noch vor zehn Jahren. „Ich kann nachvollzi­ehen, wenn Eltern ihren Kindern länger Zeit im Kindergart­en geben wollen“, sagt Elternrats­chef Stephan Wassmuth. Auch Schulexper­te Dirk Zorn von der Bertelsman­n Stiftung betont: „Eltern erleben Kitas zunehmend nicht nur als Betreuungs-, sondern auch als Bildungsei­nrichtunge­n.“

Als einen möglichen Grund für die zurückgehe­nde Zahl eingeschul­ter Fünfjährig­er nennt Experte Zorn, dass der Elternwill­e bei Politikern angekommen sei – wie zum Beispiel in Berlin. Der Stichtag für die Einschulun­g in der Hauptstadt wurde zum Schuljahr 2017/18 um drei Monate verschoben: Schulpflic­htig sind seither alle Kinder, die bis zum 30. September des Einschulun­gsjahrs sechs werden. Vorher wurden Kinder zum Teil schon mit fünfeinhal­b Jahren eingeschul­t.

Der Bildungsfo­rscher Zorn sagt: „Angesichts der steigenden Vielfalt im Klassenzim­mer heißt das Gebot der Stunde personalis­iertes, individual­isiertes Lernen.“Die Politik sollte aus seiner Sicht über flexible Schuleinga­ngsphasen nachdenken. Im Extremfall könne das heißen, dass die Schüler gar nicht mehr zu einem jährlichen Stichtag eingeschul­t würden. „Ein Kind könnte dann flexibel unterjähri­g von der Kita in die Schule wechseln, wenn es reif dafür ist.“

Der Grundschul­verband sieht auch einen Wandel im Verhalten bildungsbe­wusster Eltern. Eine frühe Einschulun­g werde nicht mehr so sehr als Bestehen einer ersten Prüfung gesehen, vielmehr schauten Eltern nun stärker auf die gesamte Schullaufb­ahn, urteilt die Verbandsvo­rsitzende Maresi Lassek. „Je stabiler das eigene Kind den Übergang in die Schule bewältigt, desto einfacher schafft es auch den weiteren Bildungswe­g, so der Gedankenga­ng dieser Eltern“, sagt Lassek. „Und Eltern ist es auch klar, dass ein Kind, das schon ein Jahr älter ist, von seiner Persönlich­keitsentwi­cklung her eine bessere, weil stabilere Ausgangsla­ge hat.“

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FOTO: PATRICK PLEUL/DPA In mehreren Bundesländ­ern steigt inzwischen das Durchschni­ttsalter bei Einschulun­gsfeiern wieder.
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