Saarbruecker Zeitung

Der Grüne Habeck ist jetzt Vollzeit-Superstar in Berlin

Der Schleswig-Holsteiner nimmt Abschied vom geliebten Ministeram­t – und stürzt sich in einen Job mit Risiken. Denn in der Öko-Partei bewegt sich was.

- VON WOLFGANG SCHMIDT UND TERESA DAPP Produktion dieser Seite: Pascal Becher Frauke Scholl

KIEL/BERLIN (dpa) Zum Abschied darf Robert Habeck noch mal ganz Landwirtsc­haftsminis­ter sein. Beim Bauerntag in Rendsburg absolviert der 48-jährige neue Star der Grünen heute seinen letzten Termin für die Regierung in Schleswig-Holstein. Ab dann gilt: 100 Prozent Parteichef, 100 Prozent Bundespoli­tik. Ein Wechsel mit großen Chancen. Aber auch mit Risiken, für Habeck und die Partei.

Klar, angekommen in Berlin ist er längst. Und nicht nur da. 1800 Menschen lockte ein Habeck-Auftritt im bayrischen Dachau ins Bierzelt, Dirndl und Lederhosen, weiter weg von Schleswig-Holstein geht nicht. Die Parteibasi­s hat einen wie ihn herbeigese­hnt, andernfall­s hätte sie Habeck die monatelang­e Übergangsf­rist, während der er Minister und Parteichef sein durfte, nie gewährt.

Seit er und Annalena Baerbock im Januar an die Grünen-Spitze gerückt sind, scheint fast alles zu gelingen. Die Mitglieder­zahl steigt, 15 Prozent in bundesweit­en Umfragen, bis zu 17 Prozent in Bayern ein paar Wochen vor der Landtagswa­hl. Plötzlich wirkt der Anspruch, „führende Kraft der linken Mitte“zu werden und Sammelbeck­en für politisch Liberale, nicht mehr vermessen, sondern spannend. Läuft für Habeck, und man spürt, dass er das genießt.

Doch Schleswig-Holsteins scheidende­r Umwelt- und Agrarminis­ter hadert auch. Weil er weg muss aus dem Norden, von einem geliebten Job, widerborst­igen Bauern, unbeugsame­n Windkraftg­egnern, störrische­n Fischern. „Das tut wirklich weh“, sagt er nach sechs Jahren als „Draußenmin­ister“, zuständig für Landwirtsc­haft, Energiewen­de, Atomaufsic­ht, Fischerei, Umwelt, Küstenschu­tz, Jagd und wo weiter.

Er gehe nicht, weil er mit dem Amt nicht mehr zufrieden sei, sagt er. Und er gehe mit dem Gefühl, dass es mit Nachfolger Jan Philipp Albrecht (35) sehr gut weitergehe­n wird. „Aber wenn man wissen will, wie es Robert geht: Dann ist das Herz schon zerrissen.“Ihn habe natürlich keiner gezwungen, sagt Habeck. Im Gegenteil, er hatte sich auch schon auf die Spitzenkan­didatur für die letzte Bundestags­wahl beworben und war in einer Urwahl knapp gegen Ex-Parteichef Cem Özdemir gescheiter­t. „Ich mache das Ganze, weil ich glaube: Unter dem Druck von Rechtsnati­onalisten, Antieuropä­ern und „Mein Land First“-Politik muss sich die liberale Demokratie beweisen. Wenn ich jetzt nicht versuche, mein ganzes Engagement beizusteue­rn, dann würde ich mich fragen: Hättest du dich nicht einbringen müssen?“

Ministerpr­äsident Daniel Günther lässt ungern den Mann ziehen, der so maßgeblich am Zustandeko­mmen und Funktionie­ren des Kieler Jamaika-Bündnisses aus CDU, Grünen und FDP beteiligt war. „Ich bin schon traurig, dass Robert Habeck geht – er passte zu uns als Typ“, sagt der CDU-Politiker. „Ich glaube, er wird in Berlin auch schnell merken, was er an Schleswig-Holstein hatte.“

Das mag sein. Die Parteilink­en, unter anderem der einflussre­iche Jürgen Trittin, sehen Habecks Betonung auf Liberalism­us kritisch. Auch dass Habeck ruckzuck die Fraktionsc­hefs Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter in den Schatten stellte, erregt Misstrauen. „Bisher war er ja nur halb in Berlin“, sagt ein Linker aus der Fraktion. „Man fragt sich schon, wie das wird, wenn er das mit voller Power macht.“

Auch zwischen Habeck und Özdemir könnte es noch interessan­t werden. Letzterer ist zwar formell in die zweite Reihe gerückt, macht aber nicht den Eindruck, als wolle er auf die Rolle des starken Mannes bei den Grünen verzichten. In einem Dokufilm namens „Following Habeck“, der ihn während seines Kampfes um die Spitzenkan­didatur begleitet und seit diesem Donnerstag im Kino läuft, räumt er ein: „Hintenrum ist es ja ziemlich hart bei den Grünen.“

Und drittens: Der Höhenflug der Partei muss nicht anhalten. Ein Jahr nach Wahlen in den Umfragen prächtig dazustehen, das ist fast eine Tradition der Partei – oft ging es im Wahlkampf dann wieder bergab. Die Bayern-Wahl im Oktober wird eine erste Bewährungs­probe.

Habeck muss einen Laden zusammen halten, in dem sich viel bewegt. Das Institut Forsa hat für RTL und n-tv ermittelt, dass unter den neuen potenziell­en Grünen-Wählern mehr Männer, mehr Haupt- und Realschüle­r, mehr Rentner und mehr Schüler und Studenten sind als unter den „Alt-Grünen“. Vor allem sehen sich nur 55 Prozent der neuen Anhänger als links, 42 Prozent zählen sich zur politische­n Mitte. Bisher habe das Verhältnis bei 71 Prozent links zu 27 Prozent Mitte gelegen. Für Habeck geht es jetzt aber erst mal auch ums Persönlich­e, ums Abschiedne­hmen von der Politik im Norden, in der der Schriftste­ller und Doktor der Philosophi­e als Quereinste­iger eine beeindruck­ende Karriere hinlegte. In den letzten anderthalb Jahrzehnte­n prägte der Vater von vier Söhnen die Nord-Grünen wie kein anderer. 2002 wurde er als Neumitglie­d gleich Kreisvorsi­tzender in Schleswig-Flensburg, 2004 Landesvors­itzender. 2009 Fraktionsc­hef im Landtag, 2012 Minister. Nach seinem Amtsantrit­t standen ihm die schleswig-holsteinis­chen Bauern noch feindselig gegenüber. Heute duzt sich der Grüne mit schwarzen Bauernfunk­tionären.

Er hat mit ihnen gestritten, sie nicht überzeugt und sich trotzdem Respekt erarbeitet. Beim Bauerntag in Rendsburg begegnet er ihnen noch einmal als Minister. „Dann gebe ich mein Handy ab, den Laptop und die Karte für den Landtag.“Zeit für Schwermut hat Habeck dann nur im Zug. Denn es geht weiter nach Berlin, wo er das grüne Europawahl­programm vorstellen soll – da ist er wieder ganz Parteichef.

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FOTO: ZINKEN/DPA Auf Robert Habeck ruhen derzeit die Hoffnungen vieler Grünen. Aber der Norddeutsc­he hat auch prominente Widersache­r in der Partei.

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