Saarbruecker Zeitung

Martin Schulz besucht Lula hinter Gittern

Eine Besuchsmis­sion führt den früheren SPD-Chef zum inhaftiert­en Präsidents­chaftskand­idaten Lula – um ihn gegen einen Zweit-Trump zu unterstütz­en.

- VON GEORG ISMAR

Es ist eine Geste, die nicht nur in Brasilien für Aufsehen sorgt: Der ehemalige SPD-Chef Martin Schulz hat den brasiliani­schen Ex-Präsidente­n Luiz Inácio Lula da Silva im Gefängnis besucht.

CURITIBA (dpa) Im Eingang des Gefängniss­es hängt eine kleine Messingtaf­el. Martin Schulz übersieht sie beim Reingehen. An der Pforte zeigt er seinen Pass, geht durch ein Drehkreuz und fährt mit dem Aufzug in den vierten Stock zum wohl bekanntest­en Häftling der Welt. Auf der Messingtaf­el steht, dass das Gebäude der „Superinten­dência Regional“im Februar 2007 von Brasiliens damaligem Präsidente­n Luiz Inácio Lula da Silva eröffnet worden ist. Nun sitzt Lula ausgerechn­et in diesem Gebäude selbst ein.

Am 146. Tag der Haft kommt der bisher bekanntest­e Besucher aus Europa in das südbrasili­anische Curitiba, der frühere SPD-Chef, Kanzlerkan­didat und Präsident des Europaparl­aments, Martin Schulz. Er nennt Lula einen Freund. Und sieht das Verfahren gegen ihn als höchst zweifelhaf­t an. Deutsche Diplomaten, die das über 200 Seiten lange Urteil zu zwölf Jahren Haft studiert haben, sehen durchaus Indizien, zudem habe Lula eine mögliche Verantwort­ung auf seine verstorben­e Frau abgeschobe­n.

Es geht um ein Apartment am Atlantik, das ein Baukonzern für eine Million Dollar modernisie­rte, angeblich als Geschenk für Hilfen bei Auftragsve­rgaben – Lula sagt, ihm gehöre die Immobilie gar nicht. Nach der Amtsentheb­ung von Präsidenti­n Dilma Rousseff sieht die linke Arbeiterpa­rtei (Partido dos Trabalhado­res, PT) hier den nächsten Putsch, dieses Mal einen juristisch­en. Die Strafe ist in der Tat ungewöhnli­ch hoch.

Aus der Haft führt Lula einen ungewöhnli­chen Wahlkampf. Umfragen sehen ihn bei knapp 40 Prozent für die Präsidents­chaftswahl am 7. Oktober. Er will Brasilien nach dem Absturz wieder zu alter Größe führen. In seiner Amtszeit von 2003 bis 2010 sprudelte der Ölpreis, Lula wurde in Davos von den Wirtschaft­sgrößen gefeiert, der frühere Schuhputze­r begeistert­e die Welt mit linker pragmatisc­her Politik, Millionen Menschen wurden aus der Armut geholt. Das haben ihm viele nicht vergessen – aber das Denkmal Lula ist ziemlich gebröckelt. Denn in seiner Amtszeit entstand auch ein umfassende­s Korruption­snetzwerk.

Bis Mitte September soll eine Entscheidu­ng fallen, ob Lula doch noch antreten darf, man will mit den Besuchen Druck aufbauen. „Brasilien ist das einzige Land in der Welt, wo ein Gefängnis in einer Provinzhau­ptstadt mehr internatio­nal hochrangig­e Besucher sieht als der Präsidente­npalast“, sagt Lulas früherer Außenminis­ter Celso Amorim.

Lula schreibt Schulz ein paar Gedanken auf liniertes Papier – man wolle ihn als Präsidente­n verhindern. „Ich zähle auf die Solidaritä­t des deutschen Volkes.“Zumindest auf die von Schulz und der SPD kann er zählen, auch wenn in dem von Heiko Maas (SPD) geführten Auswärtige­n Amt nicht alle glücklich sind über die Überraschu­ngsvisite. Schulz betont: „Keine Macht der Welt kann mich daran hindern, einen Mann zu besuchen, dem ich vertraue und glaube.“SPD-Chefin Andrea Nahles habe ihn um den Lula-Besuch gebeten – die SPD hat seit Jahrzehnte­n enge Bindungen zur PT.

Schulz denkt in großen Linien, das sei eine Schicksals­wahl: Kippt auch Brasilien, der Gigant in Südamerika, nach rechts? Denn wenn Lula nicht antreten darf, könnte der „Trump Brasiliens“, Jair Bolsonaro, gewinnen. „Bolsonaro ist ein offener rechter Extremist, der mit einer Militärdik­tatur liebäugelt“, sagt Schulz.

Nach dem 40-minütigen Besuch geht Schulz rüber zu zwei Handvoll Lula-Anhängern, die Wache im Camp „Lula livre“, Deutsch: „Freiheit für Lula“, halten. Sie nennen den ehemaligen Präsidente­n einen brasiliani­schen Nelson Mandela, einen politische­n Gefangenen. Schulz wirkt etwas peinlich berührt. Als er immer wieder „Lula livre“hört, reimt er darauf: „Cuba libre“.

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FOTO: ANDRE RODRIGUES/DPA Sozialdemo­krat Martin Schulz mischt sich vor dem Gefängnis im brasiliani­schen Curitiba unter die Anhänger von Ex-Präsident Lula.

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