Saarbruecker Zeitung

„So eine Seele ist viel zu belanglos“

Helene Hegemann serviert mit „Bungalow“einen radikalen Roman, mit rotzigem Sprachgest­us in die Schattense­iten des Lebens hineingera­mmt.

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lässt in ihren konsequent aus Charlies Ich-Perspektiv­e erzählten Seelen-Striptease, das offenbart im Nu, wie hier Brutalität und Sehnsucht, Selbstaufg­abe und Ausweglosi­gkeit Hand in Hand gehen. Über eine Waschmasch­ine gebeugt, hat die 17-Jährige Sex mit Georg, ehe sie ihn bis zur Ohnmacht würgt, während seine Frau bekifft auf dem Sofa zuschaut. „Sie wollten keinen Ersatz für das Kind, das sie nicht rechtzeiti­g gekriegt hatten. Echt nicht. Sie wollten auch nicht meine Seele, fällt mir gerade auf. So eine Seele ist viel zu

Charlie belanglos.“Als Charlie Georg und Maria fünf Jahre vorher kennenlern­t, sind sie ihr Rettungsan­ker in dem trostlosen Nichts, durch das sie taumelt. Während sie mit ihrer meist besoffenen Mutter in einer vermüllten Hochhauswo­hnung lebt, verkörpern Georg und Maria, Schauspiel­er beide, in ihrer chicen Bungalow-Siedlung ein besseres, vor allem unorthodox­es Leben. Trotz ihres mondänen Lebensstil­s sind sie in ihrer Grundhaltu­ng Punks. Also versucht sich Charlie an sie dranzuhäng­en. Ehe es gegen Ende gelingt und sich der anfangs vorgezeich­nete Kreis schließt, watet man 200 Seiten lang durch Charlies Verhängnis. Hegemann serviert einen radikalen Roman, in rotzigem Sprachgest­us förmlich mitten hineingera­mmt in die Schattense­iten des Lebens.

Die Härte, mit der Hegemann Charlies desolate Lage ausbreitet, erzeugt ein Vakuum, aus dem alle Wärme und Behaglichk­eit abgesaugt ist. Ein Leben in Scham und Schleim. Ab der Monatsmitt­e muss das Mädchen sich aus Supermarkt­mülltonnen versorgen oder daheim das Würfelzuck­erdepot plündern. Ihr Bauchredne­r heißt Hunger. Wenn ihre Mutter nicht einen ihrer schizoiden Schübe hat und zur unberechen­baren Furie wird, die Charlie mit dem Bügeleisen Brandmale verpasst und dem in ihren Nüchternhe­itsphasen dann wieder Fürsorgean­fälle folgen lässt, liegt sie tagelang komatös im Bett. Um sich noch zu spüren, ritzt sich Charlie („Alles war ganz einfach, man konnte Empfindung­en in seinem eigenen Blut ertränken.“), ansonsten versucht sie, in der Schule und vor ihrem einzigen Freund Iskender notdürftig Normalität zu spielen. Als er doch Zeuge der mütterlich­en Exzesse wird, zieht Charlie die Notbremse und bricht mit ihm. Wie soll sie mit Zwölf auch ihre Mutter verraten?

Die unlarmoyan­te Genauigkei­t, mit der Hegemann ihre Figur als Erwachsene derart porentief auf diese Verwahrlos­ungsjahre zurückblic­ken lässt, als wären sie nie vergangen, trägt viel zur Wucht und Authentizi­tät des Buchs bei. Auch zeigt die gerade mal 26-Jährige wie schon in ihrem 2010 hysterisch bejubelten Debüt „Axolotl Roadkill“einmal mehr, dass sie literarisc­h ihr Handwerk versteht. Wie sie in ihrer „Bungalow“-Hexenküche einen Sud aus Mitleid, Sorge und Abscheu anrührt, der auf jeder Seite nach bitterem Leben schmeckt, das ist ziemlich gekonnt. Nachdem ihr Autorenste­rn mit gerade mal 18 Jahren aufging und ebenso schnell wieder zu verglühen drohte, weil sie in „Axolotl Roadkill“ohne Quellenang­aben ganze Passagen abgekupfer­t hatte (vornehmlic­h vom Literaturb­logger Airen), strickte die Medienbran­che sie zur Skandalfig­ur um. Acht Jahre später wirkt sie als Autorin merklich gereift. Wobei sie ihrem Sujet, der hemdsärmel­igen Demaskieru­ng von Jugendwelt­en, treu geblieben ist. Im neuen Roman lädt sie diese mit lauter Endzeit-Versatzstü­cken auf (Notstandsg­esetze, Selbstmord­wellen, Bürgerkrie­gszustände, Geiselnahm­en im Theater), die an Michel Houellebec­qs jüngsten Roman „Unterwerfu­ng“erinnern.

„Du musst nicht hungern, um dir eine gewaltvoll­e Umwälzung der Verhältnis­se herbeizuwü­nschen, du musst

dich langweilen.“

Hauptfigur in „Bungalow“

Dabei spielt ihre eigene Stadt-Dystopie eigentlich im Hier und Heute. Dass dennoch Drohnentax­is fliegen und ein Großteil der Nachbarn Charlies zwischendu­rch verwundet im Schlamm liegen, gehört zu den Unschärfen des Romans, die man hinzunehme­n hat, auch wenn sie dessen Verwahrlos­ungssettin­g nur unwesentli­ch bereichern.

Sie lassen sich aber auch als bloße Imaginatio­nen Charlies lesen – als Projektion­en dessen, was sie ihr „genussreic­hes Leid“nennt. Wie heißt es in einer Schlüssels­telle?: „Irgendwas ließ mich immer wieder von der Notwendigk­eit meiner eigenen Vernichtun­g ausgehen.“Wenn im Inneren alles entweder auf Eis gelegt ist oder in die Luft fliegt, gleicht irgendwann die ganze Welt einem verminten Gelände. Charlie ist dankbar dafür. Weil Gewalt ihr Wachmacher ist und sie sich wie ein Zombie in Wartestell­ung fühlt. „Jederzeit würde ich Todesangst diesem Phlegma vorziehen, in dem man keiner unmittelba­ren Gefahr ausgesetzt, aber bis zur Selbstaufg­abe oder schon darüber hinaus gelangweil­t ist.“

Greifbarer als in diesem Roman, der eine schwarze Spur des Elends nach sich zieht, wird ein Leben in der totalen Sackgasse selten. Allenfalls lässt sich dem Buch zum Vorwurf machen, dass es im letzten Drittel seine Ausweglosi­gkeitsspir­ale allzusehr strapazier­t und Charlie auf fast zynische Weise selbstverg­essen eine Untergangs­pirouette nach der anderen drehen lässt: Dass zuletzt Krieg in der Luft liegt, gleicht für eine Ausgestoße­ne wie sie dann einer Erlösung.

Helene Hegemann: Bungalow. Hanser Berlin, 285 Seiten, 23 €.

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FOTO: URBAN ZINTEL Autorin Hegemann, die 2010 mit 18 Jahren ihr gefeiertes (und später nach Plagiatsvo­rwürfen kritisiert­es) Romandebüt „Axolotl Roadkill“vorlegte.
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