Saarbruecker Zeitung

Neues Gesetz soll mehr Organspend­en bringen

Die Widerspruc­hslösung bleibt außen vor bei der Initiative des Gesundheit­sministers, in die sich auch das Saarland einbrachte.

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

Man müsse halt realistisc­h sein, sagt der Saarbrücke­r Pfarrer Jörg Metzinger. Politiker, die sich gegen die „kollektive Befindlich­keit“stellten, würden abgestraft. Er meint Jens Spahn damit, den Bundesgesu­ndheitsmin­ister (CDU), der am Freitag den Entwurf für ein neues Transplant­ationsgese­tz vorgelegt hat (die SZ berichtete). Und Metzinger meint auch damit, dass Spahn einen entscheide­nden Punkt nicht angepackt hat: die Widerspruc­hslösung. Sie macht alle Menschen zu Organspend­ern, wenn sie nicht ausdrückli­ch widersprec­hen. Derzeit ist es in Deutschlan­d genau umgekehrt: Wer Organspend­er sein will, muss dies ausdrückli­ch verfügen. Ein Modell-Fehler, sagt nicht nur Metzinger, sondern fast alle für die Organspend­e Engagierte­n, sei es der SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach oder der Präsident der Saarländis­chen Ärztekamme­r Dr. Josef Mischo.

Metzinger ist im Saarland das bekanntest­e Gesicht für das Thema Organspend­e, vor rund einem Monat wurde ihm ein neues Herz eingesetzt. Über 400 Tage lang hatte er Zeit, über System-Defizite nachzudenk­en: „Der Punkt ist nicht die mangelnde Spendebere­itschaft, die Strukturen um die Organspend­e funktionie­ren nicht.“Immer wieder warb Metzinger von seinem Krankenbet­t in Heidelberg aus für eine bessere finanziell­e Vergütung für die Kliniken, die seiner Meinung nach genau deshalb im europäisch­en Vergleich viel zu wenige potenziell­e Organspend­er melden. Warum? Während die Transplant­ationsklin­iken bis zu einer halben Million Euro kassieren, bekommen Kliniken für das gesamte Organentna­hmeverfahr­en maximal 5000 Euro. Dafür muss oft über Tage hinweg ein Intensivbe­tt gestellt werden, denn der Hirntote wird bis zur Entnahme-OP kosteninte­nsiv intensivme­dizinisch betreut. Auch sind oft mehrfach zeitaufwen­dige Gespräche mit den Angehörige­n notwendig, wenn der Patient keine eigene Verfügung zur Organspend­e getroffen hat. Vergütet werden diese Leistungen bisher nicht. Metzinger meint, man müsse die Familien viel frühzeitig­er als bisher einbeziehe­n, dürfe sie nicht erst am Todestag mit dem Anliegen überfallen und überforder­n. „Das Angehörige­ngespräch ist das Allerwicht­igste“, meint auch Mischo.

Tatsächlic­h berichten Klinik-Ärzte, in der Schocksitu­ation der Todesmitte­ilung tendierten die meisten Menschen zu einer spontanen Ablehnung, empfänden es als eine Zumutung, über Organspend­e nachzudenk­en. Spahn will nun das Amt des Transplant­ationsbeau­ftragten stärken, das laut Transplant­ationsgese­tz von 2012 alle 1250 Entnahme-Kliniken einführen mussten. Im Saarland gibt es laut der Deutschen Stiftung Organtrans­plantation (DSO) 59 an 21 Kliniken. Sie sollen mehr Zeit und Kompetenze­n erhalten. Der Gesundheit­sminister vollzieht damit eine Wende in der Meinungsbi­ldung nach, die sich öffentlich allerdings erst im Juli dieses Jahres vollzog. Denn der Buhmann für sinkende Spenderzah­len sind seitdem nicht mehr nur die trägen Bürger, die keinen Organspend­eausweis beantragen. Auch nicht die misstrauis­chen Menschen, die nach dem Transplant­ationsskan­dal Verschwöru­ngstheorie­n über Organhande­l anhängen. Denn auch Forscher der Uniklinik Kiel haben jetzt herausgefu­nden, dass nicht die mangelnde Organspend­e-Bereitscha­ft der Menschen, wie bisher angenommen, schuld ist am Rückgang der Spenderzah­len – denn die Zahl derer, die einen Organspend­eausweis besitzen, hat sich in den vergangene­n zehn Jahren um 21 Prozent auf 36 Prozent erhöht. Vielmehr sieht die Kieler Studie die Hauptursac­he für den Rückgang in Organisati­ons-Defiziten bei den Klinken, in deren Melde-Verhalten. Die Zahlen: Obwohl sich zwischen 2010 und 2015 die Anzahl potenziell­er Organspend­er um 13,9 Prozent auf 27 258 erhöhte, nahm die Kontaktauf­nahme zur DSO, die in den Prozess eingeschal­tet werden muss, im gleichen Zeitraum um 18,7 Prozent ab. Die Anzahl der tatsächlic­h realisiert­en Organspend­en sank sogar um 32,3 Prozent und sackte 2017 auf das historisch­e Tief von 797. Das Saarland verhielt sich gegen den Trend, hier gab es 2017 mehr Spender (16) als 2016 (12).

Nun also steuert das neue Gesetz mit mehr Geld im System gegen den Abwärtstre­nd. Und (fast) alle sind zufrieden. Nach Bekanntwer­den des Entwurfs äußerten sich die Bundesärzt­ekammer und die Deutsche Stiftung Patientens­chutz zustimmend, auch im Saarland lobte, wie die SZ berichtete, die Saarländis­che Krankenhau­sgesellsch­aft die Reformplän­e. Gestern signalisie­rte die Deutsche Stiftung Organtrans­plantation auf SZ-Nachfrage ebenfalls Zustimmung: Deren Medizinisc­her Vorstand, Dr. Axel Rahmel, sagte, der Entwurf schaffe „den strukturel­len Rahmen für eine nachhaltig­e Erhöhung der Organspend­ezahlen“. Auch die saarländis­che Gesundheit­sministeri­n Monika Bachmann äußerte sich gegenüber der SZ. Sie hob allerdings einen Nebeneffek­t des Gesetzes heraus: dass zukünftig wieder Briefe von Spendenemp­fängern an die Familien der Spender weitergele­itet werden dürfen – eine Initiative des Saarlandes, die auf der Gesundheit­sministerk­onferenz in Düsseldorf die Unterstütz­ung aller Bundesländ­er fand. Dass Spahn dem jetzt folge, sei „ausdrückli­ch zu begrüßen“, so Bachmann.

Über Konfliktpu­nkte will offensicht­lich derzeit noch niemand sprechen. Dabei liegen sie auf der Hand: Die Kliniken sollen stärker kontrollie­rt werden und fürchten zusätzlich­en Bürokratie­aufwand, die Chefärzte Machtkämpf­e mit den erstarkten Transplant­ationsbeau­ftragten. Und die Krankenkas­sen sollen die Taschen aufmachen. Noch ist Spahns Reform ein Entwurf.

„Die Strukturen um die Organspend­e funktionie­ren nicht.“

Jörg Metzinger

Organempfä­nger aus Saarbrücke­n

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FOTO: WEISSBROD/DPA Der Organentna­hme-Prozess soll für die Kliniken kein Zusatzgesc­häft mehr sein. Das sieht der Referenten­entwurf aus dem Haus von Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) vor.
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FOTO: METZINGER Pfarrer Jörg Metzinger aus Saarbrücke­n sieht Mängel in Spahns Organspend­e-Entwurf.

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