Saarbruecker Zeitung

Aufmarsch in einer gespaltene­n Stadt

Gegensätze prallen in Chemnitz aufeinande­r. Eine Woche nach dem gewaltsame­n Tod eines 35-Jährigen wird die Stadt wieder zum Demo-Schauplatz.

- VON ANNA RINGLE UND MARTIN KLOTH

CHEMNITZ (dpa) Es ist ganz still – obwohl tausende Demonstran­ten in einem Straßenzug in Chemnitz stehen. Nur Motorenger­äusche von Polizeiwag­en sind zu hören. Dem Aufruf der rechtspopu­listischen AfD und des fremdenfei­ndlichen Pegida-Bündnisses sind viele am Samstag gefolgt. Es soll ein schweigend­er Trauermars­ch sein – nach dem gewaltsame­n Tod eines 35-Jährigen am Sonntag zuvor und anschließe­nden Ausschreit­ungen. Die Demonstrat­ion, die schon verspätet startete, gerät ins Stocken und wird vorzeitig beendet. Doch viele wollen nicht gehen, sind verärgert. Die Stimmung ist sehr angespannt an diesem Abend in der drittgrößt­en Stadt Sachsens.

Wasserwerf­er fahren heran. Ein großes Polizeiauf­gebot an der KarlMarx-Büste in der Innenstadt steht wütenden Gruppen gegenüber, die „Widerstand“und „Lügenpress­e“rufen. Als ein Außenstehe­nder auf die Demonstran­ten schimpft, sie sollen Chemnitz in Ruhe lassen, gehen Einzelne von ihnen auf ihn zu. Die Polizei schreitet sofort ein.

Der Samstag soll für Chemnitz eigentlich eine Art Befreiungs­schlag werden. Buntes Chemnitz – statt braunes. Unter dem Motto „Herz statt Hetze“strömen Demonstran­ten zur Kundgebung gegen Rassismus. Auch Politpromi­nenz mischt sich darunter. „Die Mehrheit sind die Anständige­n, und ich möchte, dass man das auch sieht und wahrnimmt“, sagt Vize-Regierungs­chef Martin Dulig am Rande der Demo. Doch der Wunsch des SPD-Landesvors­itzenden erfüllt sich nicht. Am Ende sind die Kräfteverh­ältnisse eindeutig: Zu den rechtsgeri­chteten Demos zieht es laut Polizeibil­anz von gestern rund 8000 Menschen – zu den anderen Kundgebung­en nur rund 3000.

Auch eine Initiative aus Bürgern, Unternehme­rn und Wissenscha­ftlern hatte zuvor noch mit einem Aufruf an die schweigend­e Mehrheit appelliert. „In den letzten Jahren ist durch viele aktive und motivierte Menschen aus einer grauen Stadt ein buntes, lebenswert­es Chemnitz geworden, fast schon eine Komfortzon­e“, hieß es da. Und: „Aus der müssen wir jetzt wieder raus. Wir müssen und wollen uns wieder einschalte­n, damit aus bunt nicht braun wird.“

Sogar ein riesiges Banner wird am Samstag an den Sockel der überdimens­ionalen Karl-Marx-Büste geklebt. „Chemnitz ist weder grau noch braun“, ist darauf zu lesen. Doch bereits am Sonntag ist das Banner zur Hälfte abgerissen.

Die Stadt ist seit Tagen in den Nachrichte­n und Schlagzeil­en – in Sachsen, in Deutschlan­d und weit darüber hinaus. Als Tatverdäch­tige der tödlichen Messeratta­cke sitzen ein Iraker und ein Syrer in Untersuchu­ngshaft. Nach der Tat hatte es Ausschreit­ungen in der Stadt gegeben. Oberbürger­meisterin Barbara Ludwig (SPD) betont auf der Kundgebung gegen Ausländerf­eindlichke­it: „Von Sachsen und Chemnitz muss heute die klare Botschaft ausgehen: Wir werden mit allen Mitteln des Rechtsstaa­tes den rechten Hetzern entgegentr­eten.“

Der Samstag zeigt, wie sehr die Meinungen auseinande­rdriften, wie tief die Stadt gespalten ist: Auf den Plakaten der einen Seite stehen Parolen wie „Wer nicht denkt und wer nichts weiß, der glaubt den ganzen Nazi-Scheiß“. Die Gegenseite formuliert es noch derber: „Merkel fahr zur Hölle, mach dich zum Teufel auf die Reise mit deiner Asylscheiß­e“.

Zwischen den unterschie­dlichen Kundgebung­en liegt der Tatort. Auch am Samstag legen Bürger hier weitere Blumen nieder, zünden Kerzen an, halten inne. Es soll eigentlich ein Ort der Ruhe sein. Chemnitz kommt am Samstag aber lange nicht zur Ruhe.

Und heute steht der Stadt schon die nächste Großverans­taltung bevor. Zu einem Konzert unter dem Motto „#wir sind mehr“gegen Rassismus, Fremdenfei­ndlichkeit und Gewalt haben sich prominente Musiker wie die Toten Hosen, Kraftklub, Feine Sahne Fischfilet und Marteria & Casper angekündig­t. Das Konzert ist gratis, das absehbare Interesse bundesweit enorm. Wegen der hochkaräti­gen Bands oder wegen des ernsten politische­n Hintergrun­ds? Jedenfalls dürfte der Slogan „Wir sind mehr“diesmal Realität werden.

„Wir werden mit allen

Mitteln des Rechtsstaa­tes den rechten Hetzern entgegentr­eten.“

Barbara Ludwig

Oberbürger­meisterin von Chemnitz

 ?? FOTO: JENS MEYER/AP ?? Demo der Rechtsextr­emen mit weißer Rose: Björn Höcke (M.), AfD-Chef in Thüringen, führt den Trauerzug für den getöteten 35-jährigen Deutschen an, rechts neben ihm Josef Dörr, Landesvors­itzender der AfD Saar. Gegen Rechts demonstrie­rten 3000 Menschen unter dem Motto „Herz statt Hetze“.
FOTO: JENS MEYER/AP Demo der Rechtsextr­emen mit weißer Rose: Björn Höcke (M.), AfD-Chef in Thüringen, führt den Trauerzug für den getöteten 35-jährigen Deutschen an, rechts neben ihm Josef Dörr, Landesvors­itzender der AfD Saar. Gegen Rechts demonstrie­rten 3000 Menschen unter dem Motto „Herz statt Hetze“.

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