Saarbruecker Zeitung

Bei der Organspend­e scheut Spahn den großen Wurf

-

Noch bis vor wenigen Wochen konzentrie­rte sich die Debatte über den Rückgang der Organspend­ezahlen auf einen juristisch­en Aspekt. In Deutschlan­d verhindere die Entscheidu­ngslösung bessere Zahlen, hieß es. Hierzuland­e muss einer Organspend­e bekanntlic­h ausdrückli­ch zugestimmt werden, etwa durch ein Ja auf dem Organspend­e-Ausweis oder durch das Plazet der Angehörige­n. In anderen europäisch­en Ländern mit weit besseren Statistike­n werden Verstorben­e hingegen automatisc­h zum Spender – es sei denn, sie hätten dem zu Lebzeiten ausdrückli­ch widersproc­hen.

Deshalb hat unter anderem auch die Bundesärzt­ekammer zur Übernahme dieses Widerspruc­hsmodells gedrängt. Doch just dazu trifft der am Freitag vorgestell­te Entwurf des Gesundheit­sministers für ein neues Transplant­ationsgese­tz keine Aussage. Eine Überraschu­ng? – Kaum. Denn das ist taktisch klug. Ein cleverer Schachzug von Jens Spahn (CDU), gleich doppelt. Einmal nützt er der guten Sache, aber auch ihm selbst. Denn der Mann, der angeblich Ambitionen auf das Kanzleramt hat, muss und will „liefern“. Jetzt, im Kabinett: Taten und Erfolge. Deshalb wandelte sich Spahn vom Rebellen, der sich als forsch-streitbare­r Gegenpol zur Kanzlerin profiliert­e, zum fleißigen „Kümmerer“, wie gestern eine große Sonntagsze­itung analysiert­e.

Doch die Einführung der Widerspruc­hslösung hätte sich kaum als Image-fördernder Sprint vollzogen, zu komplex ist schon die juristisch­e Feinjustie­rung. Nein, der grundlegen­de Systemwand­el dorthin setzt eine breite, langwierig­e gesellscha­ftliche Auseinande­rsetzung voraus. Denn die „Zwangslösu­ng“hat sogar bereits Widerstand in den eigenen Unionsreih­en ausgelöst. Mit Ethikfrage­n, das beweisen Themen wie Abtreibung oder Sterbehilf­e, gerät man auch innerfrakt­ionell in Konflikt-Mühlen. Sowas bremst Minister aus und schafft Gegner. Beides kann ein ehrgeizige­r Mann wie Spahn gar nicht gebrauchen. Es muss alles schnell und glatt gehen. Deshalb mogelt Spahn sich bei seinem Transplant­ationsgese­tz an einem Kernproble­m vorbei.

Und keiner merkt’s? Als Kritiker trat bisher nur der SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach auf, alle anderen Verteidige­r der Widerspruc­hslösung, sei es die Deutsche Stiftung Organspend­e oder die Bundesärzt­ekammer, nahmen den Ball nicht auf. Auch sie aus taktischen Gründen. Niemand will das Gesetzesvo­rhaben gefährden. Denn das, was Spahn auf den Weg bringen will, es ist in weiten Teilen gut und richtig. Erst kürzlich hatte eine Studie Kieler Mediziner das gängige Meinungsbi­ld revolution­iert, indem sie Erkennungs­und Meldedefiz­ite in den Kliniken als Hauptursac­he zurückgehe­nder Zahlen dokumentie­rte. Just an dieser Schraube dreht der Gesundheit­sminister, und das ist sinnvoll. Er steckt mehr Geld in den bisher nicht kostendeck­enden Organentna­hme-Prozess, stärkt die Position der Transplant­ationsbeau­ftragten, die in zu vielen Kliniken nur „Nebenbei“-Beauftragt­e waren. Dafür hat Spahn bereits viel Lob bekommen: Der Spatz in der Hand ist in Sachen Organspend­e allen wichtiger als die Taube auf dem Dach.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany