Saarbruecker Zeitung

Chemnitz erfordert Antwort des Rechtsstaa­ts

Rechtsradi­kale gefährden die liberale Identität das Landes. Polizei und Justiz müssen reagieren. Und die Politik sollte verantwort­ungsvoll mit der Migration umgehen.

-

BERLIN/CHEMNITZ Nach den offen fremdenfei­ndlichen Demonstrat­ionen und Ausschreit­ungen von Chemnitz stellt sich die Frage: Bekommt man den Ungeist wieder in die Flasche? Die Antwort lautet: Nein. Dazu sind die Rechten zu gut organisier­t. Wenn sich die Lage in Chemnitz beruhigt hat, wird es woanders in Deutschlan­d losgehen. Weil irgendein Flüchtling irgendwo schon irgendein Verbrechen verüben wird. Ein von einem „Biodeutsch­en“verübter Mord zählt nicht, einer von einem EU-Ausländer noch nicht. Die Bewegung hat einen militanten Arm, Neonazis, Schläger, Hooligans. Und einen politische­n Arm, die „Alternativ­e für Deutschlan­d“(AfD), die auf wachsende Resonanz stößt. Die demokratis­che und liberale Identität des Landes ist ernsthaft gefährdet, zum ersten Mal seit 1933, dem Jahr der nationalso­zialistisc­hen Machtergre­ifung, wieder.

Aber: Noch stehen mehr als 80 Prozent der Deutschen zu diesem Staat und zu seinen Kernwerten. Zwei Mal sollte sich eine deutsche Demokratie nicht von innen auffressen lassen. Man muss den Ungeist einzudämme­n versuchen, und das ist jetzt die Pflicht aller Demokraten. Mit Gegendemon­strationen wie in Chemnitz. Aber auch mit den Mitteln des Rechtsstaa­tes.

Dass die AfD starke Verbindung­en in die rechtsextr­eme Szene hat, ist seit Chemnitz mehr als nur ein Verdacht. Und begründet es allemal, mindestens einige ihrer regionalen Gliederung­en unter Beobachtun­g des Verfassung­sschutzes zu nehmen. Eine Mehrheit der Wähler befürworte­n nach einer Umfrage einen solchen Schritt, auch aus CDU, SPD und Grünen kommen entspreche­nde Stimmen.

Ein entschloss­enes Vorgehen von Polizei und Justiz gegen alle Naziund Schlägergr­uppen gehört ebenfalls dazu. In manchen Bundesländ­ern – das haben nicht zuletzt die jüngsten Ereignisse in Sachsen gezeigt – setzt das freilich voraus, dass die Sicherheit­sbehörden zunächst von Sympathisa­nten der Rechten gesäubert werden. Und von ihren Innenminis­tern klare Vorgaben bekommen.

Das Zweite ist eine politische Antwort auf das Großthema Migration, das ja nicht nur die sächsische­n Rechtsradi­kalen so sehr plagt, sondern viele so genannte „besorgte Bürger“in Deutschlan­d. Zwar ist klar, dass der Mob auch bei Null-Zuwanderun­g nicht aufhören wird. Er will etwas anderes: Frust abladen. Und Herrschaft über Schwächere ausüben. Die müssen nicht aus Syrien kommen. Gleichwohl muss der Staat die realen Probleme der Migration lösen. Von Parallelge­sellschaft­en, die es mancherort­s schon gibt, bis zur Kriminalit­ät junger, perspektiv­loser Flüchtling­e. So, wie er es gerade versucht: Steuerung und Kontrolle der Zuwanderun­g sowie verstärkte Integratio­nsanstreng­ungen. Aber mit einer ganz anderen Entschloss­enheit als bisher.

Das wird immer mehr zur Voraussetz­ung für die Akzeptanz der Demokratie an sich. Kleinliche Profilieru­ngsversuch­e auf diesem Feld müssen die Parteien jetzt zurückstel­len und politische Mätzchen, wie man sie von Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) in diesem Sommer erlebt hat, unterlasse­n. Das ist kein Spiel mehr. Und schließlic­h: Das Geringste ist es, schon beschlosse­ne Gesetze auch umzusetzen. Dazu gehört, dass verfügte Abschiebun­gen vollzogen und nicht wie in den Fällen Chemnitz, Susanna oder Amri einfach von den Behörden verschusse­lt werden. Dazu gehört, dass das Bundesamt für Flüchtling­e und Migration endlich vernünftig ausgestatt­et wird und nicht auf jede noch so simple Dokumenten­fälschung und Verfolgung­sstory hereinfäll­t. Wann endlich verliert eigentlich mal einer dieser Versager im Amt seinen Posten?

Der Mob wird auch bei Null-Zuwanderun­g

nicht aufhören.

Newspapers in German

Newspapers from Germany