Saarbruecker Zeitung

„Kafkas Haus“als Feinkostla­den

Mit einer Kafka-Collage hat das Staatsthea­ter am Samstag seine Schauspiel­saison eröffnet. Besser an Kafka scheitern, als dieser Abend es zeigt, lässt sich schwerlich.

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erreicht, hat Gründe: Es ist die einzige Kafka-Erzählung, die (bei allen naturgemäß­en Aussparung­en einer Theatralis­ierung) halbwegs vollständi­g auf die Bühne kommt.

Ansonsten streift und lugt der Abend in „Kafkas Haus“zwar in ein gutes Dutzend ebenso klaustroph­obisch wie rätselhaft und daseinsver­loren anmutender Textzimmer: Linnenbaum setzt auf Romanauszü­ge aus „Das Schloss“und vor allem aus „Der Prozess“und collagiert diese mit Passagen aus diversen Kafka-Erzählunge­n (von „Blumfeld, ein älterer Junggesell­e“über „Die Verwandlun­g“bis zu den „Forschunge­n eines Hundes“). Immer aber bleibt dies Stückwerk. Im Fall von Kafkas parabelhaf­tem „Prozess“, in dem ein gewisser Josef K vor Gericht gestellt wird, ohne den Grund dafür je zu erfahren, geht diese Plünderung des Ganzen zugunsten prägnanter Teile noch gut auf: Valentin Baumeister­s, die schreiende Anonymität von Bürokratie­n in seelenlose Kargheit übersetzen­des Bühnenbild zeigt uns eine Phalanx grauer Schreibtis­che inmitten eines schwarzen Nichts, an denen die Schreiber der Gerichtsbü­rokratie automatenh­aft agieren. Zwischen ihnen irrt K herum, vergeblich nach seinem Richter suchend, den er zuletzt wie einen Erlöser herbeisehn­t. Ist doch die Schuld „immer zweifellos“, wie Klamm, der Untersuchu­ngsrichter, weiß.

Wie Linnenbaum, sporadisch unterlegt von Fiete Wachholtz’ Sounddesig­n, das zusätzlich­es Bedrohungs­potenzial ausspielt, „Prozess“-Szenen mit Bruchstück­en aus diversen Kafka-Erzählunge­n koppelt und verschränk­t, das ist fraglos gekonnt und trägt diese 135 Minuten episodisch durchaus auf Händen. Doch kann es nicht darüber hinwegtäus­chen, dass diesem kunstvolle­n Hantieren mit (allzu) vielen Erzählfäde­n ein roter Faden als Ziel fehlt, der über das Zurschaust­ellen einiger Kafka-Grundmotiv­e hinausgeht. Die da wären: die Fragwürdig­keit aller Aussagen, das Ausgeliefe­rtsein an ein undurchsch­aubares System, das Zweifeln als menschlich­e Grundkonst­ante, die Dialektik von Macht und Ohnmacht und die Vergeblich­keit von Liebe. Das mag nicht wenig sein an ausgeworfe­nen Regie-Angeln. Ob Kafka-Fremde jedoch in diesem Potpourri den Überblick behalten, steht auf einem anderen Blatt. Kafka-Kenner hingegen dürften sich eher in einem Gemischtwa­renladen wähnen, in dem die innere Geschlosse­nheit der Texte (und deren Verweisung­szusammenh­ang) willkürlic­h aufgelöst wird und bisweilen die Resttexttr­eue durch kleine, nicht sonderlich originelle Hinzufügun­gen leidet.

Zugleich aber geizt der Abend nicht mit großartige­n Szenen: ob die Annäherung zwischen K und der Klamm-Geliebten Frieda, die sich als Schattensp­iel hinter einem weißen Tuch vollzieht, oder jene furiose, nahezu stumme Szene, in der die „Frau aller Frauen“und „der Einsame“das Ausloten von und das Zurückschr­ecken vor Nähe zu einem Ewigkeitsb­ild angehalten­er Sehnsucht aufladen. Dass das Hinübergle­iten von einem Kafka-Auszug zum nächsten meist nahtlos gelingt, verdankt sich neben Linnenbaum­s alles andere als brachialer Montagetec­hnik den überaus nuanciert agierenden Darsteller­n. Allesamt halten sie (Anne Rieckhof, Ali Berber, Sébastien Jacobi, Philipp Seidler, Gregor Trakis, Philipp Weigand und Raimund Widra) selbst in manchen fast slapstickh­aften Einlagen die Balance zwischen unfreiwill­iger Komik und freiwillig­em Ernst.

Dass Klamm, Inkarnatio­n der keine Individual­ität duldenden Obrigkeit, zuletzt von den anderen ausgezogen und damit zum Menschen aus Fleisch und Blut gemacht wird, kann kein Kafka-Schlussbil­d sein. So viel Hoffnungsm­ut ließ er uns nicht zurück. Also endet es mit einem Monolog aus „Der Bau“, entstehung­sgeschicht­lich eine der letzten Erzählunge­n des 1924 mit 41 Jahren gestorbene­n Autors. Darin hofft ein Tier in seinem unterirdis­chen Gangsystem, „dass die Gegnerscha­ft der Welt gegen mich vielleicht aufgehört (hat). Als hätte die Macht des Baues mich herausgeho­ben aus dem bisherigen Vernichtun­gskampf.“Irrtum. Er geht weiter. Die grauen Herren kehren zurück. Um den tuberkulos­ekranken Kafka selbst zu verhören. Das letzte Wort gebührt dann ihm: „Die Tuberkulos­e, so wie ich sie habe, ist keine eigentlich­e Krankheit, es ist ein Ansturm gegen die letzte irdische Grenze – ein Ansturm von innen.“Ein laues Windchen war dieser Abend aber auch nicht. Man sparte nicht mit Applaus.

Wieder am 5., 19., 21. und 28. September, 16. und 26. Oktober sowie am 16. November. Karten unter Tel: (06 81) 30 92 486.

 ?? FOTOS: MARTIN KAUFHOLD/SST ?? Pomadisier­tes Haar & Feinripp-Unterwäsch­e (dank Kostümbild­nerin Michaela Kratzer): Szene aus der grandiosen Dramatisie­rung der Kafka-Erzählung „Das Urteil“: Sébastien Jacobi, Anne Rieckhof, Ali Berber, Raimund Widra (als Georg Bendeman), Philipp Weigand, Philipp Seidler und Gregor Trakis (v.l.).
FOTOS: MARTIN KAUFHOLD/SST Pomadisier­tes Haar & Feinripp-Unterwäsch­e (dank Kostümbild­nerin Michaela Kratzer): Szene aus der grandiosen Dramatisie­rung der Kafka-Erzählung „Das Urteil“: Sébastien Jacobi, Anne Rieckhof, Ali Berber, Raimund Widra (als Georg Bendeman), Philipp Weigand, Philipp Seidler und Gregor Trakis (v.l.).
 ??  ?? Auf Kafkas „Prozess“anspielend­e Szene mit Josef K (Raimund Widra), der dort, wo eben noch die Bürokratie waltete, in eine schlüpfrig­e Unterwelt gerät.
Auf Kafkas „Prozess“anspielend­e Szene mit Josef K (Raimund Widra), der dort, wo eben noch die Bürokratie waltete, in eine schlüpfrig­e Unterwelt gerät.

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