„Suspiria“polarisiert beim Filmfestival in Venedig
(dpa) Der Himmel über Venedig hätte nicht besser zur Stimmung vieler Filme beim Festival passen können. Dunkel und düster war er, fast das gesamte Wochenende über – so wie die Werke: Es ging um RAF-Terror in Westdeutschland, gefährliche Rituale von Hexen, die Niederschlagung friedlicher Demonstranten und Rassismus.
Buh-Rufe und Beifall – für „Suspiria“gab es in Venedig beides. Tatsächlich polarisierte der Wettbewerbsbeitrag von Luca Guadagnino enorm. Der Italiener legte ein Remake von Dario Argentos Horrorfilm von 1977 vor. Mit Dakota Johnson und Tilda Swinton geht er ins West-Berlin der 70er Jahre, wo eine junge Amerikanerin an einer Tanzschule angenommen wird. Die Tage der Landshut-Flugzeug-Entführung und Anschläge durch die RAF bilden den Hintergrund für eine Geschichte voller Wahn und Magie, Hexen und Heldinnen, Realität und Imagination. Es wurde eine nervenaufreibende und herausfordernde Erfahrung für das Kinopublikum, das zugleich auch einige der eindringlichen Szenen des Kinoexperiments so schnell wohl nicht vergessen wird – beste Voraussetzungen für den Hauptpreis des Festivals.
Die Besetzung jedenfalls löste Rätselraten aus. Denn in dem Werk taucht nur ein einziger Mann auf: Der Psychoanalytiker Dr. Klemperer wird laut Produktionsangaben vom 82-jährigen Debütanten Lutz Ebersdorf gespielt. Aber gibt es ihn wirklich? Dass er eine gewisse Ähnlichkeit mit Tilda Swinton hat, die im Film eine der Tanzlehrerinnen verkörpert, fiel jedenfalls vielen Festivalbesuchern auf. Wohl ein cleveres Verwirrspiel, das die Themen des Films originell aufgreift.
Der Brite Mike Leigh schaut mit „Peterloo“zurück ins Jahr 1819. Bei Manchester treffen sich 60 000 Menschen zu einem friedlichen Protest für mehr Mitbestimmung. Die Eliten des Landes fürchten den Verlust ihrer Macht und lassen die Demonstration zusammenschlagen; beim „Peterloo-Massaker“sterben viele Menschen. „Unser Film zeigt den Moment, als moderne Demokratie geboren wurde“, sagte Leigh. Er spiegele aber auch vieles von dem wider, mit dem wir derzeit konfrontiert seien: Fragen zur Demokratie und Armut, der Politik in den USA und in Großbritannien.
Ähnliches thematisierte der Italiener Roberto Minervini in seiner Doku „What you gonna do when the world‘s on fire?“. Darin beobachtet er mehrere Afro-Amerikaner in den US-Südstaaten, deren Alltag von Rassismus und Gewalt geprägt ist. Was kann man tun, wenn der Staat und das Justizsystem einen immer wieder ihre Missachtung spüren lassen?
Es gab gestern beim Festival auch etwas zu lachen: Joaquin Phoenix und John C. Reilly spielen „The Sisters Brothers“: zwei Brüder, die als Auftragskiller durchs Oregon der 1850er Jahre jagen. Doch kaum etwas läuft wie geplant. Es ist der erste Film des Franzosen Jacques Audiard („Ein Prophet“) auf Englisch – er bekam begeisterten Applaus für seinen Western voller Komik und bewegender Momente. Und passend dazu klarte der Himmel über Venedig auf.