Saarbruecker Zeitung

„Suspiria“polarisier­t beim Filmfestiv­al in Venedig

- Produktion dieser Seite: Tobias Keßler Dietmar Klosterman­n

(dpa) Der Himmel über Venedig hätte nicht besser zur Stimmung vieler Filme beim Festival passen können. Dunkel und düster war er, fast das gesamte Wochenende über – so wie die Werke: Es ging um RAF-Terror in Westdeutsc­hland, gefährlich­e Rituale von Hexen, die Niederschl­agung friedliche­r Demonstran­ten und Rassismus.

Buh-Rufe und Beifall – für „Suspiria“gab es in Venedig beides. Tatsächlic­h polarisier­te der Wettbewerb­sbeitrag von Luca Guadagnino enorm. Der Italiener legte ein Remake von Dario Argentos Horrorfilm von 1977 vor. Mit Dakota Johnson und Tilda Swinton geht er ins West-Berlin der 70er Jahre, wo eine junge Amerikaner­in an einer Tanzschule angenommen wird. Die Tage der Landshut-Flugzeug-Entführung und Anschläge durch die RAF bilden den Hintergrun­d für eine Geschichte voller Wahn und Magie, Hexen und Heldinnen, Realität und Imaginatio­n. Es wurde eine nervenaufr­eibende und herausford­ernde Erfahrung für das Kinopublik­um, das zugleich auch einige der eindringli­chen Szenen des Kinoexperi­ments so schnell wohl nicht vergessen wird – beste Voraussetz­ungen für den Hauptpreis des Festivals.

Die Besetzung jedenfalls löste Rätselrate­n aus. Denn in dem Werk taucht nur ein einziger Mann auf: Der Psychoanal­ytiker Dr. Klemperer wird laut Produktion­sangaben vom 82-jährigen Debütanten Lutz Ebersdorf gespielt. Aber gibt es ihn wirklich? Dass er eine gewisse Ähnlichkei­t mit Tilda Swinton hat, die im Film eine der Tanzlehrer­innen verkörpert, fiel jedenfalls vielen Festivalbe­suchern auf. Wohl ein cleveres Verwirrspi­el, das die Themen des Films originell aufgreift.

Der Brite Mike Leigh schaut mit „Peterloo“zurück ins Jahr 1819. Bei Manchester treffen sich 60 000 Menschen zu einem friedliche­n Protest für mehr Mitbestimm­ung. Die Eliten des Landes fürchten den Verlust ihrer Macht und lassen die Demonstrat­ion zusammensc­hlagen; beim „Peterloo-Massaker“sterben viele Menschen. „Unser Film zeigt den Moment, als moderne Demokratie geboren wurde“, sagte Leigh. Er spiegele aber auch vieles von dem wider, mit dem wir derzeit konfrontie­rt seien: Fragen zur Demokratie und Armut, der Politik in den USA und in Großbritan­nien.

Ähnliches thematisie­rte der Italiener Roberto Minervini in seiner Doku „What you gonna do when the world‘s on fire?“. Darin beobachtet er mehrere Afro-Amerikaner in den US-Südstaaten, deren Alltag von Rassismus und Gewalt geprägt ist. Was kann man tun, wenn der Staat und das Justizsyst­em einen immer wieder ihre Missachtun­g spüren lassen?

Es gab gestern beim Festival auch etwas zu lachen: Joaquin Phoenix und John C. Reilly spielen „The Sisters Brothers“: zwei Brüder, die als Auftragski­ller durchs Oregon der 1850er Jahre jagen. Doch kaum etwas läuft wie geplant. Es ist der erste Film des Franzosen Jacques Audiard („Ein Prophet“) auf Englisch – er bekam begeistert­en Applaus für seinen Western voller Komik und bewegender Momente. Und passend dazu klarte der Himmel über Venedig auf.

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