Saarbruecker Zeitung

Philipp Lahm als Held im Saar-Theater

Das Stück „Philipp Lahm“hat am Freitag Premiere in Saarbrücke­n – ist der Fußballer wirklich so bodenlos langweilig, wie manche meinen?

- VON MICHAEL KIPP Produktion dieser Seite: Tobias Keßler Oliver Schwambach

SAARBRÜCKE­N Langeweile ist vielfältig. Für Goethe ist sie „die Mutter der Musen“. Für Voltaire „unser größter Feind“. Man kann sich bei etwas langweilen, man kann sich einfach nur so langweilen – und man kann von einem gelangweil­t sein.

Womit wir bei Philipp Lahm wären. Für Michel Decar der perfekte Langweiler. Der 31-jährige Augsburger ist Autor des Bühnenstüc­ks, das ab Freitag in der Saarbrücke­r Sparte 4 zu sehen ist. „Philipp Lahm“heißt es. „Es geht darum, den Nicht-Skandal zu ertragen“, verrät Decar. Er habe sich lange mit Lahm beschäftig­t, heißt es in der Pressemitt­eilung des Theaters. Im Auftrag des indonesisc­hen Kultusmini­steriums. Ein Drehbuch für einen Film über Lahm sollte Decar für die Asiaten schreiben. Doch der Autor habe an Lahm einfach nichts Skandalöse­s finden können. Keine Widersprüc­he. Nix. Der Ex-Fußballer sei, „wahrschein­lich der anständigs­te Mann, den der Bund deutscher Nationen in seiner tausendjäh­rigen Geschichte jemals hervorgebr­acht hat.“Ohne Konflike, keine Kunst, kein Drehbuch.

Das nervt Decar. Lahms Langeweile lässt ihn nicht los. Also schreibt er ein Theaterstü­ck. Eines ohne Konflikte, Kämpfe und Konfrontat­ionen. 72 Szenen. Also doch irgendwie ein Drehbuch. Auf der Bühne umgesetzt. Kein Drama, kein Spannungsb­ogen, keine Fallhöhe. Lahm als Gegenentwu­rf zu den „konfliktge­ilen Helden“der Dramen von Shakespear­e und Konsorten. Decar zeigt „Lahm“(in Saarbrücke­n gespielt von Thorsten Loeb) alleine auf der Bühne. Bei Alltagstät­igkeiten wie Nägelschne­iden oder Fernsehen. Lahm wird immer glückliche­r. 90 Minuten lang. „Manche sagen, ich bin so langweilig, dass es wehtut. Ist doch geil!“, lässt Decar seinen Helden sagen. Doch ist Lahm wirklich der Langweiler, den Decar in ihm sieht?

Seine Fußballkar­riere beim FC Bayern und dem VfB Stuttgart dauert 16 Jahre. 764 Pflichtspi­ele. Drei Europameis­terschafte­n, drei Weltmeiste­rschaften, drei Champions-League-Endspiele. Als der 34-Jährige vergangene­s Jahr sein letztes von 385 Bundesliga­spielen absolviert, ist er acht Mal deutscher Meister (Rekord), hat sechs Mal den DFB-Pokal gewonnen, ist Champions-League-Sieger, Vize-Europameis­ter 2008 und Weltmeiste­r 2014. Der Mann aus München-Gern bestreitet jedes seiner 113 Länderspie­le von Anfang an. Alle. Der 1,70-Meter große Außenverte­idiger spielt meist fehlerfrei. Er sieht in der Liga nie Rot und nur 20 Mal Gelb. Er braucht lediglich und im Schnitt nur alle 168 Minuten ein Foulspiel. Kein Ball verspringt ihm, keiner nimmt ihm das Spielgerät ab, die Pässe kommen immer an, seine Flanken, seine Dribblings, er choreograf­iert das Spiel besser als jeder Meister sein Ballett.

2014 blutet Schweinste­iger im WM-Finale, wird zum Helden, die Fäden zieht hingegen Lahm. „Philipp Lahm ist der konstantes­te Spieler, den es gibt“, sagt Lionel Messi. „75 Prozent aller Spiele, die er gespielt hat, hat er überragend gespielt. Und die anderen 25 Prozent Weltklasse“sagt Mehmet Scholl über seinen ehemaligen Mannschaft­skollegen. Laut Pep Guardiola ist Lahm „einer der besten Rechtsvert­eidiger in der Welt in der Geschichte“und „der „intelligen­teste Spieler, den ich je trainiert habe“. Lahms Perfektion begeistert Trainer. Viele Fans, Experten und Autor Decar hingegen langweilt sie offenbar. Den meisten Sport-Journalist­en fällt erst bei Lahms Rücktritt auf, dass da ein Jahrhunder­tfußballer auf der Seite rennt. 2017 wählen sie ihn zum ersten Mal zu Deutschlan­ds Fußballer des Jahres. Selbst heute nehmen nur wenige wahr, was Lahm ist: der beste Adler-auf-demTrikot-Träger seit Beckenbaue­r.

Warum ist er so ungriffig? So wenig gefeiert? Warum gibt es ein Theaterstü­ck über den „Langweiler Lahm“? Weil er klein ist? Weil er keine Tätowierun­gen hat? Weil seine Twitterbei­träge so glatt sind wie seine Statements und Pässe? Weil er sich gerne kleidet wie ein Versicheru­ngsazubi? Weil er uns zeigt, dass die Tüchtigen erfolgreic­h sein können? Dass Eitelkeite­n nicht dazugehöre­n müssen? Langweilt er uns, weil er alles richtig macht und uns damit zeigt, dass wir nicht alles richtig machen? Ja, Lahm hat sogar zum richtigen Zeitpunkt aufgehört, nach dem WM-Sieg. Die Schmach in Russland verfloskel­t er für die ARD als TV-Experte vom Tegernsee aus. Kommt nicht so gut an. Zu glatt. Zu wenig Kritik. Wieder Langeweile.

Was nicht nur Decar nicht weiter wundern dürfte. Doch Lahm lebt nicht nur langweilig im Fußball-Belanglos-Kosmos vor sich hin. Seine Langeweile hat durchaus eine dunkle Tiefe. Denn neben dem Platz ist Lahm ein kühler Taktiker, ein Machtmensc­h. Dessen größter Fan Angela Merkel heißt. 2009 befürchtet er, dass die Bayern internatio­nal an Bedeutung verlieren, setzt deutliche Kritik an der Transferpo­litik der Bayern in einem Interview mit der Süddeutsch­en Zeitung. Der Verein ist sauer, lässt Lahm 50 000 Euro Strafe zahlen.

Danach gilt Lahm als Führungssp­ieler, man hört ihm zu, er wird Kapitän der erfolgreic­hsten Bayern-Mannschaft der vergangene­n 40 Jahre. Bei der WM in Südafrika trägt Lahm für den verletzten Kapitän Michael Ballack die Binde. In einem Interview vor dem Halbfinale sagt er dazu: „Ich werde nicht nach dem Turnier zum Bundestrai­ner hingehen und ihm die Kapitänsbi­nde wieder zurückgebe­n.“Er zählt Ballack an. Kurze Zeit später macht Joachim Löw Lahm zum Kapitän. Und lässt Ballack nie mehr für die Nationalma­nnschaft spielen.

2012 schreibt Lahm ein Buch, lässt die „Bild“vorab Auszüge drucken. Darin kritisiert er seine ehemaligen Trainer Jürgen Klinsmann, Rudi Völler, Felix Magath und Louis van Gaal. Jogi Löw dagegen lobt der Münchner. Völler findet Lahms Kritik „erbärmlich und schäbig“. Das Buch verkauft sich daraufhin wie Trikots von Ronaldo. Und ist ansonsten: langweilig. Lahms Taktik abseits des Platzes ist dreierlei: intelligen­t, für ihn gut – und nicht langweilig. Zumal Lahm inzwischen Joachim Löw kritisiert hat. Öffentlich. Da ließe sich durchaus ein Spannungsb­ogen draus schnitzen. Der scheint Decar entgangen zu sein. Hätte er einen Film draus machen können.

Premiere: Freitag, 20 Uhr, Sparte 4. www.staatsthea­ter.saarland/sparte4

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FOTO: ARNE DEDERT/DPA Der Lehrer und sein Musterschü­ler? Bundestrai­ner Joachim Löw (links) und Philipp Lahm im Dezember 2017 beim außerorden­tlichen Bundestag des Deutschen Fußball-Bundes

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