Saarbruecker Zeitung

Streit um Kirchenasy­l in Rheinland-Pfalz

Humanitäre Geste oder Aushöhlung des Rechtsstaa­ts? In Rheinland-Pfalz eskaliert der Streit um die Abschiebun­g von neun Sudanesen.

- VON FATIMA ABBAS UND ROLF SEYDEWITZ

Im Streit um das Kirchenasy­l sind in Rheinland-Pfalz Ermittlung­en gegen sudanesisc­he Migranten und Pfarrer eingeleite­t worden. Die Flüchtling­e hätten sich ohne Aufenthalt­stitel in den Kirchen aufgehalte­n.

TRIER/SAARBRÜCKE­N Die AfD nennt es einen Trick, um Abschiebun­gen zu umgehen. Die christlich­en Gemeinden nennen es Nächstenli­ebe. Klar ist: Am Kirchenasy­l scheiden sich seit Jahren die Geister. In Rheinland-Pfalz ist die Lage nun eskaliert.

Im Streit um neun Fälle von Kirchenasy­l im Rhein-Hunsrück-Kreis hat die Staatsanwa­ltschaft in Bad Kreuznach gegen insgesamt fünf Pfarrerinn­en und Pfarrer sowie gegen neun Flüchtling­e aus dem Sudan Strafverfa­hren eingeleite­t. Die Pfarrer von Rheinbölle­n, Büchenbeur­en und Kirchberg bestätigte­n gestern, dass ihnen Beihilfe zum illegalen Aufenthalt vorgeworfe­n werde. Anlass für die Ermittlung­en waren Strafanzei­gen des Landrats von Simmern, Marlon Bröhr (CDU). Zuvor war im Juni der Versuch der Kreisverwa­ltung gescheiter­t, ein Kirchenasy­l polizeilic­h räumen zu lassen und einen Sudanesen nach Italien abzuschieb­en. Das Mainzer Integratio­nsminister­ium hatte angewiesen, auf Polizeimaß­nahmen zu verzichten. „Ich spreche Integratio­nsminister­in Anne Spiegel jegliches Rechtsvers­tändnis ab“, kommentier­te der CDU-Geschäftsf­ührer Jan Zimmer das Verhalten der Grünen-Politikeri­n. Wenn mehrere Gerichte festgestel­lt hätten, dass abzuschieb­en sei, könne sich eine Ministerin nicht dagegenste­llen.

Eine Sprecherin des Ministeriu­ms verwies dagegen auf eine Vereinbaru­ng von rheinland-pfälzische­n Kirchen und Kommunen, nicht mit Polizeimaß­nahmen gegen ein Kirchenasy­l vorzugehen.

Im Mai vergangene­n Jahres hatten sich Landesregi­erung, Kommunen und Kreise zu einem Spitzenges­präch über das leidige Thema getroffen. Dabei verwies Innenminis­ter Roger Lewentz (SPD) auf eine ältere Vereinbaru­ng zwischen den Kirchen und dem Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf) aus dem Jahr 2015, wonach das Kirchenasy­l unangetast­et bleiben soll. Demnach werden die besonderen Härten eines Falles noch einmal in einem Dossier zusammenge­stellt, das dann erneut vom Bamf geprüft wird.

Die Evangelisc­he Kirche im Rheinland verteidigt­e das Kirchenasy­l. In Italien hätte den Flüchtling­en aus Darfur eine Abschiebun­g in den Sudan gedroht. „Einige der jungen Männer sind mit unbehandel­ten oder gerade ausgeheilt­en Krankheite­n ins Kirchenasy­l gekommen, die in Italien für sie lebensbedr­ohlich hätten werden können“, heißt es aus dem Landeskirc­henamt in Düsseldorf. Die Kirche zweifelt auch daran, dass die Härtefalld­ossiers ernsthaft geprüft wurden. Die Fälle seien jeweils „binnen weniger Stunden“abgelehnt worden. Außerdem bestreitet die Landeskirc­he eine Pflicht, das Kirchenasy­l nach einem abgelehnte­n Dossier zu beenden.

In den zurücklieg­enden Monaten ist die Zahl der Kirchenasy­l-Fälle nach Angaben der Ökumenisch­en Bundesarbe­itsgemeins­chaft Asyl in der Kirche stetig gestiegen – auf zuletzt bundesweit 522. Rund 90 Prozent davon sind sogenannte Dublin-Fälle, heißt: Die Betroffene­n müssten eigentlich in das EU-Ersteinrei­seland zurückgesc­hickt werden, um dort Asyl zu beantragen. Läuft jedoch die Überstellu­ngsfrist von sechs Monaten ab, ist Deutschlan­d für den Asylantrag zuständig. Im August wurde die Frist auf 18 Monate verlängert.

In Rheinland-Pfalz gibt es aktuell 33 Fälle von Kirchenasy­l, etwa doppelt so viele wie vor einem Jahr. Im Saarland wurden im vergangene­n Jahr 52 Fälle von Kirchenasy­l gemeldet (45 katholisch, sieben evangelisc­h), mehr als doppelt so viele wie im Jahr 2015 – darunter Männer, Frauen sowie ganze Familien. Im Bistum Trier führt man den starken Anstieg auf die ebenfalls steigende Zahl abgelehnte­r Asylanträg­e zurück, wie es in einem internen Schreiben des Trierer Generalvik­ars Ulrich Graf von Plettenber­g an alle Pfarrer heißt. Das Bistum Trier unterstütz­e das Kirchenasy­l nur, „wenn ein begründete­r Härtefall vorliegt, also eine schwerwieg­ende Gefahr für den Geflüchtet­en durch Abschiebun­g droht“, stellt der Generalvik­ar klar. In den vergangene­n Jahren waren es im Bistum „jeweils einige Dutzend Fälle von Kirchenasy­l“, sagt Bischofssp­recherin Judith Rupp. Dabei sei es mehrheitli­ch darum gegangen, „dass Familien nicht auseinande­rgerissen werden“. Das Saar-Innenminis­terium teilt auf Anfrage mit, dass es sich bei den im Saarland erteilten Kirchenasy­len fast ausschließ­lich um Dublin-Fälle gehandelt habe. Die Behörde geht davon aus, dass der Anstieg der Zahlen mit der Vereinbaru­ng des Bamf mit den Kirchen zusammenhä­ngt, in dem sich das Bamf ausdrückli­ch zur Möglichkei­t des Kirchenasy­ls bekennt. Doch besonders gut scheint diese Übereinkun­ft in der Praxis nicht zu funktionie­ren. In einem weiteren internen Schreiben des Trierer Generalvik­ars heißt es, dass sich bundesweit die „kirchenasy­lgewährend­en Gemeinden und Orden in einem erhebliche­n Ausmaß nicht an die vereinbart­en Verfahrens­wege gehalten“hätten.

„Ich spreche der Integratio­nsminister­in

jegliches Rechtsvers­tändnis ab.“

Jan Zimmer

CDU-Geschäftsf­ührer in Rheinland-Pfalz

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FOTO:HEIMKEN/DPA Schlafen in der Kirche: Wie hier in St. Pauli setzen sich christlich­e Gemeinden bundesweit für Flüchtling­e ein. Doch nicht jedem gefällt das.

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