Saarbruecker Zeitung

Neue Vorwürfe nach Blitz-Beförderun­g

Auch die EU-Bürgerbeau­ftragte übt jetzt scharfe Kritik am steilen Aufstieg des Juncker-Vertrauten Selmayr zum höchsten Beamten der Kommission.

- VON DETLEF DREWES

BRÜSSEL Mit einem derart scharfen Urteil hatte sicherlich niemand gerechnet: Knapp sechs Monate nach der Blitz-Beförderun­g von Martin Selmayr, des engsten Vertrauten von EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker, wurden gestern erneut schwere Vorwürfe laut. In einem Gutachten sprach die Europäisch­e Bürgerbeau­ftragte Emily O’Reilly von mehreren „Verwaltung­smissständ­en“. „Die Kommission wandte die einschlägi­gen Regeln nicht korrekt an – weder ihrem Wortlaut noch ihrem Sinne nach“, schrieb die 61-jährige Irin in ihrem Bericht, für den sie rund 11 000 Seiten an Dokumenten eingesehen und geprüft hatte. Dies habe „berechtigt­es Unbehagen“ausgelöst.

Bereits vor einigen Wochen sprach das Europäisch­e Parlament davon, dass das Vorgehen „als putscharti­ge Aktion gesehen werden könnte, die die Grenzen des Rechts dehnt oder sogar überdehnt“. Selmayr war Ende Februar bei einer Sitzung der EU-Kommission zunächst zum stellvertr­etenden Generalsek­retär ernannt und wenige Minuten danach zum Chef der fast 33 000 Beamten der Behörde befördert worden. Der 47-Jährige, der in Genf, Passau und London Rechtswiss­enschaften studierte, arbeitet seit 2004 für die Kommission. Neben dem Job in Brüssel ist er auch Honorarpro­fessor am Europa-Institut der Universitä­t des Saarlandes.

„Künstlich“habe man den Eindruck geschürt, die Neubesetzu­ng sei extrem dringlich gewesen, weil man die schon länger absehbare Pensionier­ung des bisherigen Amtsinhabe­rs Alexander Italianer geheim gehalten hatte. Damit, so die Bürgerbeau­ftragte weiter, wurde „gerechtfer­tigt, dass es keine Stellenaus­schreibung gab“. Unterm Strich stellte Juncker die Weichen, um seinem Vertrauten in einem undurchsic­htigen Verfahren den Job ohne Konkurrent­en zuzuschanz­en. Mehr noch: Auf die anschließe­nd aufkommend­e Kritik reagierte die Kommission „defensiv, ausweichen­d und teilweise aggressiv“.

Dieser Vorwurf trifft nun besonders den für Personal und Verwaltung zuständige­n deutschen EU-Kommissar Günther Oettinger. Der begrüßte den Bericht gestern und hob hervor, dass die Entscheidu­ng für Selmayr nicht infrage gestellt werde, „der als kompetente­r EU-Beamter, der sich in hohem Maße für die Europäisch­e Union engagiert, beschriebe­n wird“. Da hat Oettinger zweifellos Recht, löst aber nur die neue Frage aus, warum die Kommission sich dann zu einer derartigen Blitz-Aktion entschloss­en hat.

O’Reilly sprach sich gestern für ein „spezielles und separates Ernennungs­verfahren“aus, damit sich ein solcher Fall nicht wiederhole. So solle eine Stellenaus­schreibung veröffentl­icht und das Thema als offizielle­r Tagesordnu­ng der wöchentlic­hen Kommission­ssitzung bekanntgem­acht werden – außerdem seien die externen Experten des sogenannte­n beratenden Ausschusse­s zu beteiligen. Oettinger versprach, die Anregungen zu „überdenken“und zu sehen, wie die „aktuellen Vorschrift­en und Verfahren verbessert werden können“. Mit anderen Worten: Da wird nicht viel kommen.

Die Kommission scheint einfach nur froh zu sein, dass nun auch die letzte Instanz ihren Bericht vorgelegt hat. Selmayr wiederum darf sich zumindest damit trösten, dass seine fachliche Qualifikat­ion für den Spitzenjob im Herzen Europas von niemandem infrage gestellt wurde. Es ging immer nur um das Verfahren seiner allzu raschen Beförderun­g – und das hat er wohl kaum selbst zu verantwort­en.

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FOTO: AFP/MAYO An der fachlichen Qualifikat­ion des Deutschen Martin Selmayr bestehen keine Zweifel.

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