Saarbruecker Zeitung

Britische Regierung bereitet sich auf einen heißen Herbst vor

Das Kabinett von Premiermin­isterin May ist zurück aus der Sommerpaus­e – aber in Sachen Brexit zerstritte­n wie eh und je. Derweil läuft die Zeit davon.

- VON KATRIN PRIBYL

LONDON Von einer wirklichen Sommerpaus­e durfte Premiermin­isterin Theresa May dieses Jahr nur träumen. Zwar war der parlamenta­rische Betrieb seit Mitte Juli eingestell­t. Aber die Hoffnung, dass mit dem Urlaub der Politiker auch die Zwistigkei­ten um den richtigen Brexit-Kurs beigelegt werden könnten, hat sich zerschlage­n. Die Regierungs­chefin steht mehr denn je unter Druck. Gestern kam das Parlament erstmals wieder zusammen und doch war in Westminste­r von nichts anderem als dem „Propaganda-Krieg“die Rede, wie Medien die Fehde zwischen Mays Unterstütz­ern und den Fans von Boris Johnson, dem lautstarke­n Wortführer der Brexit-Hardliner, nennen.

Auf der Seite der Premiermin­isterin steht etwa der für die Scheidungs-Verhandlun­gen zuständige Minister Dominic Raab. Ihre Unterstütz­er werben unaufhörli­ch für den Regierungs­vorschlag für ein Austrittsa­bkommen, der nach seiner Entstehung auf Mays Landsitz Chequers-Plan heißt. Ihre Gegner wie Ex-Außenminis­ter Johnson lehnen den Vorschlag ab, reden von einer Kapitulati­on vor Brüssel. Auch Michel Barnier, der Verhandlun­gsführer der EU, wies ihn zurück.

Was den prominente­n EU-Skeptikern auf der Insel wie eine Unterwerfu­ng vorkommt, wird auf dem Kontinent mit der oft kritisiert­en Rosinenpic­kerei von Seiten der Briten verglichen. So betonte Barnier abermals, dass es einen privilegie­rten Zugang zum gemeinsame­n Binnenmark­t nicht geben solle. Das Königreich wünscht im ChequersPl­an eine Freihandel­szone und würde damit de facto den Binnenmark­t und die Zollunion für diesen Bereich fortsetzen. Die Trennung von Gütern und Dienstleis­tungen zerstört aus Brüsseler Sicht jedoch die Einheit des Binnenmark­ts. Zudem würden die Briten auch bei der Arbeitnehm­erfreizügi­gkeit ausscheren.

Wie geht es weiter? Weder zeigte sich Barnier bislang nachgiebig, noch signalisie­rte May Kompromiss­bereitscha­ft. Unterdesse­n zeigen sich ihre Tories zerstritte­n wie eh und je – exemplaris­ch für die gespaltene Nation. Mittlerwei­le scheint klar, dass Johnson May noch in diesem Jahr herausford­ern will. Es heißt, er und seine Anhänger wollen einen eigenen Vorschlag publiziere­n und so in Westminste­r „einen Feuersturm entfesseln“.

Während die opposition­elle Labour-Partei derweil aus der Brexit-Diskussion beinahe verschwund­en ist und stattdesse­n in einer Antisemiti­smus-Affäre versinkt, wegen der ihr Chef Jeremy Corbyn immer mehr in Not gerät, präsentier­te Brexit-Minister Raab zuletzt erste Pläne für den Fall eines Scheiterns der Gespräche mit Brüssel. Darin zeigte sich, wie eine ungeregelt­e Scheidung weitreiche­nde Konsequenz­en für fast alle Lebensbere­iche haben könnte. Zu den eher fasziniere­nden Erkenntnis­sen gehörte, dass fast die Hälfte der Sperma-Spenden im Königreich aus Dänemark importiert werden. Der mögliche Sperma-Engpass bei künstliche­n Befruchtun­gen aber war nur ein Detail in den Papieren. Auch kilometerl­ange Staus, die in Calais und Dover aufgrund der neuen Zölle drohen, gehören dazu. Trotz aller Debatten schließt May den Ruf nach einem neuen Referendum aber weiterhin aus. Sie bereitet sich vielmehr auf einen heißen Herbst vor.

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FOTO: AUGSTEIN/AP „Brexit – ist es das wert?“, steht auf den Plakaten von Austrittsg­egnern, die gestern in London demonstrie­rten. Die Frage spaltet weiter das Land.

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