Zwei Welten prallen aufeinander
„Fuocoammare – Seefeuer“beleuchtet die Flüchtlingskrise aus einem anderen Blickwinkel.
SAARBRÜCKEN (ry) Lampedusa, eine Mittelmeerinsel von 20 Quadratkilometern, 110 Kilometer von der afrikanischen und 200 Kilometer von der sizilianischen Küste entfernt: Hier lebt der zwölfjährige Samuele, ein cleverer Junge, der gern zur Schule geht und viele Freunde hat. In seiner Freizeit jagt er am liebsten mit Schleudern, die er sich aus Ästen selber bastelt. Er spielt gerne an Land, auch wenn alle um ihn herum vom Meer sprechen und von den Familien, die es unter Lebensgefahr überqueren, um seine kleine Insel zu erreichen. Hunderte Männer, Frauen und Kinder aus Afrika und dem Nahen Osten, die alles daran setzen, über die Straße von Sizilien nach Europa zu gelangen.
Der Dokumentarfilm zeigt zwei Welten, die nah beieinander liegen und sich doch nie berühren: Einerseits den Alltag der Inselbewohner, die seit Generationen von der Fischerei leben und sich zusehends mit westlichen Ängsten auseinandersetzen müssen; andererseits die Schicksale der gemarterten Migranten, die regelmäßig in gewagten Aktionen aus den Fluten gerettet werden. Die Schnittstelle dieser beiden Welten ist dabei das Meer, das die einen ernährt und den anderen das Leben nimmt. Doch so mächtig es auch wirken mag – das Meer kann für all das überhaupt nichts, denn es sind Menschen, die andere Menschen in den Tod schicken.
Durch die parallelen Einblicke in das tägliche Leben von Samuele und anderer Inselbewohner sowie in die Schicksale der Migranten erzählt Gianfranco Rosi die Geschichte einer Insel aus Sicht der Menschen, die sie ganz unterschiedlich erleben. Die Szenen mit Samuele führen nicht nur wie ein roter Faden durch den Film, sondern werden auch zur Quelle subtiler Metaphern. So muss er nach einem Besuch beim Optiker sein „faules“Auge trainieren – so wie die Europäer lernen müssen, Dingen ins Gesicht zu schauen, die sie am liebsten nicht sehen würden.
Auch Samuele entwickelt sich weiter: Am Schluss sieht man ihn beim Streicheln eines jener Vögel, die er zuvor arglos mit seiner Steinschleuder beschoss – als wolle der Film die ganze westliche Welt zu einer ebenso sanften, verständnisvollen Haltung gegenüber den Menschen anregen, die so verzweifelt versuchen, nach Europa zu gelangen. „Fuocoammare – Seefeuer“(ausgezeichnet mit dem „Goldenen Bären“auf der Berlinale 2016) zeigt mit viel Feingefühl, wie das Geschehen auf Lampedusa weltweit zum Skandal wurde. Der Film erzählt von Frauen, Männern und Kindern, die im Leben unversehens Schiffbruch erlitten – und von ihren mutigen Rettern.
Fuocoammare – Seefeuer, 21.55 Uhr, ARTE