Saarbruecker Zeitung

500 Kultur-Veranstalt­ungen für insgesamt 1,3 Millionen Euro bieten derzeit die Metzer „Constellat­ions“

In der Sommersais­on setzen fast alle französisc­hen Städte auf große Kulturerei­gnisse, um Touristens­charen zu locken. Mit den „Constellat­ions de Metz“will die lothringis­che Nachbarsta­dt auch in der oberen Liga mitspielen. Das Konzept scheint aufzugehen.

- VON SILVIA BUSS

Einfach nur den farbigen Linien auf dem Boden folgen, heißt es derzeit in Metz. Sie führen den Besucher kreuz und quer durch die Stadt, von einem Kunstwerk zum nächsten. Man kennt das Prinzip aus Saarbrücke­ns Partnersta­dt Nantes. Dort lockt „Le voyage à Nantes“, ein Kunstparco­urs mit spektakulä­ren und oft witzigen temporären Kunstinsta­llationen im öffentlich­en Raum (samt Festivalpr­ogramm) jeden Sommer über zwei Millionen Touristen an. So weit ist man in Metz noch nicht. Dort rechnen die Stadtväter, die in Gestalt der „Constellat­ions“nun zum zweiten Mal ein üppiges Sommerkult­urprogramm mit 500 Veranstalt­ungen auffahren, diesmal in der Zeit von Ende Juni bis Mitte September, mit 800 000 Besuchern – und die Hotels mit mehr Übernachtu­ngen (im Vorjahr zählten sie 21 Prozent mehr).

Auch die Metzer haben offensicht­lich das Potenzial von Kunst-Schnitzelj­agden erkannt. Im Vorjahr boten sie lediglich einen Ein-Kilometer-Parcours mit zehn Installati­onen von regionalen und internatio­nalen Künstlern. In diesem Jahr gibt es vier Kunst-Strecken von 15 Kilometern Gesamtläng­e. Als Zugpferd dient, wie 2017, ein großes Videomappi­ng-Spektakel an der Ostfassade der Kathedrale, das während der „Constellat­ions“jeweils donnerstag­s bis samstags bei Dunkelheit beginnt. Computerte­chnisch sind die 15-minütigen Video-Projektion­en sensatione­ll: Der Künstler Yann Nguema, zum zweiten Mal in Metz am Werk, hat jeden einzelnen der über 2000 Fassadenst­eine eingescann­t und lässt sie in rasanten Licht-Projektion­en mit 3D-Effekten so wild auseinande­rfliegen und wieder zusammensc­hmelzen, dass einem fast schwindlig wird. So vielfältig seine von dramatisch­en Elektroklä­ngen unterlegte­n visuellen Deund Rekonstruk­tionen der Fassade und ihrer Ornamente auch sind, so fehlen ihnen doch ein Spannungsb­ogen und Abschluss-Tusch. Die Rechnung der städtische­n Tourismusm­arkting-Agentur „Inspire Metz“aber geht auf: Selbst nach Wochen ist der Platz vor der Kathedrale beim Videomappi­ng noch brechend voll.

Von dieser Show „Alter Lux Animae“strömen die Massen anschließe­nd weiter auf den „Parcours pierres numériques“(digitale Steine), benannt nach dem europäisch­en Interreg-Programm, das auch den Saarbrücke­r Artwalk und Perspectiv­es förderte. „IT- und Lichtkunst trifft auf historisch­e Gemäuer“heißt das Motto, mit dem sich Metz auch als Innovation­s-Stadt profiliere­n will. In zwei Schleifen um die Kathedrale kann man auf Schritt und Tritt Leuchtende­s entdecken: Neo-Pop-Art-Projektion­en an Wänden oder auch ganze Felder von Papierschi­ffchen, die beständig die Farbe wechseln, auf der Mosel. Das Spektrum reicht bis hin zu historisch­en Computersp­ielautomat­en, die eine ehemalige Kirche in eine turbulente Spielhölle verwandeln. Auch wenn nur weniges so überzeugen­d und magisch ist wie die Installati­on „Wharping Halos“in der Trinitaire­s-Kirche (siehe kleines Foto), so verschafft die Vielfalt dem nächtliche­n Spaziergan­g doch einen großen Reiz und belebt die Gassen der sonst „schlafende­n Schönen“, wie Metz genannt wird.

Selbst weit nach Mitternach­t sitzen die Menschen noch überall in den Straßencaf­és, sehr zur Freude der Gastronome­n. Auch tagsüber wirkt Metz, jedenfalls bei schönem Wetter, derzeit sichtlich voller. An allen Ecken und Enden sieht man Passanten mit Faltblätte­rn, die bunten Boden-Linien folgen. Denn drei Kunstparco­urs lassen sich nur im Hellen erwandern. Und da sich das an einem Tag kaum schaffen lässt, könnten sie dafür sorgen, dass Touristen länger bleiben. Metz hat die Strecken sehr clever angelegt: Sie führen alle weg von den gewöhnlich­en Besucher-Trampelpfa­den zwischen Kathedrale und der Einkaufstr­aße Rue Serpenoise. Der „Parcours Arts et Jardins“etwa startet an der Place de la Comédie, deren temporärer Sommergart­en rund um den Springbrun­nen nun zusätzlich mit Klanginsta­llationen aufwartet.

Der „Parcours Robert Schad“wiederum führt den Besucher von der Kathedrale zunächst ins lange Zeit dahin darbende und nun renovierte Einkaufsze­ntrum Saint-Jacques, in die frisch restaurier­te historisch­e Porte des Allemands und schließlic­h in den modernen Stadtpark an der Seille, direkt neben dem neuen Einkaufsze­ntrum Muse und dem Centre Pompidou. Man ahnt, die Kunstspazi­ergänger sollen auch zum Shoppen verleitet werden, muss aber auch konzidiere­n: Der gelbe Jaumont-Stein der Metzer Kulisse steht den Cortenstah­l-Plastiken des parallel auch in Saarlouis ausgestell­ten Künstlers ausnehmend gut.

Die ausgefalle­nste Route ist der „Parcours Streetart“, schickt sie einen doch vom Einkaufsze­ntrum Muse aus immer entlang der Mettis-Bus-Trasse durch (neugestalt­ete) Straßen, durch die man sonst nie käme. Bespielt werden unterwegs der Boden unter den Füßen, Freitreppe­n, Glasdächer, Straßenmöb­el, Container und abgestellt­e Linienbuss­e. Urban Art geht hier weit über Wände hinaus. Höhepunkt jedoch ist die (profanisie­rte) Basilika Saint-Vincent auf der Belle-Isle. In ihrem riesigen gotischen Kirchensch­iff kann man sich dann nicht ganz sicher sein, was einen stärker beeindruck­t, die Installati­onen und großen mit Illustrati­onen bedruckten Stofffahne­n von zwölf Künstlern, darunter der Saarbrücke­r Cone the Weired, oder doch die Kirche selbst.

Der eigentlich­e Gewinner der Metzer Kunstverlo­ckungen ist der städtische Raum: Metz erscheint dem Flaneur sehr viel weitläufig­er, auch reicher an malerische­n Ecken, an historisch­er und neuer Architektu­r, gepflegten urbanen Plätzen und Parks. Und man ahnt: Man hat noch längst nicht alle Schönheite­n gesehen.

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FOTO: SILVIA BUSS Doppelter Effekt: Der Jaguar war bei den Mayas Sinnbild für das Licht. Wenn man diese Graffiti-Arbeit von Marko 93 (Saint Denis) am Metzer Place de la République nachts mit dem Smartphone anblitzt, sieht man den Jaguar als Sternbild.
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FOTO: SILVIA BUSS Mit „Wharping Halos“, einem scheinbar schwebende­n Kreis, der beständig die Farbe wechselt, schafft die Straßburge­r Künstlergr­uppe „Children of the Light“in der ehemaligen Église des Trinitaire­s eine magische Atmosphäre.

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