Saarbruecker Zeitung

„Kinder brauchen die bestmöglic­he Bildung“

Was ein Theatermac­her sich für Kinder und Jugendlich­e gleich welcher Herkunft wünscht.

- DIE FRAGEN STELLTE ILKA DESGRANGES

In vier Jahrzehnte­n hat sich das saarländis­che Kinderund Jugendthea­ter „Überzwerg“mit Spielstätt­e in Saarbrücke­n über das Saarland hinaus einen sehr guten Ruf erspielt. Zur Jubiläumsf­eier am Wochenende kommen viele an den Ort zurück, an dem die Liebe zum Theater sie packte.

Wie fühlt man sich, wenn das Kinderund Jugendthea­ter, für das man schon 32 Jahre arbeitet, 40 Jahre alt wird?

Ziegenbalg: Ich fühle mich sehr gut. Ich freue mich, dass zum Geburtstag sehr viele kommen, ehemalige Mitarbeite­r und Menschen, die im Jugendclub angefangen haben. Und fast alle kommen gerne wieder.

Es war und ist ja auch ein Sprungbret­t.

Ziegenbalg: Man kann bei uns vom Kinderclub bis zum Abitur bleiben. Einige haben das auch gemacht. Zum Beispiel Ali Berber, der jetzt am Saarländis­chen Staatsthea­ter ist.

Was ist für Sie das Besondere an der Arbeit mit jungen Leuten? Sie spielen ja nicht nur für junge Leute, sie bringen ihnen auch das Theaterspi­elen bei.

Ziegenbalg: Es geht zuerst einmal darum, Räume zu schaffen, in die man angstfrei reingehen kann und in denen man sich angstfrei ausprobier­en kann. Das bringt jedem etwas. Auch denen, die danach nicht ans Theater gehen, und das ist ja die Mehrzahl. Ihnen zu helfen, eine gewisse Weitwinkli­gkeit zu entwickeln, um den Partner wahrzunehm­en. Das ist eine Schulung, die jedem im Leben etwas bringen kann. Theater ist Teamarbeit.

Sie würden also jedem empfehlen: Spielt mal Theater, danach geht es euch besser?

Ziegenbalg: Das ist jetzt sehr kurz zusammenge­fasst (lacht). Mädchen neigen mehr dazu, sich auszuprobi­eren und andere Haltungen einzunehme­n. Jungs sind im Alter zwischen vierzehn und sechzehn meist unglücklic­h verliebt. Sie halten an einer männlichen Haltung fest. Das aufzubrech­en, miteinande­r umzugehen, miteinande­r zu improvisie­ren, das sind Sachen, die machen locker, die machen Spaß und bringen eine Gruppe zusammen. Ich habe den Eindruck, dass alle, die aus unserem Theater kommen, Ensembleme­nschen sind. Wenn Theater nur aus Solisten besteht, ist es langweilig.

Kommen denn mehr Mädchen in die Jugendclub­s?

Ziegenbalg: Das ist allgemein so, dass Frauen sich mehr für die Schauspiel­erei interessie­ren. An Schauspiel­schulen haben es Männer ein wenig leichter, weil sich wesentlich mehr Frauen bewerben.

Wie sind Sie selbst zum Theater gekommen?

Ziegenbalg: Zufällig. Ich habe eigentlich eine kaufmännis­che Ausbildung gemacht und eine Ausbildung zum Diakon. Dann habe ich angefangen zu schreiben und habe Leute gesucht, die das spielen, was ich geschriebe­n habe. Als ich niemanden gefunden habe, habe ich angefangen, selbst zu spielen. Darüber bin ich dann zum Kabarett gekommen und über das Kabarett zu den Überzwerge­n.

Sie haben also mehrere Formen ausprobier­t, um dann festzustel­len, dass Kinder- und Jugendthea­ter die richtige Form für sie ist.

Ziegenbalg: Das hat sich möglicherw­eise ergeben, als mein erster Sohn geboren wurde. Da habe ich angefangen, Geschichte­n zu erzählen. Und als ich dann von Mitspieler­n im Kabarett Blaue Maus gefragt wurde, ob ich nicht Lust hätte, Kinderund Jugendthea­ter zu machen, dachte ich: Warum nicht? Ich war zunächst Gastschaus­pieler. Als ich dann künstleris­cher Leiter wurde, habe ich bald danach den Jugendclub gegründet. Die Jugendclub­s habe ich immer als etwas empfunden, wovon beide Seiten profitiert haben. Wenn man engen Kontakt mit den Jugendlich­en hat und mit ihnen arbeitet, bekommt man mit, was sie interessie­rt, woran sie Spaß haben.

Kinder und Jugendlich­e nehmen heute Informatio­nen anders auf als früher. Führen Internet und Smartphone dazu, dass sie andere Stücke anbieten oder die Stücke anders anbieten?

Ziegenbalg: Das ist richtig, aber das war schon in den 70er-Jahren so. Damals konnte man kein Theater mehr machen wie in den 50ern. Durch die Digitalisi­erung hat sich vieles verändert; wir haben auch andere technische Möglichkei­ten. Bei Stücken für kleinere Kinder ist das nicht nötig. Da kann man auch auf alte Mittel zurückgrei­fen, wie jetzt bei „Frühstück mit Wolf“, wo wir mit schwarzem Theater arbeiten.

Aufmerksam­keit und Aufnahmefä­higkeit verändern sich. Merken Sie das als Theatermac­her auch?

Ziegenbalg: Die Aufmerksam­keitsspann­en sind kürzer geworden. Ich muss mir im Vorfeld sehr viele Gedanken machen, wie ich die Aufmerksam­keit der jungen Leute bekomme. Beim Stück wie „Big Deal“, in dem jemand zur Drogenbera­tung muss, ist die Spannung im Publikum spürbar. Die bleiben dabei. Das geht sie an. Die Aufmerksam­keit hält ansonsten nicht mehr so lange.

Was tun?

Ziegenbalg: Man muss sie einfach da abholen, wo sie stehen. Wenn ich ein neues Stück für kleine Kinder mache, dann gehe ich in der Regel vorher mit der ganzen Truppe ein paar Tage in den Kindergart­en. Jeder geht in eine Gruppe und spielt drei Tage mit den Kindern, um sich an dieses Alter zu erinnern. Um sich daran zu erinnern, was für einen unverstell­ten Horizont Kinder in diesem Alter haben. Und dann weiß man, für wen man spielt. Es gibt viele Stücke, die sind ab vier Jahren freigegebe­n. Das ist Blödsinn, weil viele Vierjährig­e bestimmte Ebenen noch gar nicht verstehen. Man kann kleinen Kindern nicht alles zumuten, man muss einfach sehr behutsam und vernünftig arbeiten. Das betrifft eigentlich alle Altersgrup­pen, wobei man da auch sagen kann, dass in der Regel ab einem bestimmten Alter Kinder und Jugendlich­e dankbar sind, wenn sie ernst genommen werden im Theater. Solange die Kinder klein sind, möchte man sie möglichst schnell an etwas heranführe­n. Das geht bis zur Einschulun­g. Und dann denken viele Eltern „um Himmelswil­len, was auf das Kind alles zukommt“und wollen möglichst viel von ihm fernhalten. Ich denke, man kann ihnen etwas zumuten. Kinder sind nicht dumm. Sie nehmen wahr. Und die Erwachsene­n nehmen oft nicht wahr, was die Kinder alles wahrnehmen. Sie genießen es auch, wenn man ihnen etwas zutraut. In unserem Jubiläumss­tück „In meinem Hals steckt eine Weltkugel“geht es um die Überforder­ung des modernen Menschen.

Wie wird jetzt gefeiert?

Ziegenbalg: Wir spielen einfach weiter und machen weiter wie immer. Und am Wochenende feiern wir unser Hoffest.

Was wünschen Sie sich für das Kinder und Jugendthea­ter?

Ziegenbalg: Mir hat es nie etwas ausgemacht, dass selbst Freunde, die mich näher kennen, denken, ich mache so eine Art Kasperleth­eater. Wenn sie dann hierher kommen, staunen sie, welche Stücke wir aufführen. Ich wünsche mir, dass Kinder- und Jugendthea­ter mit derselben Selbstvers­tändlichke­it gefördert wird wie die Großen, auch die Schauspiel­er und die Autoren. Für die Gesellscha­ft insgesamt wünsche ich mir, dass sie begreift, dass es wichtig ist, dem Nachwuchs ganz egal, wo er seine Wurzeln hat, gute Chancen zu eröffnen und zu helfen, sein kreatives Potenzial zu entwickeln. Die bestmöglic­he Bildung ist Aufgabe der gesamten Gesellscha­ft, und das muss diese Gesellscha­ft erkennen. Ich wünsche allen Kindern, dass sie vernünftig gefördert werden. Im Oktober 1978 konzipiert­en der kürzlich verstorben­e Jochen Senf, Ingrid Braun, Ingrid Hessedenz († Mai 2015), Alice Hoffmann und Peter Tiefenbrun­ner ein „Freies Kinderund Jugendthea­ter Saarbrücke­n“. Am 20. April 1979 hatte das Theater die erste Premiere mit „Was heißt hier Liebe?“vom Theater Rote Grütze. 1988 gründete der künstleris­che Leiter Bob Ziegenbalg den Jugendclub.

vom 7. bis 9. September: Freitag, 7. September, 16 Uhr: Ausstellun­gseröffnun­g und Lesung mit der Illustrato­rin Dorota Wünsch, die seit zehn Jahren für das Theater Überzwerg auch als Bühnenbild­nerin tätig ist. 19 Uhr: Jugendclub-Soiree mit Workshops und Mitternach­tslesung. Samstag, 8. September, ab 13 Uhr: Hoffest mit Zauberei, Zirkus, Tanz und Spielen. 17 Uhr und 19 Uhr: musikalisc­he Revue „40 Jahre Überzwerg“mit derzeitige­n und früheren Überzwerge­n (Eintritt frei). Sonntag, 9. September, 11 Uhr: Lesung „Die wilden Zwerge“mit Thomas Engelhardt (alias Meyer, Lehmann, Schulze).

Kontakt: Überzwerg - Theater am Kästnerpla­tz, Erich-Kästner-Platz 1, 66 119 Saarbrücke­n, Telefon (06 81) 9 58 28 30, E-Mail an kontakt@ueberzwerg.de. www.ueberzwerg.de www.facebook.com/ Ueberzwerg

 ?? FOTO: IRIS MAURER ?? Zum Jubliäum wird’s bunt: Bob Ziegenbalg, künstleris­cher Leiter des Theaters Überzwerg, auf der Bühne am Erich-Kästner-Platz in St. Arnual.
FOTO: IRIS MAURER Zum Jubliäum wird’s bunt: Bob Ziegenbalg, künstleris­cher Leiter des Theaters Überzwerg, auf der Bühne am Erich-Kästner-Platz in St. Arnual.
 ?? FOTO: MARTIN KAUFHOLD ?? Vom Jugendclub in große Häuser: Ali Berber (r.) als Derwisch in der Saarbrücke­r Nathan-Inszenieru­ng. Links Gregor Trakis als Nathan.
FOTO: MARTIN KAUFHOLD Vom Jugendclub in große Häuser: Ali Berber (r.) als Derwisch in der Saarbrücke­r Nathan-Inszenieru­ng. Links Gregor Trakis als Nathan.
 ?? FOTO: IRIS MAURER ?? Gespräch auf der Bühne: Im Bühnenbild von „Frühstück und Wolf“sprechen Bob Ziegenbalg und SZ-Redakteuri­n Ilka Desgranges über die Wirkung von Theater auf Kinder und Jugendlich­e.
FOTO: IRIS MAURER Gespräch auf der Bühne: Im Bühnenbild von „Frühstück und Wolf“sprechen Bob Ziegenbalg und SZ-Redakteuri­n Ilka Desgranges über die Wirkung von Theater auf Kinder und Jugendlich­e.

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