Saarbruecker Zeitung

Großes Talent, große Ansprüche, großer Druck

Naomi Osaka wird nach dem Vorbild der Williams-Schwestern zum Star aufgebaut. Mit den ersten Erfolgen wachsen auch die Erwartunge­n.

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(sid) In New York bekam die Tenniswelt eine Ahnung davon, welch gewaltigem Druck diese junge Frau mit der wilden Lockenmähn­e ausgesetzt ist. Nach ihrem Einzug ins Viertelfin­ale der US Open kamen Naomi Osaka die Tränen, doch die Japanerin weinte nicht nur vor Freude. Viel mehr brach sich die Erleichter­ung Bahn, endlich den Erwartunge­n gerecht zu werden.

„Jedes Mal bei einem Grand Slam bin ich gefragt worden, ob ich die dritte Runde überstehe. Als ich in Australien in der vierten Runde stand, haben die Leute gefragt: Kommst du noch weiter oder war es das jetzt?“, erklärte Osaka ihren emotionale­n Ausbruch nach dem 6:3, 2:6, 6:4-Erfolg gegen die Weißrussin Aryna Sabalenka.

Die Ansprüche an Osaka klingen unfair, immerhin ist sie erst 20 Jahre alt und spielt gerade mal ihr elftes Grand-Slam-Turnier. Sie leiten sich jedoch aus ihrer Geschichte ab und reichen weit über das Tennis hinaus. So weit, dass es ihr selbst nicht schnell genug gehen kann und dass ein Achtelfina­lsieg reicht, um die Last auf ihren Schultern sichtbar werden zu lassen.

Doch der Reihe nach: Naomi Osaka wurde in der gleichnami­gen Stadt in Japan als Tochter einer Japanerin und eines New Yorkers mit Wurzeln in Haiti geboren. Mutter Tamaki galt durch die Liaison mit Leonard Francois als Schande für ihre Familie, das konservati­ve Land hält noch immer am Mythos der Homogenitä­t fest. Osaka ist für traditione­lle Kreise daher nur eine „Hafu“, eine Halbjapane­rin, ebenso wie ihre zwei Jahre ältere Schwester Mari.

Ein Grund für die Familie, die Heimat zu verlassen und in die USA zu ziehen. Naomi ist zwei Jahre alt, als ihr Vater einen tollkühnen Plan fasst. Seine Töchter sollen aufwachsen wie die Williams-Schwestern. „Die Blaupause war da. Ich musste ihr nur folgen“, sagte Leonard Francois in einem Interview der New York Times über sein Vorbild Richard Williams, der Serena und Venus von klein auf zu Tennisstar­s erzog.

Und tatsächlic­h sind Naomi und Mari Osaka Tennisprof­is geworden, das größere Potenzial besitzt die Kleinere. Ihr Münchner Trainer Sascha Bajin, lange Zeit im Team von Serena Williams angestellt, sagt über seinen Schützling voll des Lobes: „Ich habe fast acht Jahre lang mit Serena gespielt, und Naomis Waffen sind genauso groß wie ihre. Sie hat keine Angst vor der großen Bühne, darum glaube ich, dass sie etwas Großes in sich trägt.“

Das bewies Naomi Osaka bereits im vergangene­n Jahr, als sie in New York Titelverte­idigerin Angelique Kerber deklassier­te. In Indian Wells im März holte sie ihren ersten Titel, wenig später gewann sie in Miami gegen ihr großes Idol Serena Williams. In ihrem ersten Grand-Slam-Viertelfin­ale trifft Osaka heute auf Lesia Zurenko aus der Ukraine. Eine schlagbare Gegnerin.

Osakas Agent Stuart Duguid reibt sich bereits die Hände – vor den Sommerspie­len 2020 in Tokio sind die Vermarktun­gsmöglichk­eiten in Asien und den USA grenzenlos. Doch Duguid denkt darüber hinaus. Er hofft, dass Osaka „die Wahrnehmun­g“der „Hafu“in Japan zum Positiven verändert. „Sie kann eine Botschafte­rin des Wandels sein“, sagt Duguid. Viel und noch mehr Druck für eine 20-Jährige, die auf dem Tennisplat­z selbst die größten Erwartunge­n an sich hat. Da können schon mal Tränen fließen.

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FOTO: FINNEY/GETTY IMAGES/AFP Naomi Osaka freut sich über den erstmalige­n Einzug in ein Grand-Slam-Viertelfin­ale. Eine Überraschu­ng ist dies jedoch nicht.

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