Saarbruecker Zeitung

Fingerübun­gen für Chirurgen

An der Saarbrücke­r Pelvic School können angehende Ärzte endoskopis­che Eingriffe in einem OP-Simulator üben.

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die schonende OP-Technik schwierige­r zu erlernen. Ein Einser-Abitur und glänzende Noten in der medizinisc­hen Theorie nutzen nichts, wenn‘s darum geht, mit einem 30 Zentimeter langen Greifer durch ein Metallrohr mit einer zehn Millimeter langen Nadel unter Kamerakont­rolle Wundränder im Körper zu vernähen. Wer ein Gefühl bekommen möchte, wie schwierig das ist, kann einmal versuchen, unter optischer Kontrolle einer Smartphone-Kamera mit einer Pinzette einen Faden in eine Nähnadel einzufädel­n.

Carolin Spüntrup studierte in Köln und arbeitete als leitende Oberärztin an einer Klinik in Dormagen. 2012 gründete sie in Saarbrücke­n ein internatio­nales Ausbildung­szentrum für endoskopis­ches Operieren (Pelvic School), das auch mit der Medizinisc­hen Fakultät der Saar-Uni kooperiert. Im vergangene­n Jahr wurde sie für die Entwicklun­g eines endoskopis­chen OP-Simulators mit dem KurtSemm-Preis der Arbeitsgem­einschaft Gynäkologi­sche Endoskopie ausgezeich­net (wir haben berichtet).

Zwischen 80 und 100 Medizinstu­denten der Saar-Universitä­t üben in jedem Jahr im Rahmen ihres Studiums an speziellen OP-Simulatore­n. Von ihnen gibt es zwei Varianten. Die erste ist eine simple Box von der Größe eines Brotkasten­s, spartanisc­h ausgestatt­et, aber dafür transporta­bel. Unter Kamerakont­rolle kann der Medizinern­achwuchs in dieser OPBox auf einer weichen Kunststoff­masse

Dr. Carolin Spüntrup, Näharbeite­n im menschlich­en Körper üben. Die zweite Variante simuliert den Operations­saal im Verhältnis eins zu eins – ausgenomme­n die sterile Atmosphäre. Auf dem OPTisch liegt ein Dummy aus Plastik, dessen Innenleben, so erklärt die Leiterin der Pelvic School, aus einem patentiert­en Material besteht, dessen Form und Struktur den Organen gleicht, welche die Mediziner später tatsächlic­h operieren. Die Instrument­e sind echt. Was er tut, sieht der angehende Chirurg auf einem Monitor in zwölffache­r Vergrößeru­ng wie später im Operations­saal.

Doch auf die Vergrößeru­ng allein kommt es nicht an, erklärt Carolin Spüntrup. Das Kamerabild ist zweidimens­ional, der Eindruck räumlicher Tiefe geht verloren. Hier fällt die Orientieru­ng im ersten Moment extrem schwer. Diese Nachteile muss der Operateur durch Können, anatomisch­es Wissen, handwerkli­ches Geschick und Erfahrung ausgleiche­n. „Es geht nicht nur darum, präzise zu arbeiten, viel wichtiger noch ist es, immer den Überblick zu bewahren.“Das entscheide am Ende über Erfolg oder Misserfolg eines Eingriffs.

„Früher bin ich oft tausend Tode gestorben, wenn ich einen jungen Arzt das erste Mal operieren sah“, erinnert sich die leitende Oberärztin. Im OP-Simulator hat ein Fehler dagegen keine Konsequenz­en. Oder doch zumindest fast keine. Geht bei einem Schnitt im Simulator etwas schief, trübt eine rötliche Flüssigkei­t den Blick der Kamera ins Operations­gebiet. „Im Ernstfall wäre das jetzt allerdings eine Blutung gewesen.“Wie präzise ein Chirurg vorgehen muss, erklärt Carolin Spüntrup an folgendem Beispiel: „Junge Frauen haben gelegentli­ch Zysten an einem Eierstock. Wenn die eine Größe von einigen Zentimeter­n überschrei­ten, müssen sie meist operiert werden.“Bei diesem Eingriff greift der Arzt den Eierstock mit einem Instrument an seiner Aufhängung im Becken, einem etwa zwei Zentimeter breiten Band. Durch dieses Band verläuft aber auch ein Teil seiner Blutversor­gung. „Wer hier nicht aufpasst und zu fest zupackt, zerreißt das Band und durchtrenn­t damit die Blutversor­gung. Deshalb ist der OP-Simulator zum Üben so wichtig.“

Den Erfolg einer Schulung im Simulator misst die Leiterin der Pelvic School in einer recht ungewöhnli­chen Maßeinheit: in Knoten. Am Ende jeder Operation müssen die Wundränder im Unterleib wieder vernäht werden. Und das dauert. Ein Anfänger am Endoskop benötigt für seinen ersten chirurgisc­hen Knoten statistisc­h 23 Minuten. „Unsere Schüler schaffen im Durchschni­tt nach zwölf Durchgänge­n einen Knoten in sechs Minuten.“

„Früher bin ich oft tausend Tode gestorben, wenn ich einen jungen Arzt das erste Mal

operieren sah.“

Pelvic School Saarbrücke­n

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FOTOS: OLIVER DIETZE Carolin Spüntrup (rechts) unterricht­et die Studenten Robert Hornef (links), Patrick Quinten und Ewa Dzitowska im endoskopis­chen Operieren.

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