Maas besucht Türkei in schwierigen Zeiten
Der feste Wille ist da: Deutschland und die Türkei wollen wieder Normalität in ihren Beziehungen. Doch es bleibt kompliziert.
Sieben Deutsche in türkischen Gefängnissen: Zwischen Berlin und Ankara gibt es nach wie vor Redebedarf. Das wurde auch beim ersten Staatsbesuch von Außenminister Heiko Maas deutlich.
(dpa) Diesen Palast haben noch nicht allzu viele Außenminister gesehen. Der Ak Saray, für den der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan ein geschütztes Waldgebiet im dicht besiedelten Ankara abholzen ließ, soll größer sein als das Weiße Haus in Washington und der Buckingham Palast in London. An diesem Mittwochnachmittag fährt Heiko Maas mit seiner Wagenkolonne vor dem gigantischen Neubau vor. Erdogan hat auch schon früher deutsche Chefdiplomaten in Ankara begrüßt. Dass Maas bei seinem Antrittsbesuch quasi wie ein Kanzler empfangen wird, hat diesmal trotzdem eine besondere Bedeutung.
Nach vielen Monaten erbitterten Streits um Wahlkampfauftritte in Deutschland und Verhaftungen in der Türkei, nach Nazi-Beschimpfungen und Strafaktionen wollen beide Seiten zurück zur Normalität in den deutsch-türkischen Beziehungen. Der Maas-Besuch ist nur der Auftakt einer Reise-Serie von Regierungsmitgliedern beider Seiten, die am 28. und 29. September im ersten Staatsbesuch Erdogans in Deutschland gipfeln wird.
Das Interesse des türkischen Präsidenten ist eindeutig: Die wirtschaftliche Talfahrt seines Landes zwingt ihn fast schon dazu, die Nähe zu suchen. Sanktionen und Strafzölle der USA haben das Land in eine schwere Währungskrise gestürzt. Die Türkei erhofft sich politische Rückendeckung von Deutschland und Investitionen deutscher Unternehmen, will aber zunächst nicht auf Finanzhilfen dringen.
Die würde Deutschland derzeit auch nicht gewähren. „Ich glaube nicht, dass es im Moment darum geht, über Hilfsmaßnahmen zu sprechen“, sagte Maas. Der Grund für die Zurückhaltung sitzt hinter Schloss und Riegel. Seit dem Putschversuch 2016 sind 35 deutsche Staatsbürger aus politischen Gründen in der Türkei inhaftiert worden. Ihnen wurde in der Regel Unterstützung von Terrororganisationen vorgeworfen. Sieben sind immer noch in Haft.
Ohne ihre Freilassung werde es keine Normalisierung in den deutsch-türkischen Beziehungen geben, hat Maas vor seiner Reise noch einmal klipp und klar gesagt. Sein türkischer Amtskollege Mevlüt Cavusoglu will jedoch keine Bedingungen akzeptieren. „Bei der Normalisierung kann es keine Bedingungen und auch kein Feilschen geben“, sagte er gestern nach dem Treffen mit Maas. Der wich bei der gestrigen Pressekonferenz der Frage aus, ob es sich bei der Freilassung um eine Voraussetzung für die Normalisierung handele. Maas sagte lediglich, dass er mit Cavusoglu über die Fälle gesprochen habe. „Wir haben vereinbart, dass wir darüber weiter in Kontakt bleiben.“Die türkische Regierung beruft sich darauf, dass ihre Justiz unabhängig sei. Das nimmt die EU der Türkei nicht ab. Die aus Sicht der Europäer mangelnde Unabhängigkeit der Justiz ist auch ein Knackpunkt in den stockenden Verhandlungen über einen EU-Beitritt.
Trotz der harten Töne aus Ankara ist auf deutscher Seite der gute Wille erkennbar. „Die Türkei ist mehr als ein großer Nachbar, sie ist auch ein wichtiger Partner“, twitterte das Auswärtige Amt gestern kurz vor Maas’ Ankunft auf Türkisch. Heute, beim Weiterflug nach Istanbul, wird Cavusoglu neben Maas in dem mit schwarz-rot-goldenen Streifen verzierten Regierungsflieger sitzen. Versöhnung in Sicht? Die beiden Chefdiplomaten begrüßten sich vor dem Parlament in Ankara jedenfalls wie zwei alte Freunde mit einer Umarmung, bevor Cavusoglu Maas den 2016 von Putschisten zerbombten Innenhof zeigte, als wollte er sagen: Sieh her, das ist der Grund für unsere harte Gangart. Die türkische Regierung macht die Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen für den gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 verantwortlich und wirft der Bundesregierung vor, nichts oder zu wenig gegen ihre Anhänger zu tun.
Es gibt aktuell aber auch ein gemeinsames Projekt: Beide Seiten wollen eine syrische Offensive gegen die letzte Rebellenhochburg Idlib nahe der türkischen Grenze verhindern – vor allem wegen der zu erwartenden zivilen Opfer und Flüchtlingsströme in Richtung Türkei.
Ob die Wende in den Beziehungen gelingen kann, wird sich wohl erst beim Staatsbesuch Erdogans in Deutschland zeigen. Eine heikle Entscheidung steht noch aus: Wird Erdogan wie bei früheren Besuchen vor tausenden Landsleuten auftreten? „Es ist ganz normal für den Präsidenten, Menschen türkischer Abstammung zu treffen, wenn er nach Deutschland kommt“, sagt sein Sprecher Ibrahim Kalin. Kalin betonte aber, dass Erdogan Einvernehmen mit der deutschen Seite über den Auftritt herstellen wolle. „Wir sollten in die Zukunft schauen. Das ist der Geist, in dem wir hierher kommen.“