Saarbruecker Zeitung

Maas besucht Türkei in schwierige­n Zeiten

Der feste Wille ist da: Deutschlan­d und die Türkei wollen wieder Normalität in ihren Beziehunge­n. Doch es bleibt komplizier­t.

- VON MICHAEL FISCHER UND CHRISTINE-FELICE RÖHRS

Sieben Deutsche in türkischen Gefängniss­en: Zwischen Berlin und Ankara gibt es nach wie vor Redebedarf. Das wurde auch beim ersten Staatsbesu­ch von Außenminis­ter Heiko Maas deutlich.

(dpa) Diesen Palast haben noch nicht allzu viele Außenminis­ter gesehen. Der Ak Saray, für den der türkische Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan ein geschützte­s Waldgebiet im dicht besiedelte­n Ankara abholzen ließ, soll größer sein als das Weiße Haus in Washington und der Buckingham Palast in London. An diesem Mittwochna­chmittag fährt Heiko Maas mit seiner Wagenkolon­ne vor dem gigantisch­en Neubau vor. Erdogan hat auch schon früher deutsche Chefdiplom­aten in Ankara begrüßt. Dass Maas bei seinem Antrittsbe­such quasi wie ein Kanzler empfangen wird, hat diesmal trotzdem eine besondere Bedeutung.

Nach vielen Monaten erbitterte­n Streits um Wahlkampfa­uftritte in Deutschlan­d und Verhaftung­en in der Türkei, nach Nazi-Beschimpfu­ngen und Strafaktio­nen wollen beide Seiten zurück zur Normalität in den deutsch-türkischen Beziehunge­n. Der Maas-Besuch ist nur der Auftakt einer Reise-Serie von Regierungs­mitglieder­n beider Seiten, die am 28. und 29. September im ersten Staatsbesu­ch Erdogans in Deutschlan­d gipfeln wird.

Das Interesse des türkischen Präsidente­n ist eindeutig: Die wirtschaft­liche Talfahrt seines Landes zwingt ihn fast schon dazu, die Nähe zu suchen. Sanktionen und Strafzölle der USA haben das Land in eine schwere Währungskr­ise gestürzt. Die Türkei erhofft sich politische Rückendeck­ung von Deutschlan­d und Investitio­nen deutscher Unternehme­n, will aber zunächst nicht auf Finanzhilf­en dringen.

Die würde Deutschlan­d derzeit auch nicht gewähren. „Ich glaube nicht, dass es im Moment darum geht, über Hilfsmaßna­hmen zu sprechen“, sagte Maas. Der Grund für die Zurückhalt­ung sitzt hinter Schloss und Riegel. Seit dem Putschvers­uch 2016 sind 35 deutsche Staatsbürg­er aus politische­n Gründen in der Türkei inhaftiert worden. Ihnen wurde in der Regel Unterstütz­ung von Terrororga­nisationen vorgeworfe­n. Sieben sind immer noch in Haft.

Ohne ihre Freilassun­g werde es keine Normalisie­rung in den deutsch-türkischen Beziehunge­n geben, hat Maas vor seiner Reise noch einmal klipp und klar gesagt. Sein türkischer Amtskolleg­e Mevlüt Cavusoglu will jedoch keine Bedingunge­n akzeptiere­n. „Bei der Normalisie­rung kann es keine Bedingunge­n und auch kein Feilschen geben“, sagte er gestern nach dem Treffen mit Maas. Der wich bei der gestrigen Pressekonf­erenz der Frage aus, ob es sich bei der Freilassun­g um eine Voraussetz­ung für die Normalisie­rung handele. Maas sagte lediglich, dass er mit Cavusoglu über die Fälle gesprochen habe. „Wir haben vereinbart, dass wir darüber weiter in Kontakt bleiben.“Die türkische Regierung beruft sich darauf, dass ihre Justiz unabhängig sei. Das nimmt die EU der Türkei nicht ab. Die aus Sicht der Europäer mangelnde Unabhängig­keit der Justiz ist auch ein Knackpunkt in den stockenden Verhandlun­gen über einen EU-Beitritt.

Trotz der harten Töne aus Ankara ist auf deutscher Seite der gute Wille erkennbar. „Die Türkei ist mehr als ein großer Nachbar, sie ist auch ein wichtiger Partner“, twitterte das Auswärtige Amt gestern kurz vor Maas’ Ankunft auf Türkisch. Heute, beim Weiterflug nach Istanbul, wird Cavusoglu neben Maas in dem mit schwarz-rot-goldenen Streifen verzierten Regierungs­flieger sitzen. Versöhnung in Sicht? Die beiden Chefdiplom­aten begrüßten sich vor dem Parlament in Ankara jedenfalls wie zwei alte Freunde mit einer Umarmung, bevor Cavusoglu Maas den 2016 von Putschiste­n zerbombten Innenhof zeigte, als wollte er sagen: Sieh her, das ist der Grund für unsere harte Gangart. Die türkische Regierung macht die Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen für den gescheiter­ten Putschvers­uch im Juli 2016 verantwort­lich und wirft der Bundesregi­erung vor, nichts oder zu wenig gegen ihre Anhänger zu tun.

Es gibt aktuell aber auch ein gemeinsame­s Projekt: Beide Seiten wollen eine syrische Offensive gegen die letzte Rebellenho­chburg Idlib nahe der türkischen Grenze verhindern – vor allem wegen der zu erwartende­n zivilen Opfer und Flüchtling­sströme in Richtung Türkei.

Ob die Wende in den Beziehunge­n gelingen kann, wird sich wohl erst beim Staatsbesu­ch Erdogans in Deutschlan­d zeigen. Eine heikle Entscheidu­ng steht noch aus: Wird Erdogan wie bei früheren Besuchen vor tausenden Landsleute­n auftreten? „Es ist ganz normal für den Präsidente­n, Menschen türkischer Abstammung zu treffen, wenn er nach Deutschlan­d kommt“, sagt sein Sprecher Ibrahim Kalin. Kalin betonte aber, dass Erdogan Einvernehm­en mit der deutschen Seite über den Auftritt herstellen wolle. „Wir sollten in die Zukunft schauen. Das ist der Geist, in dem wir hierher kommen.“

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FOTO: BOERGER/PICTURE ALLIANCE/DPA Es hängt: Wie stabil ist die jüngste Entspannun­g zwischen der Türkei und Deutschlan­d?
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FOTO: KJER/AUSWÄRTIGE­S AMT/DPA Außenminis­ter Heiko Maas (SPD, l.) traf gestern den türkischen Staatspräs­identen Recep Tayyip Erdogan in der Türkei.

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