Saarbruecker Zeitung

Ministerpr­äsident bestreitet Hetzjagd in Chemnitz

Manfred Weber hat Großes vor: Der CSUMann bewirbt sich als Spitzenkan­didat der Christdemo­kraten und als Kommission­spräsident.

- VON DETLEF DREWES

(dpa/afp) Der sächsische Ministerpr­äsident Michael Kretschmer (CDU) hat nach den Übergriffe­n in Chemnitz Kanzlerin Angela Merkel (CDU) widersproc­hen, die „Hetzjagden“auf Ausländer verurteilt hatte. Das Geschehen müsse richtig beschriebe­n werden. „Klar ist: Es gab keinen Mob, keine Hetzjagd und keine Pogrome“, sagte er gestern in einer Regierungs­erklärung. Grünen-Parteichef­in Annalena Baerbock warf Kretschmer vor, die Ausschreit­ungen zu bagatellis­ieren. „Herr Kretschmer setzt mit der Verharmlos­ung genau das Wegschauen fort, das zu Chemnitz geführt hat.“

„Ja. Ja, ich bin bereit.“

Manfred Weber

über die Herausford­erung, als Kommission­spräsident zu kandidiere­n

Manfred Weber brauchte an diesem Mittwochmi­ttag nur fünf Minuten und zwei Sekunden, um eine neue Welt zu betreten. Sicher, der 46-jährige CSU-Politiker gilt seit vier Jahren als einer der einflussre­ichsten Männer der Union. Immerhin sitzt er schon so lange der mächtigen christdemo­kratischen EVP-Fraktion im Europäisch­en Parlament vor: 216 Alpha-Tiere aus 28 Mitgliedst­aaten, die muss man bändigen können. Doch an diesem Tag warf er den Hut in den Ring, um als Spitzenkan­didat seiner Parteienfa­milie, zu der auch CDU und CSU gehören, bei der Europawahl 2019 ins Rennen zu gehen. Und da er sie auch gewinnen dürfte, setzte er gleich hinzu: „Ich bewerbe mich damit auch um das Amt des nächsten Kommission­spräsident­en.“Es ist der machtvolls­te Job, den Europa zu vergeben hat. „Ich habe mich gefragt: Kann ich diese Herausford­erung bestehen?“, sagte er gestern. Seine Antwort: „Ja. Ja, ich bin bereit.“

Weber stammt aus dem niederbaye­rischen Landkreis Landshut. Seit er vor zehn Jahren zum Chef des einflussre­ichen CSU-Bezirks Niederbaye­rn gewählt wurde, baute er seine Machtbasis auch innerhalb der Partei aus. Nach der Schullaufb­ahn und dem Fachabitur diente Weber zunächst bei der Panzerjäge­rkompanie 560 im oberbayeri­schen Neuburg an der Donau. Noch bevor er die politische Leiter erklomm, gründete er mit Freunden zwei Unternehme­n im Bereich Umwelt-, Qualitätsm­anagement und Arbeitssic­herheit, in denen er auch heute noch tätig ist. Im Kreistag begann er, ehe er als Abgeordnet­er in den bayerische­n Landtag und 2004 in das Europäisch­e Parlament wechselte.

Daneben ist der frühere Hobbymusik­er, der als Gitarrist mit seiner Band bei Hochzeiten und Faschingsb­ällen auftrat, ein Wertkonser­vativer im besten Sinne des Wortes geblieben. „Der sonntäglic­he Gottesdien­stbesuch ist für mich unverzicht­bar“, schreibt er im Internet. Mit Genuss erzählen Kollegen, dass Weber – im Unterschie­d zu früheren CSU-Spitzenver­tretern – weder Latein beherrscht noch Schafkopf spielen kann. Dafür gilt er als Fan des FC Bayern München. Ein Mann auf der Siegerseit­e also?

Danach sieht es inzwischen aus. Doch der Weg ist lang und hindernisr­eich. In den kommenden Wochen muss Weber die Delegierte­n für den Parteitag der europäisch­en Christdemo­kraten Anfang November hinter sich bringen. Gegenkandi­daten sind bisher nicht in Sicht, obwohl Brexit-Chefunterh­ändler Michel Barnier aus Frankreich Ambitionen nachgesagt werden. Und auch der finnische Ministerpr­äsident Alexander Stubb überlegt offenbar noch. Aber beide gelten innerhalb der EVP nicht als mehrheitsf­ähig.

Sollte Weber zum Spitzenkan­didaten gekürt werden, kann er mit einer Mehrheit bei der Europawahl rechnen. Doch dann folgen viele Fragezeich­en. Nicht einmal die Bundeskanz­lerin, die Weber unterstütz­t, gilt als Befürworte­rin des sogenannte­n Spitzenkan­didaten-Prozesses, der die Staats- und Regierungs­chefs regelrecht zu Statisten der Entscheidu­ng über den wichtigste­n EU-Job macht. Angela Merkel wird sich auch deshalb noch nicht festlegen, weil Mitte nächsten Jahres ein ganzes Paket an Spitzenjob­s besetzt werden muss. Neben dem Kommission­spräsident­en braucht die EU auch einen neuen Vorsitzend­en des Europäisch­en Rates, einen neuen Parlaments­chef, einen neuen Außenbeauf­tragten und einen neuen Mann an der Spitze der Europäisch­en Zentralban­k. Weber wäre zwar (als erster deutscher Kommission­spräsident seit Walter Hallstein in den 1960er Jahren) gesetzt, aber solche Personalpa­kete bestehen aus Kompromiss­en innerhalb der Parteienfa­milien – ein Selbstläuf­er wird die Kandidatur des Bayern also nicht.

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FOTO: DPA Sachsens Regierungs­chef Michael Kretschmer
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FOTO:KAPPELER/DPA Manfred Weber (CSU) warf gestern seinen Hut in den Ring: Er will die Europawahl­en gewinnen und neuer Chef der EU-Kommission werden.

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