Saarbruecker Zeitung

Saarländer geselliger als andere Deutsche

Bildschirm­e statt echte Menschen: So verbringen einer Studie zufolge viele Deutsche ihre Freizeit.

- VON WERNER KOLHOFF UND ULRIKE VON LESZCZYNSK­I

(kna/dpa/ine) Eine neue Umfrage zeichnet ein düsteres Bild des Zusammenle­bens in Deutschlan­d, Lichtblick­e gibt es jedoch für das Saarland. Wie aus dem gestern vorgestell­ten „Freizeit-Monitor“der Stiftung für Zukunftsfr­agen hervorgeht, treffen sich nur noch 17 Prozent der Bundesbürg­er regelmäßig mit Freunden zu Hause. Vor fünf Jahren waren es demnach noch 24 Prozent. Die Zahl der Befragten, die regelmäßig Großeltern oder Enkeln sehen, sank von 21 auf 17 Prozent. Dies sei eine besorgnise­rregende Entwicklun­g, weil Treffen mit anderen Menschen „der soziale Kitt der Gesellscha­ft“seien, sagte Studienlei­ter Ulrich Reinhardt. Auch das soziale Engagement nahm ab, beim Ehrenamt um sechs, bei der Nachbarsch­aftshilfe um 14 Prozentpun­kte.

Laut Studie dominieren Medien die Freizeit: 95 Prozent schalten mindestens einmal pro Woche ihren Fernseher ein, dahinter folgen Radio (90) und Musik hören (85) sowie Telefonier­en (84) und im Internet surfen (78). Medienkons­um spielt auch hierzuland­e eine große Rolle, doch scheinen die Saarländer weiterhin besonderen Wert auf echte soziale Kontakte zu legen. „Die Menschen im Saarland sind in der Tat außerhäusi­g aktiver als im Bundesdurc­hschnitt“, sagte Reinhardt der SZ.

Treffen mit Freunden und Familie hätten in der Region einen vergleichs­weise hohen Stellenwer­t. Ebenso hätten mehr Saarländer Ausflüge oder Wochenendt­reffs als Freizeitbe­schäftigun­g genannt. Gründe für das geselliger­e Verhalten sieht der Studienlei­ter in der eher ländlichen Struktur, den relativ konstanten klimatisch­en Bedingunge­n und der Nähe zu Frankreich. Bereits Ende 2017 hatte eine Bertelsman­n-Umfrage dem Saarland den stärksten gesellscha­ftlichen Zusamenhal­t bescheinig­t.

Nach Angaben Reinhardts besteht bei den Bundesbürg­ern eine Kluft zwischen dem Wunsch nach mehr spontanen Aktionen oder Ausschlafe­n und der Wirklichke­it: „Freizeit wird immer öfter zur Stresszeit.“

„Freizeit wird immer öfter zur Stresszeit.“

Prof. Ulrich Reinhardt Studienlei­ter

(dpa/SZ) Freizeitfü­ller Nummer eins: irgendwas mit Medien. Sehnsucht Nummer eins: irgendwas mit Ruhe. Oft wird den Menschen erst im langfristi­gen Vergleich klar, wie sehr sich ihr Leben verändert hat. Beim Freizeitve­rhalten ist das besonders krass. Medien dominieren heute mehr denn je die Mußestunde­n der Deutschen. Das zeigt die gestern in Berlin vorgestell­te Studie „Freizeit-Monitor 2018“. Echte soziale Kontakte sind stark auf dem Rückzug. Und fast verlernt ist das Nichtstun. Die Gesellscha­ft für Konsumfors­chung hat mehr als 2000 Deutsche im Auftrag eines Tabakkonze­rns zu ihren Alltagsgew­ohnheiten befragt.

Medienkons­um: Wie oft wurde der gute alte Fernseher schon abgeschrie­ben? Zu Unrecht: 2018 war Fernsehguc­ken wie schon seit 30 Jahren die Topaktivit­ät der Deutschen. Es folgten aber mit Radiohören, Musikhören, Telefonier­en und Internet nur noch weitere Mediennutz­ungen auf den nächsten Plätzen. Allein in den letzten fünf Jahren legte „Smartphone nutzen“um 76 Prozent zu, Internet und soziale Medien um rund 50 Prozent. Drei Viertel der Befragten sind in ihrer Freizeit regelmäßig im Internet, 2013 war es nur rund die Hälfte. Mit sozialen Medien beschäftig­t sich die Hälfte regelmäßig. Das Smartphone wird für alles Mögliche genutzt – nur nicht fürs Telefonier­en. Studienlei­ter Ulrich Reinhardt betont, wie wichtig echter sozialer Austausch ist. Er nannte ihn „den Kitt für gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt“. Die Frage sei, wie sich der herstelle, wenn jeder nur noch vor seinem Fernseher oder dem Smartphone sitze.

Reden und Ruhe: Ausschlafe­n, Zeit mit dem Partner verbringen oder „Seinen Gedanken nachgehen“ rangieren in der Freizeit-Präferenze­n-Liste auf Platz sechs bis zehn. Mit kleineren Abweichung­en trifft das auf alle Altersgrup­pen zu, auf Singles wie Paare. Eine Ausnahme bilden die Senioren, bei denen das Internet nicht zu den zehn wichtigste­n Aktivitäte­n gehört. Dafür noch „Zeitung/Zeitschrif­t lesen“und „Über wichtige Dinge reden“. Das Buch wird dagegen immer mehr zum Regalhüter: „Buch lesen“und Gartenarbe­it nahmen um 17 Prozent ab. Weniger als ein Drittel (29 Prozent) liest noch regelmäßig. Vor fünf Jahren waren es noch 35 Prozent.

Früher war alles anders: Im Langzeitve­rgleich ist der Wandel noch deutlicher. Als es Fernsehger­äte noch selten gab, 1957, waren Zeitschrif­tlesen, Gartenarbe­it und „Aus dem Fenster schauen“noch Top-Freizeitak­tivitäten. Bis in die 70er Jahre fanden sich auch noch „Mit Nachbarn unterhalte­n“, Besuche machen, Kirche/Gemeinde und „Mittagssch­laf“in der Liste vorne wieder. All das ist jetzt fast komplett aus den Antworten verschwund­en.

Wie viel übrig bleibt: Echte Freizeit haben die Deutschen im Schnitt an 2537 Stunden, das sind 29 Prozent der Jahreszeit. Gleich viel geht für den Schlaf drauf. 22 Prozent der Zeit (1956 Stunden) beanspruch­en obligatori­sche Dinge wie Körperpfle­ge oder Essen und nur 20 Prozent (1718 Stunden) die Arbeit. Auch Einkaufen und Hausarbeit fressen Zeit – laut Studie vor allem bei Frauen. Fast ein Fünftel nennt inzwischen aber auch Weiterbild­ung und Engagement für den Job – das sagen vor allem Männer.

Dauerstres­s: Mit ihrem Freizeitve­rhalten sind die Menschen nicht unbedingt glücklich. Zum einen, weil es regelrecht in Stress ausgeartet ist. Heute werden im Schnitt pro Woche 23 verschiede­ne Aktivitäte­n ausgeübt, statt zwölf noch vor 20 Jahren. Dies zum Teil gleichzeit­ig, oder aber jeweils kürzer. Zudem ist die Freizeit immer mehr belastet mit Pflichtauf­gaben und Berufliche­m wie „Mit der Firma telefonier­en“. Kein Wunder, dass die Leute sich bei diesem Stress auf die Frage, was sie am liebsten in ihrer Freizeit machen würden, das wünschen, was sie verloren haben: „Spontan das tun, wozu man gerade Lust hat“, „Ausschlafe­n“und „Nichtstun“.

Heiliger Rat: Selbst Papst Franziskus hat sich in die Freizeitde­batte eingeschal­tet. Nach Meinung des Pontifex hängt die Unzufriede­nheit vieler Menschen mit ihrem falschen Freizeitve­rständnis zusammen. Nie seien Erholung und zugleich das Gefühl von Leere größer gewesen als in der heutigen Gesellscha­ft, sagte Franziskus gestern bei seiner Generalaud­ienz in Rom. Als Ursache nannte er eine „Realitätsf­lucht“. Die Werbung zeichne ein Idealbild der Welt als großem Vergnügung­spark. Diese Sicht führe zu Unzufriede­nheit über ein Dasein, das „vom Vergnügen betäubt“sei. Der Papst riet dazu, sich mit den schwierige­n Seiten der eigenen Existenz zu versöhnen. „Der Mensch muss Frieden machen mit dem, wovor er flieht“, sagte er. Es gelte, die eigene Geschichte „anzunehmen und wertzuschä­tzen“. Das Leben werde dann schön, wenn man gut darüber denke. Und zum Denken braucht man bekanntlic­h Zeit.

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