Saarbruecker Zeitung

Bald Urteil im Prozess um Höxter „Horrorhaus“

Im Höxter-Prozess gegen ein Ehepaar wegen zweifachen Mordes hielt gestern die Anklage ihr Plädoyer – und forderte lebenslang­e Haft.

- VON CARSTEN LINNHOFF

Im Mordprozes­s um das „Horrorhaus“von Höxter hat die Staatsanwa­ltschaft gestern lebenslang­e Haftstrafe­n für die beiden Angeklagte­n Wilfried W. und seine Ex-Frau Angelika W. beantragt. Das Urteil fällt frühestens am 14. September.

(dpa) „Ich glaube, sie nippelt uns ab.“Diesen Satz wiederholt Oberstaats­anwalt Ralf Meyer am gestrigen Mittwoch mehrmals im Landgerich­t Paderborn. Er lässt dieses Zitat des Angeklagte­n Wilfried W. in seinem Plädoyer wie einen roten Faden immer wieder auftauchen. Meyer hat den Reigen der Plädoyers nach 55 Verhandlun­gstagen um das sogenannte Horrorhaus von Höxter eröffnet.

Wegen eines versuchten und eines vollendete­n gemeinscha­ftlichen Mordes sollen nach seiner Auffassung Wilfried W. (48) und seine ExFrau Angelika W. (49) lebenslang hinter Gitter. Die beiden Deutschen sollen jahrelang Frauen mit Kontaktanz­eigen nach Höxter gelockt und ihre Opfer dann seelisch und körperlich gequält und missbrauch­t haben. Zwei Frauen aus Niedersach­sen starben an den Folgen. Wegen dieser seelischen und körperlich­en Grausamkei­ten beantragte Meyer noch die Feststellu­ng der besonderen Schwere der Schuld. Zusätzlich beantragte er für Wilfried W. die Einweisung in eine Psychiatri­e.

Eine Einweisung hatte auch eine Gutachteri­n dem Gericht empfohlen. Allerdings war die forensisch­e Psychiater­in Nahlah Saimeh vor Wochen noch weitergega­ngen: Sie bescheinig­te dem Angeklagte­n die juristisch­e Einordnung, schwachsin­nig zu sein, und hält ihn daher für vermindert schuldfähi­g. Hier zog Oberstaats­anwalt Meyer allerdings nicht mit. „Ich glaube, sie nippelt uns ab“– diesen Satz setzte Meyer ein, um zu unterstrei­chen, dass Wilfried W. den nahenden Tod von Anika W. im August 2014 durchaus vor Augen hatte.

Roland Weber, Anwalt der Mutter der getöteten Anika W., schloss sich – wie auch die anderen Nebenkläge­r – den Forderunge­n des Oberstaats­anwalts an. Er erinnerte an die Grausamkei­ten, die die Frauen in dem Haus erleiden mussten. Allein für die Tochter seiner Mandantin hatte die Angeklagte Angelika W. auf zwei Din-A4-Seiten 45 verschiede­nen Methoden gelistet, um ihr Opfer zu quälen und zu misshandel­n.

Stöße, Haare abschneide­n, Würgen, Einsatz von Pfefferspr­ay und den Urin von Wilfried W. zu trinken, waren dabei noch die harmlosere­n Praktiken. Weber zählte weitere schockiere­nde Details auf. Er wollte in Absprache mit seiner Mandantin bewusst daran erinnern, welches Leid Anika durchlebt hatte. Weber erklärte in seinem Plädoyer nochmals das System Bosseborn, das ihm aus dem Rotlichtmi­lieu bekannt sei. „Zuerst gibt es eine Wohlfühlat­mosphäre, dann kommen die ersten kleineren Gewalttate­n, die Opfer werden verwirrt, noch besteht Fluchtgefa­hr. Dann wird die Gewalt und die Demütigung noch brutaler“, sagte Weber. Bei der Prostituti­on geht es vor allem um Geld. In Höxter sei es zwar auch um Geld, aber eigentlich nur um Macht gegangen. Die Frauen auf der Suche nach Zuneigung und der großen Liebe waren in die Falle getappt.

„Und wer war schuld?“, fragt Weber? Beide hätten sich gegenseiti­g eingeredet, dass jeweils der andere der Schuldige sei. Beide hätten so zusammenge­arbeitet, dass es eine perfekte Teamarbeit war. „Beide wussten, was der andere macht“, sagte der Berliner Anwalt.

Sollte das Gericht in seinem Urteil den Forderunge­n von Staatsanwa­ltschaft und Nebenklage folgen, geht Angelika W. laut Weber voraussich­tlich für 20 bis 21 Jahre ins Gefängnis. Die Angeklagte hatte für sich im Verlauf des Verfahrens ein deutlich niedrigere­s Strafmaß gewünscht. Da sie mit einem Geständnis zur Aufklärung beigetrage­n hatte, war das bei den Plädoyers auch eine der Kernfragen. Aber sowohl Meyer als auch Weber lehnten eine Strafminde­rung ab. „Es gibt zwei tote Frauen. Und viele der Opfer sind noch heute schwer traumatisi­ert. Sie mussten zum Teil extrem lange leiden. Die Angeklagte hat die Verantwort­ung voll zu tragen“, sagte Weber.

Am Donnerstag und in der darauffolg­enden Woche am Dienstag folgen die Plädoyers der vier Verteidige­r. Ob das Landgerich­t noch im September ein Urteil spricht, ist offen. Das letzte Wort der Angeklagte­n könnte die Zeitplanun­g noch durcheinan­der bringen. Angelika W. beanspruch­t dafür einen ganzen Prozesstag. Statt am 14. September würde ein Urteil dann erst am 5. Oktober verkündet.

„Es gibt zwei tote Frauen. Und viele der Opfer sind noch heute schwer

traumatisi­ert.“

Roland Weber

Anwalt der Mutter eines Mordopfers

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FOTO: FRISO GENTSCH/DPA Wilfried W. und seine Ex-Frau Angelika W. sollen mehrere Frauen aus Niedersach­sen in ein Haus nach Ostwestfal­en gelockt und dort schwer misshandel­t haben. Sie sind wegen Mordes durch Unterlasse­n angeklagt.
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