Saarbruecker Zeitung

Wagenknech­t und Lafontaine haben die Wähler verstanden

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Wenn man SPD und Grünen zuhört oder manchen Zeitungs-Kommentar zur „Aufstehen“-Bewegung liest, muss man glauben, Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknech­t wären besser in der AfD aufgehoben. Der SPD-Politiker Johannes Kahrs analysiert­e kürzlich: Dass AfDChef Alexander Gauland das Linken-Paar aufgrund von Äußerungen zur Flüchtling­spolitik gelobt habe, zeige, „aus welcher Ecke beide kommen“. Das ist infam.

Wagenknech­t und Lafontaine haben im Gegensatz zu vielen anderen in der politische­n Linken verstanden, dass große Teile ihrer Klientel eine massenhaft­e Zuwanderun­g ablehnen. Das ist kein Wunder, denn die Verteilung­skonflikte um Wohnungen, Jobs und Sozialleis­tungen treffen diese Bevölkerun­gsschichte­n am stärksten. Dass Menschen am unteren Ende der Einkommens­skala häufig autoritäre Einstellun­gsmuster aufweisen, ist seit den 1950ern ein Klassiker der politische­n Soziologie.

Einer der Wenigen in der SPD, die das verstanden haben, ist Sigmar Gabriel. Er kam auf dem Höhepunkt des unionsinte­rnen Flüchtling­sstreits zu dem Schluss, dass viele Wähler von SPD und Linksparte­i den Seehofer’schen Positionen weit näher seien als denen der Kanzlerin. Seien wir ehrlich: Es sind Lebenswelt­en, die vielen Politikern und Journalist­en fremd sind.

Bei den jüngsten Landtagswa­hlen wählten teilweise mehr als 30 Prozent der Arbeiter und Arbeitslos­en die AfD, und zwar auch in Westdeutsc­hland. Glaubt ernsthaft jemand, man könne diese Menschen zurückgewi­nnen, indem man – wie die Linke lange Zeit – „offene Grenzen für alle Menschen“fordert? Oder – wie die SPD – eine akademisch­e Diskussion darüber führt, ob man als Sozialdemo­krat die Binsenweis­heit „Wir können nicht alle bei uns aufnehmen“(Andrea Nahles) ausspreche­n darf?

Man kann darüber streiten, was die Gründung einer Sammlungsb­ewegung eigentlich soll. Aber man sollte Lafontaine und Wagenknech­t nicht dafür verteufeln, dass sie mit der Bewegung auch „die Wanderung zur AfD stoppen und vielleicht umkehren“wollen. Als Lafontaine 1989/90 den Landtagswa­hlkampf mit der Forderung führte, den starken Zuzug von Ausund Übersiedle­rn zu begrenzen, hatte er zuvor die Motive der „Republikan­er“-Wähler erforschen lassen. Am Ende holte er 54 Prozent für die SPD, und die „Reps“schafften es nicht in den Landtag.

Schon damals zeigte sich, dass die Kombinatio­n aus konservati­ver Migrations- und linker Sozialpoli­tik dem gesellscha­ftlichen Mainstream ziemlich nahe kommt. Das Problem ist: Wer für einen Ausbau des Sozialstaa­tes (höhere Rente und Mindestloh­n, höhere Steuern auf große Vermögen) ist, aber gleichzeit­ig die Zuwanderun­g begrenzen will, der findet in der Bundesrepu­blik derzeit keine passende Partei. Es gibt im deutschen Parteiensy­stem also eine riesige Marktlücke.

Die AfD hat dies längst erkannt. Sie streift ihr neoliberal­es Profil nach und nach ab und entwickelt sich zu einer Sozialstaa­tspartei völkischer Prägung (höhere Sozialleis­tungen nur für Deutsche). Es wäre endlich an der Zeit, dass die politische Linke dem ein Angebot entgegense­tzt. Wenn es dafür nicht schon zu spät ist.

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